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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Goethes letztes Lebensjahr

Natürlich verlor Goethe 1831 auch seine ihm vor allem andern am
Herzen liegende "Farbenlehre" nicht aus den Gedanken. Das Tagebuch er¬
wähnt öfters Chromatisches*), vornehmlich bezeugt es für den Dezember und
den Anfang des Jahres 1832 (Tagebuch vom 28. Februar, 2. März) Be¬
schäftigung mit dem historischen Teil der Farbenlehre.

Anlaß zur Beschäftigung mit Geologie und Mineralogie gaben eingehende
Sendungen für die Universitäts- und die eignen Sammlungen, insbesondre
die von Schneeberg (7. Juni), Freiberg, Karlsbad (20. August), und der Ver¬
kehr mit Fachmännern wie Mähr, Gimel, Herder und andern. Am 20. Dezember
entwirft er einen Aufsatz über Karlsbader Sprudelsteine, veranlaßt durch eine
Sendung von Knoll daselbst.

Auch allgemeine naturwissenschaftliche Fragen wurden natürlich öfters er¬
wogen und besprochen. "Bedeutende Betrachtungen auf Natur bezüglich" ver¬
zeichnet das Tagebuch unter dem 20. Juni. Ähnliches wird angedeutet unter
dem 25. Juni, 20. September. Die Rubrik "Naturwissenschaftliche Einzel¬
heiten" bereichert Goethe durch einen Aufsatz über "Leben und Verdienste des
Dr. Joachim Jungius", der am 10. April mundiert, aber erst 1850 veröffent¬
licht wurde.

Am tiefsten und nachhaltigsten beschäftigte ihn aber 1831 der Aufsatz von
Se. Hilaire über Goethe als Naturforscher (eingegangen den 19. Mai), noch
mehr dessen Streit mit Cuvier, der den Dichter, vornehmlich im November,
ganz erfüllte und veranlaßte, seinen im Herbst 1830 veröffentlichten Aufsatz
über die ?riueixos av ?nil030piii6 AoolvAiaus von Se. Hilaire durch einen
umfänglichen zweiten Teil zu ergänzen, der noch im März 1832 veröffentlicht
worden ist (H. 34, 154 usw.). Worum es sich bei jenem akademischen Streite ge¬
handelt hat, ist zu bekannt, als daß hier darüber gesprochen werden müßte.
Jedenfalls hat Goethe daraus kein Hehl gemacht, daß ihm, der sich auch 1831
des Zeitungslesers fast ganz enthielt und sich nur das Allerwichtigste vom
Kanzler Müller gelegentlich berichten ließ, jener gelehrte Prinzipienstreit viel
näher gegangen ist als die Pariser Julirevolution und ihre Nachspiele.

So überwiegend aber auch das Interesse des Dichters in seinem letzten
Lebensjahre der Vollendung seines Faust und verschiednen naturwissen¬
schaftlichen Abschlüssen zugewandt war, so gehn Kunst und Literatur doch
keineswegs dabei leer aus. Oft genug werden Besichtigungen von Kunstwerken
aller Art, Unterhaltungen über Gemälde und Plastisches aus alter und neuer
Zeit mit dem alten Freunde Meyer und andern Besuchern erwähnt. In den
Gesprächen läßt er sich über Lessing, Schiller, Klinger, Merck, noch häusiger



*) So unter dem 26. April, 20. September. Auch die unter dem 2. und 7, Februar er¬
wähnte Dissertation von Professor Dietrich (Prag) über Polarität fällt unter dieses Kapitel.
Dasselbe gilt von den Briefen um Boisseree Aber den Regenbogen vom 11. Januar, 2. und
25. Februar 1832 (H. 36, S78 usw.).
Goethes letztes Lebensjahr

Natürlich verlor Goethe 1831 auch seine ihm vor allem andern am
Herzen liegende „Farbenlehre" nicht aus den Gedanken. Das Tagebuch er¬
wähnt öfters Chromatisches*), vornehmlich bezeugt es für den Dezember und
den Anfang des Jahres 1832 (Tagebuch vom 28. Februar, 2. März) Be¬
schäftigung mit dem historischen Teil der Farbenlehre.

Anlaß zur Beschäftigung mit Geologie und Mineralogie gaben eingehende
Sendungen für die Universitäts- und die eignen Sammlungen, insbesondre
die von Schneeberg (7. Juni), Freiberg, Karlsbad (20. August), und der Ver¬
kehr mit Fachmännern wie Mähr, Gimel, Herder und andern. Am 20. Dezember
entwirft er einen Aufsatz über Karlsbader Sprudelsteine, veranlaßt durch eine
Sendung von Knoll daselbst.

Auch allgemeine naturwissenschaftliche Fragen wurden natürlich öfters er¬
wogen und besprochen. „Bedeutende Betrachtungen auf Natur bezüglich" ver¬
zeichnet das Tagebuch unter dem 20. Juni. Ähnliches wird angedeutet unter
dem 25. Juni, 20. September. Die Rubrik „Naturwissenschaftliche Einzel¬
heiten" bereichert Goethe durch einen Aufsatz über „Leben und Verdienste des
Dr. Joachim Jungius", der am 10. April mundiert, aber erst 1850 veröffent¬
licht wurde.

Am tiefsten und nachhaltigsten beschäftigte ihn aber 1831 der Aufsatz von
Se. Hilaire über Goethe als Naturforscher (eingegangen den 19. Mai), noch
mehr dessen Streit mit Cuvier, der den Dichter, vornehmlich im November,
ganz erfüllte und veranlaßte, seinen im Herbst 1830 veröffentlichten Aufsatz
über die ?riueixos av ?nil030piii6 AoolvAiaus von Se. Hilaire durch einen
umfänglichen zweiten Teil zu ergänzen, der noch im März 1832 veröffentlicht
worden ist (H. 34, 154 usw.). Worum es sich bei jenem akademischen Streite ge¬
handelt hat, ist zu bekannt, als daß hier darüber gesprochen werden müßte.
Jedenfalls hat Goethe daraus kein Hehl gemacht, daß ihm, der sich auch 1831
des Zeitungslesers fast ganz enthielt und sich nur das Allerwichtigste vom
Kanzler Müller gelegentlich berichten ließ, jener gelehrte Prinzipienstreit viel
näher gegangen ist als die Pariser Julirevolution und ihre Nachspiele.

So überwiegend aber auch das Interesse des Dichters in seinem letzten
Lebensjahre der Vollendung seines Faust und verschiednen naturwissen¬
schaftlichen Abschlüssen zugewandt war, so gehn Kunst und Literatur doch
keineswegs dabei leer aus. Oft genug werden Besichtigungen von Kunstwerken
aller Art, Unterhaltungen über Gemälde und Plastisches aus alter und neuer
Zeit mit dem alten Freunde Meyer und andern Besuchern erwähnt. In den
Gesprächen läßt er sich über Lessing, Schiller, Klinger, Merck, noch häusiger



*) So unter dem 26. April, 20. September. Auch die unter dem 2. und 7, Februar er¬
wähnte Dissertation von Professor Dietrich (Prag) über Polarität fällt unter dieses Kapitel.
Dasselbe gilt von den Briefen um Boisseree Aber den Regenbogen vom 11. Januar, 2. und
25. Februar 1832 (H. 36, S78 usw.).
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[0188] Goethes letztes Lebensjahr Natürlich verlor Goethe 1831 auch seine ihm vor allem andern am Herzen liegende „Farbenlehre" nicht aus den Gedanken. Das Tagebuch er¬ wähnt öfters Chromatisches*), vornehmlich bezeugt es für den Dezember und den Anfang des Jahres 1832 (Tagebuch vom 28. Februar, 2. März) Be¬ schäftigung mit dem historischen Teil der Farbenlehre. Anlaß zur Beschäftigung mit Geologie und Mineralogie gaben eingehende Sendungen für die Universitäts- und die eignen Sammlungen, insbesondre die von Schneeberg (7. Juni), Freiberg, Karlsbad (20. August), und der Ver¬ kehr mit Fachmännern wie Mähr, Gimel, Herder und andern. Am 20. Dezember entwirft er einen Aufsatz über Karlsbader Sprudelsteine, veranlaßt durch eine Sendung von Knoll daselbst. Auch allgemeine naturwissenschaftliche Fragen wurden natürlich öfters er¬ wogen und besprochen. „Bedeutende Betrachtungen auf Natur bezüglich" ver¬ zeichnet das Tagebuch unter dem 20. Juni. Ähnliches wird angedeutet unter dem 25. Juni, 20. September. Die Rubrik „Naturwissenschaftliche Einzel¬ heiten" bereichert Goethe durch einen Aufsatz über „Leben und Verdienste des Dr. Joachim Jungius", der am 10. April mundiert, aber erst 1850 veröffent¬ licht wurde. Am tiefsten und nachhaltigsten beschäftigte ihn aber 1831 der Aufsatz von Se. Hilaire über Goethe als Naturforscher (eingegangen den 19. Mai), noch mehr dessen Streit mit Cuvier, der den Dichter, vornehmlich im November, ganz erfüllte und veranlaßte, seinen im Herbst 1830 veröffentlichten Aufsatz über die ?riueixos av ?nil030piii6 AoolvAiaus von Se. Hilaire durch einen umfänglichen zweiten Teil zu ergänzen, der noch im März 1832 veröffentlicht worden ist (H. 34, 154 usw.). Worum es sich bei jenem akademischen Streite ge¬ handelt hat, ist zu bekannt, als daß hier darüber gesprochen werden müßte. Jedenfalls hat Goethe daraus kein Hehl gemacht, daß ihm, der sich auch 1831 des Zeitungslesers fast ganz enthielt und sich nur das Allerwichtigste vom Kanzler Müller gelegentlich berichten ließ, jener gelehrte Prinzipienstreit viel näher gegangen ist als die Pariser Julirevolution und ihre Nachspiele. So überwiegend aber auch das Interesse des Dichters in seinem letzten Lebensjahre der Vollendung seines Faust und verschiednen naturwissen¬ schaftlichen Abschlüssen zugewandt war, so gehn Kunst und Literatur doch keineswegs dabei leer aus. Oft genug werden Besichtigungen von Kunstwerken aller Art, Unterhaltungen über Gemälde und Plastisches aus alter und neuer Zeit mit dem alten Freunde Meyer und andern Besuchern erwähnt. In den Gesprächen läßt er sich über Lessing, Schiller, Klinger, Merck, noch häusiger *) So unter dem 26. April, 20. September. Auch die unter dem 2. und 7, Februar er¬ wähnte Dissertation von Professor Dietrich (Prag) über Polarität fällt unter dieses Kapitel. Dasselbe gilt von den Briefen um Boisseree Aber den Regenbogen vom 11. Januar, 2. und 25. Februar 1832 (H. 36, S78 usw.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/188>, abgerufen am 22.07.2024.