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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Historisches und Ethnographisches zum Balkankoiiflikt

so gut wie ausschließlich serbisch-kroatischen Stammes. Was die Religion be¬
trifft, so sind wir auf die Zählung von 1895 angewiesen, und diese ergab:

Griechisch-katholische (Serben) ......... 673VVV
Römisch-katholische (Kroaten) . . . ..... 334000
Mohammedaner . ..... ., ......., 549000
Jsraeliten (einschließlich Spaniolen) ....... 8200
Sonstige (meist Protestanten) ......... 3900
1568100
Besatzungstruppcn............. 23000
Fremde . . . ^ . . - . ^ . . . . . 71000

Also nur annähernd die Hülste der Bevölkerung ist serbisch im eigentlichen
Sinne. Das reicht natürlich nicht aus, um die großserbische Idee in Serbien
zum Erlöschen zu bringen. '

Natürlich kaun Österreich-Ungarn diesem Gedanken nicht Raum geben; es
muß alles aufbieten, um ihn niederzuschlagen. Es muß Bosnien und Herzegowina
in eignem Besitz behalten. Serbien dagegen hat seit lange nichts so eifrig be¬
kämpft wie die förmliche Annexion der beiden Provinzen durch den Donaustaat.
Deren Erlangung mußte damit fast unausführbar werden. Andrerseits mußte
gerade der Umstand, daß Serbien diese Idee offen begünstigte, Österreich-Ungarn
zu einer Beschleunigung seiner Handlungen drängen. Hierin ist eine der wesent¬
lichsten Ursachen des in vieler Beziehung so bedenklichen Schrittes der Annexion
zu sehn. Ja es mußte unter Umständen die Ausdehnung der Träumerei von
einem großserbischen Reiche von 7 bis 8^ Millionen auf Kroatien befürchtet
werden. Die dort lebenden 611000 Serben sind ihr keineswegs unzugänglich.
Und sogar die Kroaten hassen die Magyaren weit mehr als die Serben. Die
gesamte serbisch-kroatische Nation stünde den Magyaren Ungarns, die mit mehr
oder weniger Recht auf 9180000 Seelen angegeben werden, nur unwesentlich
nach. Früher haben die Magyaren die Ausdehnung der Habsburgischen Herr¬
schaft auf Bosnien und Herzegowina heftig bekämpft. Namentlich war die sich
jetzt in der Negierung befindende Partei ausgesprochne Gegnerin; Barabas
gehörte zu den Ungarn, die im letzten Balkankriege offen ihre Sympathie für
die Türken erklärten und Osman Pascha einen Ehrensübel überreichten. Jetzt
ist das vollständig umgewandelt. Die Annexion ist außerordentlich populär in
Ungarn, wohl wesentlich mit aus dem Grunde, weil man dem Großserbentum
einen unübersteiglichen Damm entgegensetzen will.

Im einzelnen kommt noch hinzu, daß die jungtürkische Revolution für die
beiden Provinzen eine Schwierigkeit geschaffen hat. Die siegreiche Partei schreibt
auf ihre Fahne die Einberufung einer Volksvertretung unter Gleichberechtigung
der Muselmanen und Christen. Wie das in einem von einer fremden Macht
besetzten Lande hätte durchgeführt werden, wie sich die Abgeordneten für
Sarajewo und Mostar in das türkische Parlament sollten eingliedern können,
ist doch recht schwer zu sagen.


Historisches und Ethnographisches zum Balkankoiiflikt

so gut wie ausschließlich serbisch-kroatischen Stammes. Was die Religion be¬
trifft, so sind wir auf die Zählung von 1895 angewiesen, und diese ergab:

Griechisch-katholische (Serben) ......... 673VVV
Römisch-katholische (Kroaten) . . . ..... 334000
Mohammedaner . ..... ., ......., 549000
Jsraeliten (einschließlich Spaniolen) ....... 8200
Sonstige (meist Protestanten) ......... 3900
1568100
Besatzungstruppcn............. 23000
Fremde . . . ^ . . - . ^ . . . . . 71000

Also nur annähernd die Hülste der Bevölkerung ist serbisch im eigentlichen
Sinne. Das reicht natürlich nicht aus, um die großserbische Idee in Serbien
zum Erlöschen zu bringen. '

Natürlich kaun Österreich-Ungarn diesem Gedanken nicht Raum geben; es
muß alles aufbieten, um ihn niederzuschlagen. Es muß Bosnien und Herzegowina
in eignem Besitz behalten. Serbien dagegen hat seit lange nichts so eifrig be¬
kämpft wie die förmliche Annexion der beiden Provinzen durch den Donaustaat.
Deren Erlangung mußte damit fast unausführbar werden. Andrerseits mußte
gerade der Umstand, daß Serbien diese Idee offen begünstigte, Österreich-Ungarn
zu einer Beschleunigung seiner Handlungen drängen. Hierin ist eine der wesent¬
lichsten Ursachen des in vieler Beziehung so bedenklichen Schrittes der Annexion
zu sehn. Ja es mußte unter Umständen die Ausdehnung der Träumerei von
einem großserbischen Reiche von 7 bis 8^ Millionen auf Kroatien befürchtet
werden. Die dort lebenden 611000 Serben sind ihr keineswegs unzugänglich.
Und sogar die Kroaten hassen die Magyaren weit mehr als die Serben. Die
gesamte serbisch-kroatische Nation stünde den Magyaren Ungarns, die mit mehr
oder weniger Recht auf 9180000 Seelen angegeben werden, nur unwesentlich
nach. Früher haben die Magyaren die Ausdehnung der Habsburgischen Herr¬
schaft auf Bosnien und Herzegowina heftig bekämpft. Namentlich war die sich
jetzt in der Negierung befindende Partei ausgesprochne Gegnerin; Barabas
gehörte zu den Ungarn, die im letzten Balkankriege offen ihre Sympathie für
die Türken erklärten und Osman Pascha einen Ehrensübel überreichten. Jetzt
ist das vollständig umgewandelt. Die Annexion ist außerordentlich populär in
Ungarn, wohl wesentlich mit aus dem Grunde, weil man dem Großserbentum
einen unübersteiglichen Damm entgegensetzen will.

Im einzelnen kommt noch hinzu, daß die jungtürkische Revolution für die
beiden Provinzen eine Schwierigkeit geschaffen hat. Die siegreiche Partei schreibt
auf ihre Fahne die Einberufung einer Volksvertretung unter Gleichberechtigung
der Muselmanen und Christen. Wie das in einem von einer fremden Macht
besetzten Lande hätte durchgeführt werden, wie sich die Abgeordneten für
Sarajewo und Mostar in das türkische Parlament sollten eingliedern können,
ist doch recht schwer zu sagen.


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[0174] Historisches und Ethnographisches zum Balkankoiiflikt so gut wie ausschließlich serbisch-kroatischen Stammes. Was die Religion be¬ trifft, so sind wir auf die Zählung von 1895 angewiesen, und diese ergab: Griechisch-katholische (Serben) ......... 673VVV Römisch-katholische (Kroaten) . . . ..... 334000 Mohammedaner . ..... ., ......., 549000 Jsraeliten (einschließlich Spaniolen) ....... 8200 Sonstige (meist Protestanten) ......... 3900 1568100 Besatzungstruppcn............. 23000 Fremde . . . ^ . . - . ^ . . . . . 71000 Also nur annähernd die Hülste der Bevölkerung ist serbisch im eigentlichen Sinne. Das reicht natürlich nicht aus, um die großserbische Idee in Serbien zum Erlöschen zu bringen. ' Natürlich kaun Österreich-Ungarn diesem Gedanken nicht Raum geben; es muß alles aufbieten, um ihn niederzuschlagen. Es muß Bosnien und Herzegowina in eignem Besitz behalten. Serbien dagegen hat seit lange nichts so eifrig be¬ kämpft wie die förmliche Annexion der beiden Provinzen durch den Donaustaat. Deren Erlangung mußte damit fast unausführbar werden. Andrerseits mußte gerade der Umstand, daß Serbien diese Idee offen begünstigte, Österreich-Ungarn zu einer Beschleunigung seiner Handlungen drängen. Hierin ist eine der wesent¬ lichsten Ursachen des in vieler Beziehung so bedenklichen Schrittes der Annexion zu sehn. Ja es mußte unter Umständen die Ausdehnung der Träumerei von einem großserbischen Reiche von 7 bis 8^ Millionen auf Kroatien befürchtet werden. Die dort lebenden 611000 Serben sind ihr keineswegs unzugänglich. Und sogar die Kroaten hassen die Magyaren weit mehr als die Serben. Die gesamte serbisch-kroatische Nation stünde den Magyaren Ungarns, die mit mehr oder weniger Recht auf 9180000 Seelen angegeben werden, nur unwesentlich nach. Früher haben die Magyaren die Ausdehnung der Habsburgischen Herr¬ schaft auf Bosnien und Herzegowina heftig bekämpft. Namentlich war die sich jetzt in der Negierung befindende Partei ausgesprochne Gegnerin; Barabas gehörte zu den Ungarn, die im letzten Balkankriege offen ihre Sympathie für die Türken erklärten und Osman Pascha einen Ehrensübel überreichten. Jetzt ist das vollständig umgewandelt. Die Annexion ist außerordentlich populär in Ungarn, wohl wesentlich mit aus dem Grunde, weil man dem Großserbentum einen unübersteiglichen Damm entgegensetzen will. Im einzelnen kommt noch hinzu, daß die jungtürkische Revolution für die beiden Provinzen eine Schwierigkeit geschaffen hat. Die siegreiche Partei schreibt auf ihre Fahne die Einberufung einer Volksvertretung unter Gleichberechtigung der Muselmanen und Christen. Wie das in einem von einer fremden Macht besetzten Lande hätte durchgeführt werden, wie sich die Abgeordneten für Sarajewo und Mostar in das türkische Parlament sollten eingliedern können, ist doch recht schwer zu sagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/174>, abgerufen am 22.07.2024.