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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt

Banat, in Serbien und Altserbien (dem nördlichen Teile des heutigen Maze¬
donien), Bosnien, Herzegowina, Dalmatien und Montenegro. Sie sind sich
sehr wohl bewußt, daß sie einst ein großes Kaiserreich gebildet haben.
Von 638 an datiert man die Einwandrung in die heutigen Sitze. Im
Jahre 1043 wurde Serbien unabhängig. Stephan Duschan nahm 1346 den
Titel eines Kaisers von Serbien an. Doch nur noch ein halbes Jahrhundert
sollte die serbische Herrlichkeit dauern. Schon fluteten die Türken über das
altersschwache oströmische Reich herein. Sultan Murad besiegte in der Schlacht
auf dem Amselfelde bei Prischtina in Altserbien den serbischen Kaiser Lazar.
Der Kaiser verlor sein Leben, das Reich führte noch bis 1459 ein klägliches
Dasein, dann ging es in der Türkenherrschaft auf. Die vielbesungne und
vielbeklagte Schlacht auf dem Amselfelde bildet noch heute ein Hanptkapitel
der serbischen Volkssage. Die türkische Herrschaft wurde von 1718 bis 1739
noch einmal durch österreichischen Besitz unterbrochen; das Lied vom Prinzen
Eugen knüpft an diese Zeit an. Doch kam die Snltausgewalt wieder, bis
das neunzehnte Jahrhundert allmählich die Befreiung brachte. Kroatiens Ge¬
schichte ist abweichend. Es hatte bis 1089 eine nationale Selbständigkeit,
fiel dann aber an Ungarn und teilt im wesentlichen dessen Geschichte, auch
die Eroberung durch die Türken.

Heute stehn Serben und Kroate,? unter vier verschiednen politischen Häuptern.
Nach der Statistik leben

Serben Krönten
in Serbien......... 2 381000 --
" Kroatien......... 611000 1479000
im sonstigen Ungarn...... 463000 255000
in Dalmatien........ 97000 48S000
" Bosnien und Herzegowina (1395) 673000 334000
" Montenegro........ 201000 13000
" Mazedonien........ ? 10000
Zusammen 4331000 2576000

Das sind einschließlich der mazedonischen Serben rund sieben Millionen, von
denen etwa zwei Drittel der griechischen Kirche angehören. Rechnet man
jedoch die 1350000 Slowenen im zisleithanischen Österreich den Kroaten
hinzu, so bleiben diese an Zahl nicht weit hinter den Serben zurück.

Zu den Bulgaren und den Serben kommt als dritte Nationalität die
albanesische, grundverschieden von den beiden andern. Die Albanesen werden
jetzt sicher als die Nachkommen der alten Jllyriker angesehen. In ihrem
bergigen, meist in abgeschlossene Täter zerfallenden, schwer zugänglichen Lande
haben sie sich der Einwandrung wie der Kolonisation gut erwehrt und auch
ihre Sprache behauptet. Sie selbst nennen sich Schkipetaren, die Türken
geben ihnen den Namen Arnauten; ähnlich heißen sie bei den umwohnenden


Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt

Banat, in Serbien und Altserbien (dem nördlichen Teile des heutigen Maze¬
donien), Bosnien, Herzegowina, Dalmatien und Montenegro. Sie sind sich
sehr wohl bewußt, daß sie einst ein großes Kaiserreich gebildet haben.
Von 638 an datiert man die Einwandrung in die heutigen Sitze. Im
Jahre 1043 wurde Serbien unabhängig. Stephan Duschan nahm 1346 den
Titel eines Kaisers von Serbien an. Doch nur noch ein halbes Jahrhundert
sollte die serbische Herrlichkeit dauern. Schon fluteten die Türken über das
altersschwache oströmische Reich herein. Sultan Murad besiegte in der Schlacht
auf dem Amselfelde bei Prischtina in Altserbien den serbischen Kaiser Lazar.
Der Kaiser verlor sein Leben, das Reich führte noch bis 1459 ein klägliches
Dasein, dann ging es in der Türkenherrschaft auf. Die vielbesungne und
vielbeklagte Schlacht auf dem Amselfelde bildet noch heute ein Hanptkapitel
der serbischen Volkssage. Die türkische Herrschaft wurde von 1718 bis 1739
noch einmal durch österreichischen Besitz unterbrochen; das Lied vom Prinzen
Eugen knüpft an diese Zeit an. Doch kam die Snltausgewalt wieder, bis
das neunzehnte Jahrhundert allmählich die Befreiung brachte. Kroatiens Ge¬
schichte ist abweichend. Es hatte bis 1089 eine nationale Selbständigkeit,
fiel dann aber an Ungarn und teilt im wesentlichen dessen Geschichte, auch
die Eroberung durch die Türken.

Heute stehn Serben und Kroate,? unter vier verschiednen politischen Häuptern.
Nach der Statistik leben

Serben Krönten
in Serbien......... 2 381000 —
„ Kroatien......... 611000 1479000
im sonstigen Ungarn...... 463000 255000
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„ Montenegro........ 201000 13000
„ Mazedonien........ ? 10000
Zusammen 4331000 2576000

Das sind einschließlich der mazedonischen Serben rund sieben Millionen, von
denen etwa zwei Drittel der griechischen Kirche angehören. Rechnet man
jedoch die 1350000 Slowenen im zisleithanischen Österreich den Kroaten
hinzu, so bleiben diese an Zahl nicht weit hinter den Serben zurück.

Zu den Bulgaren und den Serben kommt als dritte Nationalität die
albanesische, grundverschieden von den beiden andern. Die Albanesen werden
jetzt sicher als die Nachkommen der alten Jllyriker angesehen. In ihrem
bergigen, meist in abgeschlossene Täter zerfallenden, schwer zugänglichen Lande
haben sie sich der Einwandrung wie der Kolonisation gut erwehrt und auch
ihre Sprache behauptet. Sie selbst nennen sich Schkipetaren, die Türken
geben ihnen den Namen Arnauten; ähnlich heißen sie bei den umwohnenden


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[0167] Historisches und Ethnographisches zum Balkankonflikt Banat, in Serbien und Altserbien (dem nördlichen Teile des heutigen Maze¬ donien), Bosnien, Herzegowina, Dalmatien und Montenegro. Sie sind sich sehr wohl bewußt, daß sie einst ein großes Kaiserreich gebildet haben. Von 638 an datiert man die Einwandrung in die heutigen Sitze. Im Jahre 1043 wurde Serbien unabhängig. Stephan Duschan nahm 1346 den Titel eines Kaisers von Serbien an. Doch nur noch ein halbes Jahrhundert sollte die serbische Herrlichkeit dauern. Schon fluteten die Türken über das altersschwache oströmische Reich herein. Sultan Murad besiegte in der Schlacht auf dem Amselfelde bei Prischtina in Altserbien den serbischen Kaiser Lazar. Der Kaiser verlor sein Leben, das Reich führte noch bis 1459 ein klägliches Dasein, dann ging es in der Türkenherrschaft auf. Die vielbesungne und vielbeklagte Schlacht auf dem Amselfelde bildet noch heute ein Hanptkapitel der serbischen Volkssage. Die türkische Herrschaft wurde von 1718 bis 1739 noch einmal durch österreichischen Besitz unterbrochen; das Lied vom Prinzen Eugen knüpft an diese Zeit an. Doch kam die Snltausgewalt wieder, bis das neunzehnte Jahrhundert allmählich die Befreiung brachte. Kroatiens Ge¬ schichte ist abweichend. Es hatte bis 1089 eine nationale Selbständigkeit, fiel dann aber an Ungarn und teilt im wesentlichen dessen Geschichte, auch die Eroberung durch die Türken. Heute stehn Serben und Kroate,? unter vier verschiednen politischen Häuptern. Nach der Statistik leben Serben Krönten in Serbien......... 2 381000 — „ Kroatien......... 611000 1479000 im sonstigen Ungarn...... 463000 255000 in Dalmatien........ 97000 48S000 „ Bosnien und Herzegowina (1395) 673000 334000 „ Montenegro........ 201000 13000 „ Mazedonien........ ? 10000 Zusammen 4331000 2576000 Das sind einschließlich der mazedonischen Serben rund sieben Millionen, von denen etwa zwei Drittel der griechischen Kirche angehören. Rechnet man jedoch die 1350000 Slowenen im zisleithanischen Österreich den Kroaten hinzu, so bleiben diese an Zahl nicht weit hinter den Serben zurück. Zu den Bulgaren und den Serben kommt als dritte Nationalität die albanesische, grundverschieden von den beiden andern. Die Albanesen werden jetzt sicher als die Nachkommen der alten Jllyriker angesehen. In ihrem bergigen, meist in abgeschlossene Täter zerfallenden, schwer zugänglichen Lande haben sie sich der Einwandrung wie der Kolonisation gut erwehrt und auch ihre Sprache behauptet. Sie selbst nennen sich Schkipetaren, die Türken geben ihnen den Namen Arnauten; ähnlich heißen sie bei den umwohnenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/167>, abgerufen am 22.07.2024.