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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Hau?

dies ganze Jahr geträumt. Und sei jetzt am Morgen erwacht, und nun ist es also
nur ein Traum gewesen, wissen Sie! Aber wenn Sie zu uns heraus kamen, da
war es, als wenn ich die Augen noch ein klein wenig wieder schlösse, um den
Traum zurückzurufen.

Sie schwieg. Und er ging eine Weile unruhig neben ihr her. Sie waren
nun an den ersten Häusern der Stadt angelangt.

Aber, sagte er endlich -- wenn Sie das wirklich meinen, Fräulein Berry,
warum sind Sie denn seit langer Zeit nicht mehr so lieb und so natürlich gegen
mich gewesen wie im Anfang?

Bin ich das nicht gewesen?

Nein, seit der Nacht, als ich so ungeschickt war, diese dumme Äußerung über
Ihre Mutter zu machen, und wo Sie zum Schluß so besonders lieb gegen mich
waren, seitdem habe ich ja buchstäblich keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Ihnen
reden zu dürfen. Ich habe darüber nachgegrübelt, ob nicht am Ende mein böses
Mundwerk Sie so bange gemacht habe, daß Sie mir auf die Dauer nicht mehr
trauten. Aber das hätten Sie immer tun können. Und ich glaubte, ich hätte -
Sie hätten -- mich verstanden.

Ich habe Sie verstanden und habe an Sie geglaubt! Ich bin nicht im
mindesten bange gewesen.

Aber warum haben Sie denn -- ?

Ich kann Ihnen nicht gut darauf antworten. Ich kann Sie nur bitten, mir
zu glauben, daß ich nicht anders gegen Sie habe sein wollen -- aber ich -- ich
bin wohl ein wenig ungeschickt -- und vielleicht ist es auch nicht so ganz leicht
für mich -- so in verschiedner Beziehung.

Sie hielt plötzlich inne, Tränen erstickten ihre Stimme, sie wandte sich ab und
trocknete die Augen.

Aber, Fräulein Berry!

Sie wandte sich wieder ganz nach ihm um und lächelte.

Kehren Sie sich nicht daran. Denken Sie nicht daran -- es ist nur so
dumm, ich glaube, ich bin nervösI Aber kommen Sie nun recht früh heute abend,
und seien Sie gemütlich und heiter mit Vater, und glauben Sie nicht all das
dumme Zeug, was Sie vorhin redeten, sondern nur, daß Vater Sie schrecklich
gern hat, er und wir alle! Auf Wiedersehen! Hier muß ich hinein -- zur
Armenpflege!

Sie lief von ihm weg und in Pastor Kallands Haustür hinein.

Er stand noch eine Weile da und starrte die Tür an, dann schlenderte er
weiter wie im Traume.

Auf einmal blieb er stehn und stieß den Stock energisch gegen das Pflaster.
Hab! rief er laut und lächelte, und dann ging er plötzlich, so schnell er konnte, an
die Straßenecke und links nach dem Schulberg und machte nicht eher Halt, als bis
er in der Kellerstube des Pedellen stand.

Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, ob die Konferenz da oben
beendet ist?

Nein, sie ist noch im Gange.

Danke, und entschuldigen Sie! Ich warte nur auf einen der Herren.

Und dann wanderte er auf und nieder vor dem Schulportal, bis es sich schließlich
öffnete, und Oberlehrer Haut mit einer Reihe von andern Herren heraustrat. Er
wartete, bis sich der Oberlehrer verabschiedet hatte.

Guten Tag, guten Tag, mein junger Freund! Wie liebenswürdig von Ihnen,
daß Sie auf mich gewartet haben!


Oberlehrer Hau?

dies ganze Jahr geträumt. Und sei jetzt am Morgen erwacht, und nun ist es also
nur ein Traum gewesen, wissen Sie! Aber wenn Sie zu uns heraus kamen, da
war es, als wenn ich die Augen noch ein klein wenig wieder schlösse, um den
Traum zurückzurufen.

Sie schwieg. Und er ging eine Weile unruhig neben ihr her. Sie waren
nun an den ersten Häusern der Stadt angelangt.

Aber, sagte er endlich — wenn Sie das wirklich meinen, Fräulein Berry,
warum sind Sie denn seit langer Zeit nicht mehr so lieb und so natürlich gegen
mich gewesen wie im Anfang?

Bin ich das nicht gewesen?

Nein, seit der Nacht, als ich so ungeschickt war, diese dumme Äußerung über
Ihre Mutter zu machen, und wo Sie zum Schluß so besonders lieb gegen mich
waren, seitdem habe ich ja buchstäblich keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Ihnen
reden zu dürfen. Ich habe darüber nachgegrübelt, ob nicht am Ende mein böses
Mundwerk Sie so bange gemacht habe, daß Sie mir auf die Dauer nicht mehr
trauten. Aber das hätten Sie immer tun können. Und ich glaubte, ich hätte -
Sie hätten — mich verstanden.

Ich habe Sie verstanden und habe an Sie geglaubt! Ich bin nicht im
mindesten bange gewesen.

Aber warum haben Sie denn — ?

Ich kann Ihnen nicht gut darauf antworten. Ich kann Sie nur bitten, mir
zu glauben, daß ich nicht anders gegen Sie habe sein wollen — aber ich — ich
bin wohl ein wenig ungeschickt — und vielleicht ist es auch nicht so ganz leicht
für mich — so in verschiedner Beziehung.

Sie hielt plötzlich inne, Tränen erstickten ihre Stimme, sie wandte sich ab und
trocknete die Augen.

Aber, Fräulein Berry!

Sie wandte sich wieder ganz nach ihm um und lächelte.

Kehren Sie sich nicht daran. Denken Sie nicht daran — es ist nur so
dumm, ich glaube, ich bin nervösI Aber kommen Sie nun recht früh heute abend,
und seien Sie gemütlich und heiter mit Vater, und glauben Sie nicht all das
dumme Zeug, was Sie vorhin redeten, sondern nur, daß Vater Sie schrecklich
gern hat, er und wir alle! Auf Wiedersehen! Hier muß ich hinein — zur
Armenpflege!

Sie lief von ihm weg und in Pastor Kallands Haustür hinein.

Er stand noch eine Weile da und starrte die Tür an, dann schlenderte er
weiter wie im Traume.

Auf einmal blieb er stehn und stieß den Stock energisch gegen das Pflaster.
Hab! rief er laut und lächelte, und dann ging er plötzlich, so schnell er konnte, an
die Straßenecke und links nach dem Schulberg und machte nicht eher Halt, als bis
er in der Kellerstube des Pedellen stand.

Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, ob die Konferenz da oben
beendet ist?

Nein, sie ist noch im Gange.

Danke, und entschuldigen Sie! Ich warte nur auf einen der Herren.

Und dann wanderte er auf und nieder vor dem Schulportal, bis es sich schließlich
öffnete, und Oberlehrer Haut mit einer Reihe von andern Herren heraustrat. Er
wartete, bis sich der Oberlehrer verabschiedet hatte.

Guten Tag, guten Tag, mein junger Freund! Wie liebenswürdig von Ihnen,
daß Sie auf mich gewartet haben!


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[0150] Oberlehrer Hau? dies ganze Jahr geträumt. Und sei jetzt am Morgen erwacht, und nun ist es also nur ein Traum gewesen, wissen Sie! Aber wenn Sie zu uns heraus kamen, da war es, als wenn ich die Augen noch ein klein wenig wieder schlösse, um den Traum zurückzurufen. Sie schwieg. Und er ging eine Weile unruhig neben ihr her. Sie waren nun an den ersten Häusern der Stadt angelangt. Aber, sagte er endlich — wenn Sie das wirklich meinen, Fräulein Berry, warum sind Sie denn seit langer Zeit nicht mehr so lieb und so natürlich gegen mich gewesen wie im Anfang? Bin ich das nicht gewesen? Nein, seit der Nacht, als ich so ungeschickt war, diese dumme Äußerung über Ihre Mutter zu machen, und wo Sie zum Schluß so besonders lieb gegen mich waren, seitdem habe ich ja buchstäblich keine Gelegenheit mehr gehabt, mit Ihnen reden zu dürfen. Ich habe darüber nachgegrübelt, ob nicht am Ende mein böses Mundwerk Sie so bange gemacht habe, daß Sie mir auf die Dauer nicht mehr trauten. Aber das hätten Sie immer tun können. Und ich glaubte, ich hätte - Sie hätten — mich verstanden. Ich habe Sie verstanden und habe an Sie geglaubt! Ich bin nicht im mindesten bange gewesen. Aber warum haben Sie denn — ? Ich kann Ihnen nicht gut darauf antworten. Ich kann Sie nur bitten, mir zu glauben, daß ich nicht anders gegen Sie habe sein wollen — aber ich — ich bin wohl ein wenig ungeschickt — und vielleicht ist es auch nicht so ganz leicht für mich — so in verschiedner Beziehung. Sie hielt plötzlich inne, Tränen erstickten ihre Stimme, sie wandte sich ab und trocknete die Augen. Aber, Fräulein Berry! Sie wandte sich wieder ganz nach ihm um und lächelte. Kehren Sie sich nicht daran. Denken Sie nicht daran — es ist nur so dumm, ich glaube, ich bin nervösI Aber kommen Sie nun recht früh heute abend, und seien Sie gemütlich und heiter mit Vater, und glauben Sie nicht all das dumme Zeug, was Sie vorhin redeten, sondern nur, daß Vater Sie schrecklich gern hat, er und wir alle! Auf Wiedersehen! Hier muß ich hinein — zur Armenpflege! Sie lief von ihm weg und in Pastor Kallands Haustür hinein. Er stand noch eine Weile da und starrte die Tür an, dann schlenderte er weiter wie im Traume. Auf einmal blieb er stehn und stieß den Stock energisch gegen das Pflaster. Hab! rief er laut und lächelte, und dann ging er plötzlich, so schnell er konnte, an die Straßenecke und links nach dem Schulberg und machte nicht eher Halt, als bis er in der Kellerstube des Pedellen stand. Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, ob die Konferenz da oben beendet ist? Nein, sie ist noch im Gange. Danke, und entschuldigen Sie! Ich warte nur auf einen der Herren. Und dann wanderte er auf und nieder vor dem Schulportal, bis es sich schließlich öffnete, und Oberlehrer Haut mit einer Reihe von andern Herren heraustrat. Er wartete, bis sich der Oberlehrer verabschiedet hatte. Guten Tag, guten Tag, mein junger Freund! Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie auf mich gewartet haben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/150>, abgerufen am 22.07.2024.