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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Nationale politische Erziehung

Stände längst Verständnis für die politischen Aufgaben gewonnen Hütten, die
durch sie und unter ihrer Führung in Deutschland zu erfüllen sind.

Wir haben in Deutschland einen Verein, der sich das Ziel gesetzt hat,
auf einem bestimmten Gebiete Verständnis zu verbreiten für die Aufgabe des
Staates, den Flottenverein, und es ist bekannt, mit welchem Erfolge er ge¬
arbeitet hat. Nächst dem Heere ist nichts so populär in Deutschland wie die
Flotte. Die Erkenntnis, daß wir nicht nur zu Lande, sondern auch zur See
gerüstet sein müssen, hat Wurzel geschlagen, und nach der Stellung des Reichs¬
tages und der Mehrheit des Volkes zur letzten Flottenvorlage wird man an¬
nehmen können, daß auch bei künftigen Flottenvorlagen Reichstag und Volk
zur Negierung des Kaisers stehn werden. Das ist ein großer Fortschritt, aber
man sollte sich nicht damit begnügen, sich darüber zu freuen, man sollte aus
diesem Vorgange auch lernen. Warum sollte es nicht auch gelingen, die
Forderung einer nationalen, politischen Erziehung populär zu macheu? Viel¬
leicht finden sich Männer, die bereit sind, an diesem Werke mitzuarbeiten. Die
doktrinären Bedenken, die der Einführung staatsbürgerlicher Unterweisung ent¬
gegenstelln, müssen bekämpft und überwunden werden. Bieten die Lehrpläne
unsrer Schulen keinen Raum für diesen Unterricht, so müssen sie eben geändert
werden, und die Erkenntnis, daß das möglich ist, dringt auch in immer weitere
Kreise. Der Unterricht in griechischer Sprache muß früher oder später doch
fallen; sobald wir uns entschließen, ihn aufzugeben, ist auf den, Gymnasium
Zeit vorhanden für staatsbürgerliche Erziehung und zugleich für die Pflege
der englischen Sprache. Auf deu andern höhern Schulen könnte die nötige
Zeit gewonnen werden durch Einschränkung des mathematischen Unterrichts,
und auf den Hochschulen müßte für die Studierenden aller Fakultäten der
Besuch vou Vorlesungen über Bürgerkunde, oder wie man das Fach sonst
nennen will, obligatorisch gemacht werden. Will man den Deutschen auf¬
rütteln aus seiner Gleichgiltigkeit, ihn befreien von seiner Neigung zu politischen
Träumereien, dann muß man auch die Mittel wollen und sich entschließen zu
systematischer politischer Erziehung.

Der Reichskanzler hat in seiner Rede über unsre auswärtige Politik vom
30. April 1907 festgestellt, daß wir vou Gefahren umgeben sind; ruhiges
Selbstbewußtsein und Vertrauen in die Kraft der Nation seien nötig, diese
Gefahren zu überwinden. Wenn es so ist, dann wird es gut sein, die Kräfte
der Nation beizeiten zu wecken und sie zusammenzufassen, den Deutschen zu
erziehen zur Erkenntnis der Aufgaben und der Interessen unsers Staates.
Denken wir an die jüngste Vergangenheit. Im Burcnkriege schwärmte man in
Deutschland für die Buren, und seit der Zeit besteht die Entfremdung zwischen
uns und England; im amerikanisch-spanischen Kriege für Spanien, im russisch¬
japanischen Kriege für Japan. Der Deutsche hat noch immer die alte senti¬
mentale Neigung, für die Unterdrückten zu schwärmen; von der klaren Er¬
kenntnis, daß in der Politik die Gefühle zu schweigen und ausschließlich die


Nationale politische Erziehung

Stände längst Verständnis für die politischen Aufgaben gewonnen Hütten, die
durch sie und unter ihrer Führung in Deutschland zu erfüllen sind.

Wir haben in Deutschland einen Verein, der sich das Ziel gesetzt hat,
auf einem bestimmten Gebiete Verständnis zu verbreiten für die Aufgabe des
Staates, den Flottenverein, und es ist bekannt, mit welchem Erfolge er ge¬
arbeitet hat. Nächst dem Heere ist nichts so populär in Deutschland wie die
Flotte. Die Erkenntnis, daß wir nicht nur zu Lande, sondern auch zur See
gerüstet sein müssen, hat Wurzel geschlagen, und nach der Stellung des Reichs¬
tages und der Mehrheit des Volkes zur letzten Flottenvorlage wird man an¬
nehmen können, daß auch bei künftigen Flottenvorlagen Reichstag und Volk
zur Negierung des Kaisers stehn werden. Das ist ein großer Fortschritt, aber
man sollte sich nicht damit begnügen, sich darüber zu freuen, man sollte aus
diesem Vorgange auch lernen. Warum sollte es nicht auch gelingen, die
Forderung einer nationalen, politischen Erziehung populär zu macheu? Viel¬
leicht finden sich Männer, die bereit sind, an diesem Werke mitzuarbeiten. Die
doktrinären Bedenken, die der Einführung staatsbürgerlicher Unterweisung ent¬
gegenstelln, müssen bekämpft und überwunden werden. Bieten die Lehrpläne
unsrer Schulen keinen Raum für diesen Unterricht, so müssen sie eben geändert
werden, und die Erkenntnis, daß das möglich ist, dringt auch in immer weitere
Kreise. Der Unterricht in griechischer Sprache muß früher oder später doch
fallen; sobald wir uns entschließen, ihn aufzugeben, ist auf den, Gymnasium
Zeit vorhanden für staatsbürgerliche Erziehung und zugleich für die Pflege
der englischen Sprache. Auf deu andern höhern Schulen könnte die nötige
Zeit gewonnen werden durch Einschränkung des mathematischen Unterrichts,
und auf den Hochschulen müßte für die Studierenden aller Fakultäten der
Besuch vou Vorlesungen über Bürgerkunde, oder wie man das Fach sonst
nennen will, obligatorisch gemacht werden. Will man den Deutschen auf¬
rütteln aus seiner Gleichgiltigkeit, ihn befreien von seiner Neigung zu politischen
Träumereien, dann muß man auch die Mittel wollen und sich entschließen zu
systematischer politischer Erziehung.

Der Reichskanzler hat in seiner Rede über unsre auswärtige Politik vom
30. April 1907 festgestellt, daß wir vou Gefahren umgeben sind; ruhiges
Selbstbewußtsein und Vertrauen in die Kraft der Nation seien nötig, diese
Gefahren zu überwinden. Wenn es so ist, dann wird es gut sein, die Kräfte
der Nation beizeiten zu wecken und sie zusammenzufassen, den Deutschen zu
erziehen zur Erkenntnis der Aufgaben und der Interessen unsers Staates.
Denken wir an die jüngste Vergangenheit. Im Burcnkriege schwärmte man in
Deutschland für die Buren, und seit der Zeit besteht die Entfremdung zwischen
uns und England; im amerikanisch-spanischen Kriege für Spanien, im russisch¬
japanischen Kriege für Japan. Der Deutsche hat noch immer die alte senti¬
mentale Neigung, für die Unterdrückten zu schwärmen; von der klaren Er¬
kenntnis, daß in der Politik die Gefühle zu schweigen und ausschließlich die


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[0088] Nationale politische Erziehung Stände längst Verständnis für die politischen Aufgaben gewonnen Hütten, die durch sie und unter ihrer Führung in Deutschland zu erfüllen sind. Wir haben in Deutschland einen Verein, der sich das Ziel gesetzt hat, auf einem bestimmten Gebiete Verständnis zu verbreiten für die Aufgabe des Staates, den Flottenverein, und es ist bekannt, mit welchem Erfolge er ge¬ arbeitet hat. Nächst dem Heere ist nichts so populär in Deutschland wie die Flotte. Die Erkenntnis, daß wir nicht nur zu Lande, sondern auch zur See gerüstet sein müssen, hat Wurzel geschlagen, und nach der Stellung des Reichs¬ tages und der Mehrheit des Volkes zur letzten Flottenvorlage wird man an¬ nehmen können, daß auch bei künftigen Flottenvorlagen Reichstag und Volk zur Negierung des Kaisers stehn werden. Das ist ein großer Fortschritt, aber man sollte sich nicht damit begnügen, sich darüber zu freuen, man sollte aus diesem Vorgange auch lernen. Warum sollte es nicht auch gelingen, die Forderung einer nationalen, politischen Erziehung populär zu macheu? Viel¬ leicht finden sich Männer, die bereit sind, an diesem Werke mitzuarbeiten. Die doktrinären Bedenken, die der Einführung staatsbürgerlicher Unterweisung ent¬ gegenstelln, müssen bekämpft und überwunden werden. Bieten die Lehrpläne unsrer Schulen keinen Raum für diesen Unterricht, so müssen sie eben geändert werden, und die Erkenntnis, daß das möglich ist, dringt auch in immer weitere Kreise. Der Unterricht in griechischer Sprache muß früher oder später doch fallen; sobald wir uns entschließen, ihn aufzugeben, ist auf den, Gymnasium Zeit vorhanden für staatsbürgerliche Erziehung und zugleich für die Pflege der englischen Sprache. Auf deu andern höhern Schulen könnte die nötige Zeit gewonnen werden durch Einschränkung des mathematischen Unterrichts, und auf den Hochschulen müßte für die Studierenden aller Fakultäten der Besuch vou Vorlesungen über Bürgerkunde, oder wie man das Fach sonst nennen will, obligatorisch gemacht werden. Will man den Deutschen auf¬ rütteln aus seiner Gleichgiltigkeit, ihn befreien von seiner Neigung zu politischen Träumereien, dann muß man auch die Mittel wollen und sich entschließen zu systematischer politischer Erziehung. Der Reichskanzler hat in seiner Rede über unsre auswärtige Politik vom 30. April 1907 festgestellt, daß wir vou Gefahren umgeben sind; ruhiges Selbstbewußtsein und Vertrauen in die Kraft der Nation seien nötig, diese Gefahren zu überwinden. Wenn es so ist, dann wird es gut sein, die Kräfte der Nation beizeiten zu wecken und sie zusammenzufassen, den Deutschen zu erziehen zur Erkenntnis der Aufgaben und der Interessen unsers Staates. Denken wir an die jüngste Vergangenheit. Im Burcnkriege schwärmte man in Deutschland für die Buren, und seit der Zeit besteht die Entfremdung zwischen uns und England; im amerikanisch-spanischen Kriege für Spanien, im russisch¬ japanischen Kriege für Japan. Der Deutsche hat noch immer die alte senti¬ mentale Neigung, für die Unterdrückten zu schwärmen; von der klaren Er¬ kenntnis, daß in der Politik die Gefühle zu schweigen und ausschließlich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/88>, abgerufen am 26.06.2024.