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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englische Gedanken über kriegerische Macht

eine genügende Anzahl Freiwilliger dem Heere zuführen wird; was die nationale
Begeisterung aber nicht vermag, ist ausgebildete Soldaten aus der Erde zu
stampfen oder in der kürzesten Frist unausgebildete Burschen in brauchbare
Soldaten umzuwandeln.

Wird dieses von der Liga vorgeschlagne System angenommen, so würde
einerseits die Furcht vor einer Landung beim englischen Volke verschwinden,
andrerseits müßte den Gegnern Englands die Möglichkeit einer Landung be¬
deutend erschwert erscheinen. Denn gering gerechnet könnte eine solche National¬
reserve 350 000 Mann stark sein und auf Kriegsfuß zwei Millionen Menschen
aufbringen. Dabei ist vorgesehen, daß die seefahrende Bevölkerung zum
Ersatz für die Marine ausgebildet würde und die Seewehr zu bilden hätte;
diese könnte in wenigen Jahren eine Stärke von 100000 ausgebildeten Leuten
aufweisen.

So käme das System der Nationalreserve auch der Flotte zugute, der
es erstens vollständige Bewegungsfreiheit, nicht eingeschränkt durch Schutz-
Pflichten gegenüber dem heimischen Inselstaat, und ferner das Material für
eine tüchtige Seewehr zu schaffen vermöchte. Dem ganzen britischen Reiche
aber, das sich dann auf eine starke bewaffnete Macht stützen könnte, würde
durch die Annahme der besprochnen Vorschläge der zur Entwicklung von Handel
und Verkehr, zur Steigerung von Glück und Wohlstand notwendige Friede
gesichert.

Würde dann weiterhin das System im ganzen britischen Reiche zur Durch¬
führung gebracht werden, sodaß jeder britische Untertan die gleiche militärische
Schulung durchzumachen hätte, so würde auf diese Weise das stärkste Band
hergestellt, das die gesamte Rasse in gleicher Waffenbrüderschaft zu einigen
vermöchte, und dadurch die große Frage des Reichsbündnifses die einfachste
und natürlichste Lösung finden.

Im Innern aber würde die Annahme einer allgemeinen militärischen
Schulung den Gesundheits- und Kräftezustand der Nation ungeheuer heben
und entwickeln. Die Gewöhnung an Disziplin, Gehorsam, Selbstbeherrschung
und strengste Pflichterfüllung würde einen moralischen Faktor von unschätz¬
barem Wert in die Erziehung des ganzen Volkes hineintragen; ein Geist der
Vaterlandsliebe und der Kameradschaft würde entsteh". Schließlich aber würde
die Annahme der allgemeinen Wehrpflicht auch alle die nicht gern gesehenen
Gäste, die, um der Dienstpflicht in ihrer Heimat zu entgehn, die englischen
Gestade aufsuchen, von da an fernhalten. Zu allem hin würde eine große
Anzahl von Menschen für eine gewisse Zeit vom Staate aus verpflegt, dadurch
der Arbeitsmarkt von einer großen Zahl von Unbeschäftigten befreit und zugleich
die Arbeiterfrage ihrer Lösung näher gebracht werden. (Es sei hier erwähnt,
daß England die größte Zahl von Almosenempfängern hat, mehr als eine
Million, und damit mehr als Frankreich, Deutschland und Rußland zusammen.)
Wenn aber die allgemeine Wehrpflicht schon im Frieden den Arbeitsmarkt er-


Englische Gedanken über kriegerische Macht

eine genügende Anzahl Freiwilliger dem Heere zuführen wird; was die nationale
Begeisterung aber nicht vermag, ist ausgebildete Soldaten aus der Erde zu
stampfen oder in der kürzesten Frist unausgebildete Burschen in brauchbare
Soldaten umzuwandeln.

Wird dieses von der Liga vorgeschlagne System angenommen, so würde
einerseits die Furcht vor einer Landung beim englischen Volke verschwinden,
andrerseits müßte den Gegnern Englands die Möglichkeit einer Landung be¬
deutend erschwert erscheinen. Denn gering gerechnet könnte eine solche National¬
reserve 350 000 Mann stark sein und auf Kriegsfuß zwei Millionen Menschen
aufbringen. Dabei ist vorgesehen, daß die seefahrende Bevölkerung zum
Ersatz für die Marine ausgebildet würde und die Seewehr zu bilden hätte;
diese könnte in wenigen Jahren eine Stärke von 100000 ausgebildeten Leuten
aufweisen.

So käme das System der Nationalreserve auch der Flotte zugute, der
es erstens vollständige Bewegungsfreiheit, nicht eingeschränkt durch Schutz-
Pflichten gegenüber dem heimischen Inselstaat, und ferner das Material für
eine tüchtige Seewehr zu schaffen vermöchte. Dem ganzen britischen Reiche
aber, das sich dann auf eine starke bewaffnete Macht stützen könnte, würde
durch die Annahme der besprochnen Vorschläge der zur Entwicklung von Handel
und Verkehr, zur Steigerung von Glück und Wohlstand notwendige Friede
gesichert.

Würde dann weiterhin das System im ganzen britischen Reiche zur Durch¬
führung gebracht werden, sodaß jeder britische Untertan die gleiche militärische
Schulung durchzumachen hätte, so würde auf diese Weise das stärkste Band
hergestellt, das die gesamte Rasse in gleicher Waffenbrüderschaft zu einigen
vermöchte, und dadurch die große Frage des Reichsbündnifses die einfachste
und natürlichste Lösung finden.

Im Innern aber würde die Annahme einer allgemeinen militärischen
Schulung den Gesundheits- und Kräftezustand der Nation ungeheuer heben
und entwickeln. Die Gewöhnung an Disziplin, Gehorsam, Selbstbeherrschung
und strengste Pflichterfüllung würde einen moralischen Faktor von unschätz¬
barem Wert in die Erziehung des ganzen Volkes hineintragen; ein Geist der
Vaterlandsliebe und der Kameradschaft würde entsteh«. Schließlich aber würde
die Annahme der allgemeinen Wehrpflicht auch alle die nicht gern gesehenen
Gäste, die, um der Dienstpflicht in ihrer Heimat zu entgehn, die englischen
Gestade aufsuchen, von da an fernhalten. Zu allem hin würde eine große
Anzahl von Menschen für eine gewisse Zeit vom Staate aus verpflegt, dadurch
der Arbeitsmarkt von einer großen Zahl von Unbeschäftigten befreit und zugleich
die Arbeiterfrage ihrer Lösung näher gebracht werden. (Es sei hier erwähnt,
daß England die größte Zahl von Almosenempfängern hat, mehr als eine
Million, und damit mehr als Frankreich, Deutschland und Rußland zusammen.)
Wenn aber die allgemeine Wehrpflicht schon im Frieden den Arbeitsmarkt er-


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[0672] Englische Gedanken über kriegerische Macht eine genügende Anzahl Freiwilliger dem Heere zuführen wird; was die nationale Begeisterung aber nicht vermag, ist ausgebildete Soldaten aus der Erde zu stampfen oder in der kürzesten Frist unausgebildete Burschen in brauchbare Soldaten umzuwandeln. Wird dieses von der Liga vorgeschlagne System angenommen, so würde einerseits die Furcht vor einer Landung beim englischen Volke verschwinden, andrerseits müßte den Gegnern Englands die Möglichkeit einer Landung be¬ deutend erschwert erscheinen. Denn gering gerechnet könnte eine solche National¬ reserve 350 000 Mann stark sein und auf Kriegsfuß zwei Millionen Menschen aufbringen. Dabei ist vorgesehen, daß die seefahrende Bevölkerung zum Ersatz für die Marine ausgebildet würde und die Seewehr zu bilden hätte; diese könnte in wenigen Jahren eine Stärke von 100000 ausgebildeten Leuten aufweisen. So käme das System der Nationalreserve auch der Flotte zugute, der es erstens vollständige Bewegungsfreiheit, nicht eingeschränkt durch Schutz- Pflichten gegenüber dem heimischen Inselstaat, und ferner das Material für eine tüchtige Seewehr zu schaffen vermöchte. Dem ganzen britischen Reiche aber, das sich dann auf eine starke bewaffnete Macht stützen könnte, würde durch die Annahme der besprochnen Vorschläge der zur Entwicklung von Handel und Verkehr, zur Steigerung von Glück und Wohlstand notwendige Friede gesichert. Würde dann weiterhin das System im ganzen britischen Reiche zur Durch¬ führung gebracht werden, sodaß jeder britische Untertan die gleiche militärische Schulung durchzumachen hätte, so würde auf diese Weise das stärkste Band hergestellt, das die gesamte Rasse in gleicher Waffenbrüderschaft zu einigen vermöchte, und dadurch die große Frage des Reichsbündnifses die einfachste und natürlichste Lösung finden. Im Innern aber würde die Annahme einer allgemeinen militärischen Schulung den Gesundheits- und Kräftezustand der Nation ungeheuer heben und entwickeln. Die Gewöhnung an Disziplin, Gehorsam, Selbstbeherrschung und strengste Pflichterfüllung würde einen moralischen Faktor von unschätz¬ barem Wert in die Erziehung des ganzen Volkes hineintragen; ein Geist der Vaterlandsliebe und der Kameradschaft würde entsteh«. Schließlich aber würde die Annahme der allgemeinen Wehrpflicht auch alle die nicht gern gesehenen Gäste, die, um der Dienstpflicht in ihrer Heimat zu entgehn, die englischen Gestade aufsuchen, von da an fernhalten. Zu allem hin würde eine große Anzahl von Menschen für eine gewisse Zeit vom Staate aus verpflegt, dadurch der Arbeitsmarkt von einer großen Zahl von Unbeschäftigten befreit und zugleich die Arbeiterfrage ihrer Lösung näher gebracht werden. (Es sei hier erwähnt, daß England die größte Zahl von Almosenempfängern hat, mehr als eine Million, und damit mehr als Frankreich, Deutschland und Rußland zusammen.) Wenn aber die allgemeine Wehrpflicht schon im Frieden den Arbeitsmarkt er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/672>, abgerufen am 26.06.2024.