Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Zwei Hlbäume Zusicherung schon etwas abflaute. Jeder tut nach seinem Vorteil, der Oheim, ich Wir wollen die Sache ruhig besprechen und keinen Lärm machen. Alexander Schlome öffnete die Tür. Da kam sie schon von der Treppe. Sie hatte das Er übernahm das Erklären allein. Die Hochzeit ist nicht aus -- aber -- der Er eilte hinaus und suchte Schlome auf, um ihn zu trösten, was ihm mit Die amtlichen Vorschriften für die Trauung Alexander Welts mit Chain Rosen¬ Aber der Rabbiner bedeckte sie mit einem Schleier, dann kam Alexander herein. Verbannung.
Zwei Hlbäume Zusicherung schon etwas abflaute. Jeder tut nach seinem Vorteil, der Oheim, ich Wir wollen die Sache ruhig besprechen und keinen Lärm machen. Alexander Schlome öffnete die Tür. Da kam sie schon von der Treppe. Sie hatte das Er übernahm das Erklären allein. Die Hochzeit ist nicht aus — aber — der Er eilte hinaus und suchte Schlome auf, um ihn zu trösten, was ihm mit Die amtlichen Vorschriften für die Trauung Alexander Welts mit Chain Rosen¬ Aber der Rabbiner bedeckte sie mit einem Schleier, dann kam Alexander herein. Verbannung.
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Zwei Hlbäume
Zusicherung schon etwas abflaute. Jeder tut nach seinem Vorteil, der Oheim, ich
und Miriam. Wer nicht nach seinem Vorteil tut, ist von Sinnen.
Wir wollen die Sache ruhig besprechen und keinen Lärm machen. Alexander
löste die Umschlingung, in der er Miriam gehalten hatte, und bekam Plötzlich wie
infolge einer stillen Selbstvermahnung die Sprechweise aufrichtiger Milde, ähnlich
wie Miriam am ersten Abend vom Fenster aus beobachtet hatte. Wir müssen besser
auf uns achten als andre Leute, unsre Seelen sind vor dem Sinai gestanden und
sollen vor dem Kreuz Meschiachs stehn. Schlome, du wirst alles behalten, was du
wolltest, nur Miriam nicht. Und auch ihr Heiratsgut nicht! Wieder glitt ein Lächeln
um seine Augen. Damit werden wir etwas andres beginnen. Rufe Miriams Mutter
und geh.
Schlome öffnete die Tür. Da kam sie schon von der Treppe. Sie hatte das
aufgeregte Sprechen und auch ihrer Tochter Stimme darin gehört, und ihr Gesicht
war so verängstet und versorgt wie nur je. Nun stürzte Schlome an ihr vorüber,
und Miriam fand sie glücklich und weinend neben dem Hausherrn stehn. Gott über
Israel — ist die Hochzeit aus?! rief sie entsetzt.
Er übernahm das Erklären allein. Die Hochzeit ist nicht aus — aber — der
Bräutigam ist ein andrer, Frau Rosenstock, wenn Sie einverstanden sind. Ich glaube,
ihr Kind wird mit mir gehn. Bitten Sie für mich, daß sie mit mir geht und bei
mir bleibt und Kampf und Mühe mit mir teilt. Ich glaube, sie würde dann bald
auch in meinem Glauben mit mir gehn, es kann ja nicht anders sein, denn sie kann
hohe Dinge fassen. Ich glaube, sie wird den vielgeplagten Mann nicht verschmähen,
der ihr sein halbes Herz geben will, und sie wird mir ein halbes dafür wieder¬
schenken. Nicht mehr! die andre Hälfte gehört von ihr und von mir unsern Brüdern.
Und er führte Miriam zur Mutter und schob sie in ihren Arm, obwohl Frau
Malle der Zärtlichkeit ungewohnt diesen Arm zuerst gar nicht ausstrecken wollte.
Er eilte hinaus und suchte Schlome auf, um ihn zu trösten, was ihm mit
Hilfe von Rechenexempeln gelang. Hätte Miriam Geld gesucht, so hätte sie besser
getan, bei dir zu bleiben, sagte er ihm zum Schluß. Wenn sie bei mir bleibt, wird
Unruhe und viel Arbeit und Leiden ihr Los. Geh nun morgen und mach den
galizischen Holzlaus, damit du fort bist. Wenn du wiederkommst, werden wir fort¬
gehn, Miriam und ich. Dein Ölbaum soll daheim ruhig für dich weiter grünen und
dich erwarten, ob du einmal, wenn du älter bist, wenn du viel mehr erlebt hast,
wenn du die großen Scharen beizuziehn siehst, findest, daß es auch für dich noch
besseres gibt, als hier den Handel über die Grenze. Er mag ruhig neben Miriams
Baum stehn, Zion ist höher als unser Hassen und Lieben. —
Die amtlichen Vorschriften für die Trauung Alexander Welts mit Chain Rosen¬
stocks Tochter wurden so rasch wie möglich erledigt. Er ging zum Rabbiner von
Miriams Heimatstädtchen und sagte ihm. daß er obwohl Jude doch Christ sei. Der
glaubte zuerst, er sei wahnsinnig und wollte ihm dann fluchen, aber das Ende war,
daß er ihn zu trauen versprach. Miriam übergab ihrem Verlobten das von ihr
gemähte Sterbehemd, das er bei der Feier tragen mußte; er dagegen legte ein
Papier in ihre Hand, wonach Miriams Name mit dem Betrage ihres fragwürdigen
Heiratsguts in das ..goldne Buch" des Nationalfonds eingetragen und damit auch
noch im Golus*) mit dem jüdischen Heimzuge verknüpft worden sei. Sie war von
diesem Bewußtsein überglänzt wie von einem Diadem.
Aber der Rabbiner bedeckte sie mit einem Schleier, dann kam Alexander herein.
Er trug auf dem Rock die Zionistenmedaille und zeigte sie ihr. Sie las mühsam
darauf in hebräischen Buchstaben das Wort des Ezechiel: „Siehe, ich will die Kinder
Verbannung.
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