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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus der Grafschaft Glatz

jetzt 16000 Einwohner zählt. In diesen Promenaden erhebt sich auch seit
1902 auf der geräumigen Neißeinsel an der Minoritenstraße das Denkmal
des Grafen Götzen, nicht weit vom Böhmischen Tore das Kriegerdenkmal mit
dem Standbilde des Kaisers Wilhelm, und nach ihm, nach dem Kronprinzen
Friedrich, nach Moltke sind die wichtigsten Straßen und Plätze der neuen
Stadt benannt. So zeigt es sich, daß die Stadt zugleich ihrer eignen Ge¬
schichte und der neusten Entwicklung Deutschlands eingedenk bleibt, die ihr
die Freiheit von beengendem Fesseln gebracht und ihr damit erst die Stellung
als Mittelpunkt der Landschaft im vollen Sinne gegeben hat. Denn erst
seitdem ist sie auch zu einem Mittelpunkte des modernen Verkehrs geworden.
Noch 1866 war Glatz von keiner Eisenbahn erreicht. Dann wurde zuerst die
Verbindung mit Frankenstein und also mit Breslau hergestellt, 1875 die
Linie nach Mittelwalde und damit die große Verkehrsader nach Süden, nach
Wien eröffnet, 1879 die Bahn nach Neurode mit seinem Kohlenbecken, die
dann 1880 den Anschluß an die schöne Schlesische Gebirgsbahn in Dittersbach
gewann, 1888 die langerstrebte Linie nach dem böhmischen Braunau, 1890 nach
Nückers bei Reinerz und von dort bald nachher bis an die Grenze bei Nachod,
1897 endlich die Bahn nach Landeck und Seitenberg, in das waldreiche Ge¬
biet des Hohen Schneebergs hinein. In der Richtung der alten Landstraßen
schnaubt jetzt überall das Dampfroß. Das sind die neuen Denkmäler der
preußischen Verwaltung.

So eint sich Neues und Altes im Bilde des heutigen Glatz. Wir über¬
schaue" das am besten von der Höhe des Schäferberges aus, dessen nördlicher
Teil eine anspruchslose Wirtschaft und einen hölzernen Aussichtsturm trügt.
Nach Norden und Osten reicht hier der Blick weit über das blühende Land
bis an die dunkeln Waldberge des Passes von Wnrtha; dicht am AbHange
des Schäferberges zeigt sich Hassitz mit dem Schlosse des Grafen Chamare,
das einmal ein reizender, reicher Barockbau war, aber jetzt an kleine Eisen¬
bahnbeamte vermietet ist und samt seinem Park ein Bild des Verfalls dar¬
bietet; sogar der Kopf eines der beiden hohen Pfeiler des Eingangstores zum
Park ist herabgestürzt und am Boden liegen geblieben. Dicht daneben freilich
dröhnt, pustet und pfeift es vom Hauptbahnhofe her; für einen großen Herrn
kann dieses Schlößchen in der Tat kein Sitz mehr sein. Von hier führt der
Schienenstrang dicht an der Straße aufwärts unter dem Steilhange des
Schäferberges hin. und jenseits schauen noch immer die hohen Bastionen und
Wälle der Festung wie drohend herunter, sodaß die moderne Eisenstraße ebenso
unter den Kanonen liegt wie die alten Landstraßen. Jenseits der alten Stadt
mit ihren ragenden Dächern und Türmen aber erscheint in größerer Ferne
das neue, sich in der Flußebene behaglich ausbreitende Glatz. im Hintergrunde
die blauen Linien des Habelschwerdter Gebirges, das auf die kampfourch-
tobte Vergangenheit gerade so herabgeschaut hat wie jetzt auf die friedliche
Gegenwart.




Bilder aus der Grafschaft Glatz

jetzt 16000 Einwohner zählt. In diesen Promenaden erhebt sich auch seit
1902 auf der geräumigen Neißeinsel an der Minoritenstraße das Denkmal
des Grafen Götzen, nicht weit vom Böhmischen Tore das Kriegerdenkmal mit
dem Standbilde des Kaisers Wilhelm, und nach ihm, nach dem Kronprinzen
Friedrich, nach Moltke sind die wichtigsten Straßen und Plätze der neuen
Stadt benannt. So zeigt es sich, daß die Stadt zugleich ihrer eignen Ge¬
schichte und der neusten Entwicklung Deutschlands eingedenk bleibt, die ihr
die Freiheit von beengendem Fesseln gebracht und ihr damit erst die Stellung
als Mittelpunkt der Landschaft im vollen Sinne gegeben hat. Denn erst
seitdem ist sie auch zu einem Mittelpunkte des modernen Verkehrs geworden.
Noch 1866 war Glatz von keiner Eisenbahn erreicht. Dann wurde zuerst die
Verbindung mit Frankenstein und also mit Breslau hergestellt, 1875 die
Linie nach Mittelwalde und damit die große Verkehrsader nach Süden, nach
Wien eröffnet, 1879 die Bahn nach Neurode mit seinem Kohlenbecken, die
dann 1880 den Anschluß an die schöne Schlesische Gebirgsbahn in Dittersbach
gewann, 1888 die langerstrebte Linie nach dem böhmischen Braunau, 1890 nach
Nückers bei Reinerz und von dort bald nachher bis an die Grenze bei Nachod,
1897 endlich die Bahn nach Landeck und Seitenberg, in das waldreiche Ge¬
biet des Hohen Schneebergs hinein. In der Richtung der alten Landstraßen
schnaubt jetzt überall das Dampfroß. Das sind die neuen Denkmäler der
preußischen Verwaltung.

So eint sich Neues und Altes im Bilde des heutigen Glatz. Wir über¬
schaue» das am besten von der Höhe des Schäferberges aus, dessen nördlicher
Teil eine anspruchslose Wirtschaft und einen hölzernen Aussichtsturm trügt.
Nach Norden und Osten reicht hier der Blick weit über das blühende Land
bis an die dunkeln Waldberge des Passes von Wnrtha; dicht am AbHange
des Schäferberges zeigt sich Hassitz mit dem Schlosse des Grafen Chamare,
das einmal ein reizender, reicher Barockbau war, aber jetzt an kleine Eisen¬
bahnbeamte vermietet ist und samt seinem Park ein Bild des Verfalls dar¬
bietet; sogar der Kopf eines der beiden hohen Pfeiler des Eingangstores zum
Park ist herabgestürzt und am Boden liegen geblieben. Dicht daneben freilich
dröhnt, pustet und pfeift es vom Hauptbahnhofe her; für einen großen Herrn
kann dieses Schlößchen in der Tat kein Sitz mehr sein. Von hier führt der
Schienenstrang dicht an der Straße aufwärts unter dem Steilhange des
Schäferberges hin. und jenseits schauen noch immer die hohen Bastionen und
Wälle der Festung wie drohend herunter, sodaß die moderne Eisenstraße ebenso
unter den Kanonen liegt wie die alten Landstraßen. Jenseits der alten Stadt
mit ihren ragenden Dächern und Türmen aber erscheint in größerer Ferne
das neue, sich in der Flußebene behaglich ausbreitende Glatz. im Hintergrunde
die blauen Linien des Habelschwerdter Gebirges, das auf die kampfourch-
tobte Vergangenheit gerade so herabgeschaut hat wie jetzt auf die friedliche
Gegenwart.




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[0652] Bilder aus der Grafschaft Glatz jetzt 16000 Einwohner zählt. In diesen Promenaden erhebt sich auch seit 1902 auf der geräumigen Neißeinsel an der Minoritenstraße das Denkmal des Grafen Götzen, nicht weit vom Böhmischen Tore das Kriegerdenkmal mit dem Standbilde des Kaisers Wilhelm, und nach ihm, nach dem Kronprinzen Friedrich, nach Moltke sind die wichtigsten Straßen und Plätze der neuen Stadt benannt. So zeigt es sich, daß die Stadt zugleich ihrer eignen Ge¬ schichte und der neusten Entwicklung Deutschlands eingedenk bleibt, die ihr die Freiheit von beengendem Fesseln gebracht und ihr damit erst die Stellung als Mittelpunkt der Landschaft im vollen Sinne gegeben hat. Denn erst seitdem ist sie auch zu einem Mittelpunkte des modernen Verkehrs geworden. Noch 1866 war Glatz von keiner Eisenbahn erreicht. Dann wurde zuerst die Verbindung mit Frankenstein und also mit Breslau hergestellt, 1875 die Linie nach Mittelwalde und damit die große Verkehrsader nach Süden, nach Wien eröffnet, 1879 die Bahn nach Neurode mit seinem Kohlenbecken, die dann 1880 den Anschluß an die schöne Schlesische Gebirgsbahn in Dittersbach gewann, 1888 die langerstrebte Linie nach dem böhmischen Braunau, 1890 nach Nückers bei Reinerz und von dort bald nachher bis an die Grenze bei Nachod, 1897 endlich die Bahn nach Landeck und Seitenberg, in das waldreiche Ge¬ biet des Hohen Schneebergs hinein. In der Richtung der alten Landstraßen schnaubt jetzt überall das Dampfroß. Das sind die neuen Denkmäler der preußischen Verwaltung. So eint sich Neues und Altes im Bilde des heutigen Glatz. Wir über¬ schaue» das am besten von der Höhe des Schäferberges aus, dessen nördlicher Teil eine anspruchslose Wirtschaft und einen hölzernen Aussichtsturm trügt. Nach Norden und Osten reicht hier der Blick weit über das blühende Land bis an die dunkeln Waldberge des Passes von Wnrtha; dicht am AbHange des Schäferberges zeigt sich Hassitz mit dem Schlosse des Grafen Chamare, das einmal ein reizender, reicher Barockbau war, aber jetzt an kleine Eisen¬ bahnbeamte vermietet ist und samt seinem Park ein Bild des Verfalls dar¬ bietet; sogar der Kopf eines der beiden hohen Pfeiler des Eingangstores zum Park ist herabgestürzt und am Boden liegen geblieben. Dicht daneben freilich dröhnt, pustet und pfeift es vom Hauptbahnhofe her; für einen großen Herrn kann dieses Schlößchen in der Tat kein Sitz mehr sein. Von hier führt der Schienenstrang dicht an der Straße aufwärts unter dem Steilhange des Schäferberges hin. und jenseits schauen noch immer die hohen Bastionen und Wälle der Festung wie drohend herunter, sodaß die moderne Eisenstraße ebenso unter den Kanonen liegt wie die alten Landstraßen. Jenseits der alten Stadt mit ihren ragenden Dächern und Türmen aber erscheint in größerer Ferne das neue, sich in der Flußebene behaglich ausbreitende Glatz. im Hintergrunde die blauen Linien des Habelschwerdter Gebirges, das auf die kampfourch- tobte Vergangenheit gerade so herabgeschaut hat wie jetzt auf die friedliche Gegenwart.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/652>, abgerufen am 22.07.2024.