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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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und der feurigen Energie dieses Mannes ein. Was das Innere des Kanzlers
bewegte, und was sich blitzartig in diesen Augen widerspiegelte, nämlich ge¬
kränkter Stolz, verletzter Ehrgeiz, durchkreuzte Selbstsucht und schließlich und
hauptsächlich der Verlust seiner absoluten Macht -- alles dies war in diesen
Augen zu lesen____" Es ist ein ganzes Kapitel, das Hilgard dem Besuche in
Friedrichsruh widmet, und auch dem wärmsten Bismarckfreunde wird nicht un¬
interessant zu lesen sein, welchen Eindruck der Altreichskanzler auf einen Aus¬
länder machte, der den deutschen Strömungen der damaligen Zeit unbefangen
gegenüberstand. Nicht minder bedeutsam ist der übrige Inhalt der Erinnerungen
in bezug auf die Kenntnis nord amerikanisch er Verhältnisse. Es läßt sich eigent¬
lich aus so einer Schilderung eines Lebenslaufs verhältnismäßig mehr sachliches
Urteil ziehen als aus den meisten Büchern über Amerika, da diese, um den
gewaltigen, durch Klimate und Rassen beeinflußten Stoff zu bewältigen, ge¬
nötigt sind, zu sehr zu verallgemeinern und zu schablonisieren. Hoffentlich
bringt uns bald der zweite Teil*) der Lebenserinnerungen von Karl Schurz neues
Material, damit wir an konkreten Beispielen lernen, das amerikanische Leben
zu begreifen und amerikanisches Wesen erfassen, auch den Deutschamerikanismus
besser verstehn. Nach den in englischer Sprache schon veröffentlichten Auszügen
läßt sich vortreffliches erwarten.

Wie schon wiederholt betont worden ist, ist es für die Deutschen not¬
wendiger als je, sich mit Nordamerika zu beschäftigen. Die Verkehrsentwicklung
hat in wenig Jahrzehnten die Entfernungen nahezu aufgehoben, die Unter¬
schiede der Staatsformen spielen keine Rolle mehr, die Entwicklung der Welt¬
wirtschaft und die Wahrung großer Kulturinteressen drängen zu Verbindungen,
an die frühere Jahrhunderte gar nicht dachten. Die Ära der Bündnisse zu fried¬
lichen Zwecken ist von Bismarck eröffnet worden, das Bündnis mit Österreich-
Ungarn erweiterte sich zum Dreibunde, die überseeischen Entwicklungen beginnen
Europa -- mit oder ohne England -- zum Zusammenschluß zu nötigen. Zu
dem bedrohten Gebiet europäischer Kultur gehört aber auch Amerika, der Ruf:
"Völker Europas, währet eure heiligsten Güter!" hat nicht in letzter Reihe auch
für die Vereinigten Staaten Geltung. Der in Europa führende Staat muß
darum immer mit der Union enge Fühlung erhalten. Die Frage der Führung in
Europa ist noch offen, Deutschland hat keinen Grund, sich dazu zu drängen, wohl
aber alle Ursache, dem gemeinsamen Ziele zuzustreben. Dazugehört ein gutes,
auf gegenseitigem Verständnis beruhendes Verhältnis zu Amerika, das auch bei
nicht unmöglichen Rückschlägen in Europa einen Rückhalt zu gewähren vermag.





Karl Schurz, Lebenserinnerungen, II. Band, 1852 bis 1370, ist soeben im Verlage
von Georg Reimer erschienen. Er soll in einem spätern Artikel besprochen werden.
Deutsch - amerikanische Angelegenheiten

und der feurigen Energie dieses Mannes ein. Was das Innere des Kanzlers
bewegte, und was sich blitzartig in diesen Augen widerspiegelte, nämlich ge¬
kränkter Stolz, verletzter Ehrgeiz, durchkreuzte Selbstsucht und schließlich und
hauptsächlich der Verlust seiner absoluten Macht — alles dies war in diesen
Augen zu lesen____" Es ist ein ganzes Kapitel, das Hilgard dem Besuche in
Friedrichsruh widmet, und auch dem wärmsten Bismarckfreunde wird nicht un¬
interessant zu lesen sein, welchen Eindruck der Altreichskanzler auf einen Aus¬
länder machte, der den deutschen Strömungen der damaligen Zeit unbefangen
gegenüberstand. Nicht minder bedeutsam ist der übrige Inhalt der Erinnerungen
in bezug auf die Kenntnis nord amerikanisch er Verhältnisse. Es läßt sich eigent¬
lich aus so einer Schilderung eines Lebenslaufs verhältnismäßig mehr sachliches
Urteil ziehen als aus den meisten Büchern über Amerika, da diese, um den
gewaltigen, durch Klimate und Rassen beeinflußten Stoff zu bewältigen, ge¬
nötigt sind, zu sehr zu verallgemeinern und zu schablonisieren. Hoffentlich
bringt uns bald der zweite Teil*) der Lebenserinnerungen von Karl Schurz neues
Material, damit wir an konkreten Beispielen lernen, das amerikanische Leben
zu begreifen und amerikanisches Wesen erfassen, auch den Deutschamerikanismus
besser verstehn. Nach den in englischer Sprache schon veröffentlichten Auszügen
läßt sich vortreffliches erwarten.

Wie schon wiederholt betont worden ist, ist es für die Deutschen not¬
wendiger als je, sich mit Nordamerika zu beschäftigen. Die Verkehrsentwicklung
hat in wenig Jahrzehnten die Entfernungen nahezu aufgehoben, die Unter¬
schiede der Staatsformen spielen keine Rolle mehr, die Entwicklung der Welt¬
wirtschaft und die Wahrung großer Kulturinteressen drängen zu Verbindungen,
an die frühere Jahrhunderte gar nicht dachten. Die Ära der Bündnisse zu fried¬
lichen Zwecken ist von Bismarck eröffnet worden, das Bündnis mit Österreich-
Ungarn erweiterte sich zum Dreibunde, die überseeischen Entwicklungen beginnen
Europa — mit oder ohne England — zum Zusammenschluß zu nötigen. Zu
dem bedrohten Gebiet europäischer Kultur gehört aber auch Amerika, der Ruf:
„Völker Europas, währet eure heiligsten Güter!" hat nicht in letzter Reihe auch
für die Vereinigten Staaten Geltung. Der in Europa führende Staat muß
darum immer mit der Union enge Fühlung erhalten. Die Frage der Führung in
Europa ist noch offen, Deutschland hat keinen Grund, sich dazu zu drängen, wohl
aber alle Ursache, dem gemeinsamen Ziele zuzustreben. Dazugehört ein gutes,
auf gegenseitigem Verständnis beruhendes Verhältnis zu Amerika, das auch bei
nicht unmöglichen Rückschlägen in Europa einen Rückhalt zu gewähren vermag.





Karl Schurz, Lebenserinnerungen, II. Band, 1852 bis 1370, ist soeben im Verlage
von Georg Reimer erschienen. Er soll in einem spätern Artikel besprochen werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/624>, abgerufen am 23.07.2024.