Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Zwei Älbäume Verstorbnen die Unterschrift trug: Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, aber Schwerlich hätte man jemand hören können, der so in der Bibel lebte wie Die Gläubigen Moses gewinnen im Zionismus immer mehr die Oberhand, Sie sind selbst ein Schaliach und doch ein treuer Ben Israel. Mit diesen Schlome hatte seine dünnen Lippen fest zusammengekniffen, um sein inneres Es war ein holder warmer Abend im Mondlicht. Die Mutter zog sich mit Miriam hätte noch nicht schlafen können. Die stolzen herrlichen Gedanken des Im Weingang unten am Hause wandelte jemand langsam auf und ab. Es *) Apostel, Missionar.
Zwei Älbäume Verstorbnen die Unterschrift trug: Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, aber Schwerlich hätte man jemand hören können, der so in der Bibel lebte wie Die Gläubigen Moses gewinnen im Zionismus immer mehr die Oberhand, Sie sind selbst ein Schaliach und doch ein treuer Ben Israel. Mit diesen Schlome hatte seine dünnen Lippen fest zusammengekniffen, um sein inneres Es war ein holder warmer Abend im Mondlicht. Die Mutter zog sich mit Miriam hätte noch nicht schlafen können. Die stolzen herrlichen Gedanken des Im Weingang unten am Hause wandelte jemand langsam auf und ab. Es *) Apostel, Missionar.
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Zwei Älbäume
Verstorbnen die Unterschrift trug: Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, aber
der Zionismus wird nie sterben. So hat sich seit langen langen Zeiten kein Jude
in die Geschichte und in die Herzen der Unsern eingegraben, und das Echo seines
Rufs rollt von Seele zu Seele und wächst in die Ewigkeit! Diese unum¬
stößliche Gewißheit hatte er. obwohl auch er den hauptsächlichsten Rechtsgrund
nicht klar erkannte. Er wurde erweckt zum Propheten für sein Volk, daß er ihm
dies eine zeigen und predigen sollte, wie auch Jonas nur das eine kannte und
predigte: Niniveh Schicksal, und andres ihm verborgen blieb. Und Alexander Welt
begann zu reden von Mose und allen Propheten und öffnete den Frauen das Ver¬
ständnis der Schrift — zugleich auf den Messias wie auf die Endbestimmung Israels. ^
Schwerlich hätte man jemand hören können, der so in der Bibel lebte wie
er. Er bedürfte nicht der Hagada, nur das Neue Testament nahm er von seinem
Schreibtisch, um wörtlich daraus Stellen anzuführen. Die tiefsinnigsten, über¬
raschendsten Beziehungen und Zusammenhänge wußte er zu zeigen. Seine Hände
sprachen ebenso mit wie seine willensgewissen Feueraugen. Die Schriftgedanken
glühten und brodelten in ihm. Sowie seine Zuhörer zu ermatten schienen, be¬
rührte er ihren Arm, ja im Eifer ließ er sich einmal auf einen Schemel gleiten,
um Mattes Blick einzufangen, der beim Hören von Evangeliumworten zuweilen
ängstlich abirrte. Wegen Miriams hätte er sich über mangelnde Aufmerksamkeit
nicht beklagen dürfen; sie hatte heiße Wangen, und in ihrem Herzen war ein
Flämmcheii von seiner Glut aufgegangen.
Die Gläubigen Moses gewinnen im Zionismus immer mehr die Oberhand,
so schloß er. Es ist eine innere geistige Sammlung, Und wir wehren uns gegen
die Schaliachs*), die unsre Brüder zugleich abspenstig machen wollen, indem sie
sie zum christlichen Glauben bekehren. Israel — es müsse wohl gehn denen, die
dich lieben! Und Gott vergebe den Irrtum denen, die sich zu einem Werkzeug
des Abfalls machen — fangen weg die einzelnen und verstören unser Volk.
Sie sind selbst ein Schaliach und doch ein treuer Ben Israel. Mit diesen
Worten gab Frau Malle am Schluß ihr Verständnis kund, obwohl sie von der
Not, das Unerhörte in sich zu verarbeiten, ein verzagtes Gesicht hatte.
Schlome hatte seine dünnen Lippen fest zusammengekniffen, um sein inneres
Widerstreben zu verbergen. Sein geradestehendes Auge aber hing oft an Miriam,
und er sah mit Befriedigung, daß sie schön war, und daß ihr aufmerksames Ver¬
halten gegen den Oheim keiner Aneiferung mehr bedürfte.
Es war ein holder warmer Abend im Mondlicht. Die Mutter zog sich mit
Miriam früh zur Nachtruhe zurück, denn des Tages Mühsal war groß ge¬
wesen. Sie legte sich erschöpft ins Bett, während Miriam im Nebenzimmer noch
ein wenig am offnen Fenster blieb und von der würzigen Abendluft ihr Gesicht
umfächeln ließ.
Miriam hätte noch nicht schlafen können. Die stolzen herrlichen Gedanken des
Oheims brandeten und wogten in ihrem Gemüt, darüber konnte sie nicht so einfach
einschlafen. Ihren Vater hatten betrunkne Gäste manchmal an Bart und Schläfen-
löckchen gezaust, mit Zähneknirschen hatte sie es erfahren, und seine Leiche hatte sie
am Boden liegen sehen mit der schwarzen Decke verhüllt und mit dem Licht zu
Häupten, hatte mit ihren Schwestern händeringend und haarraufend um ihn gesessen.
Und nun hörte sie diese neue Mär von Hoheit und Würde des Kindes Israel! —
Im Weingang unten am Hause wandelte jemand langsam auf und ab. Es
war Alexander Welt, der vor dem Schlaf auch Wohl den Abendfrteden noch ein
*) Apostel, Missionar.
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