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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Adolf Stern

gibt". Es ist dieselbe Anschauung, die ihn an mehr als einer andern Stelle
über die ungeheure Anhäufung unnützen Materials in unserm wissenschaftlichen
Betriebe klagen läßt. Die Geschichte der "Makkabäer" von ihrer ersten bis zu
ihrer endgiltigen Fassung wird mit großer Klarheit erzählt, und alle Phasen
von Ludwigs Entwicklung bauen sich mit der echten Kunst der Steigerung vor
uns auf, die auch in Sterns Novellen herrscht. Wie so oft, wenn Dichter
und Literarhistoriker zusammentreffen, entläßt uns das Buch nicht nur bereichert
um die Wissenschaft von seinem Helden, sondern unter dem ganz persönlichen
Eindruck der großen Gestalt und der sie umgebenden Gruppen. Wieder kommt
auch hier die Kunst der Stimmung dazu, die jeder Situation in Ludwigs
Leben gewachsen ist, und für die freilich der mitteldeutsche Biograph seinem
Thüringer Dichter mehr entgegenbrachte als mancher andre manchem andern.

Die drei Bände Studien zur Literatur der Gegenwart geben zu diesem
Einzelbild so etwas wie eine Galerie von Porträts von der Blüte der
Romantik (Tieck) bis in unsre Gegenwart mitten hinein, bis zu August Strind-
berg und Gerhart Hauptmann. Es ist einer der feinsten Reize fast aller seiner
Arbeiten, daß sich persönliche Fäden hinüberziehen von Stern zu den meisten
der dargestellten Poeten. Freilich läuft ihm gerade dadurch wie billig auch
einmal eine Überschätzung unter. So erscheint Bodenstedt denn doch auf einem
zu hohen Piedestal, und sogar gegenüber den Versen des Mirza Schaffy, die
Stern zitiert, fallen einem unwillkürlich Mcmthners treffende Zeilen ein: Ihr
klöppelt geschäftig Verse wie Spitzen, drob lächeln die Dichter von ewigen
Sitzen. Und vollends gegenüber der Literatur in und nach der Umwälzung
der achtziger Jahre konnte Stern -- in anderm Sinne -- nicht ganz gerecht
sein. Abgesehen davon, daß man ihm selbst ungerecht und übel mitgespielt
hatte, gab es schließlich auch für ihn eine Grenze des Mitgehns, jenseits deren
zum Beispiel Gerhart Hauptmanns "Weber" lagen; auf der andern Seite aber
ist kaum etwas so seines über die "Einsamen Menschen" gesagt worden wie
dies, es sei ein tief fruchtbarer Grundgedanke des Stücks, daß die Vor¬
empfindung eines neuen vollkommnen Zustandes noch kein Recht gebe, diesen
Zustand sofort mit jedem Mittel verwirklichen zu wollen und höchstens die
Pflicht auferlege, den Keim auf die Nachwelt zu bringen. Und Gerhart Haupt¬
manns überragende Begabung hat Stern schon nach ihren ersten Proben er¬
kannt und gerühmt. Wenn dann Stern gegenüber der Mache und Clique, die
in bewegten Zeiten besonders herrschsüchtig auftreten, meint: "Es frommt auch
der großen Begabung nicht, schlechthin auf den Schild gehoben zu werden.
Es kommt eben doch darauf an, wessen der Schild ist" -- so scheint mir,
daß diese Worte in den deutschen Literaturstreitigkeiten auch unsrer Tage
-- leider -- so etwas wie ewige Geltung beanspruchen dürfen. Wenn die
Abneigung gegen den Naturalismus Stern rückwirkend sogar gegen den
impressionistischen Christian Friedrich Scherenberg einnahm, so hat er sich selbst
doch später zu objektivieren versucht und in seinem zuerst in diesen Blättern


Adolf Stern

gibt". Es ist dieselbe Anschauung, die ihn an mehr als einer andern Stelle
über die ungeheure Anhäufung unnützen Materials in unserm wissenschaftlichen
Betriebe klagen läßt. Die Geschichte der „Makkabäer" von ihrer ersten bis zu
ihrer endgiltigen Fassung wird mit großer Klarheit erzählt, und alle Phasen
von Ludwigs Entwicklung bauen sich mit der echten Kunst der Steigerung vor
uns auf, die auch in Sterns Novellen herrscht. Wie so oft, wenn Dichter
und Literarhistoriker zusammentreffen, entläßt uns das Buch nicht nur bereichert
um die Wissenschaft von seinem Helden, sondern unter dem ganz persönlichen
Eindruck der großen Gestalt und der sie umgebenden Gruppen. Wieder kommt
auch hier die Kunst der Stimmung dazu, die jeder Situation in Ludwigs
Leben gewachsen ist, und für die freilich der mitteldeutsche Biograph seinem
Thüringer Dichter mehr entgegenbrachte als mancher andre manchem andern.

Die drei Bände Studien zur Literatur der Gegenwart geben zu diesem
Einzelbild so etwas wie eine Galerie von Porträts von der Blüte der
Romantik (Tieck) bis in unsre Gegenwart mitten hinein, bis zu August Strind-
berg und Gerhart Hauptmann. Es ist einer der feinsten Reize fast aller seiner
Arbeiten, daß sich persönliche Fäden hinüberziehen von Stern zu den meisten
der dargestellten Poeten. Freilich läuft ihm gerade dadurch wie billig auch
einmal eine Überschätzung unter. So erscheint Bodenstedt denn doch auf einem
zu hohen Piedestal, und sogar gegenüber den Versen des Mirza Schaffy, die
Stern zitiert, fallen einem unwillkürlich Mcmthners treffende Zeilen ein: Ihr
klöppelt geschäftig Verse wie Spitzen, drob lächeln die Dichter von ewigen
Sitzen. Und vollends gegenüber der Literatur in und nach der Umwälzung
der achtziger Jahre konnte Stern — in anderm Sinne — nicht ganz gerecht
sein. Abgesehen davon, daß man ihm selbst ungerecht und übel mitgespielt
hatte, gab es schließlich auch für ihn eine Grenze des Mitgehns, jenseits deren
zum Beispiel Gerhart Hauptmanns „Weber" lagen; auf der andern Seite aber
ist kaum etwas so seines über die „Einsamen Menschen" gesagt worden wie
dies, es sei ein tief fruchtbarer Grundgedanke des Stücks, daß die Vor¬
empfindung eines neuen vollkommnen Zustandes noch kein Recht gebe, diesen
Zustand sofort mit jedem Mittel verwirklichen zu wollen und höchstens die
Pflicht auferlege, den Keim auf die Nachwelt zu bringen. Und Gerhart Haupt¬
manns überragende Begabung hat Stern schon nach ihren ersten Proben er¬
kannt und gerühmt. Wenn dann Stern gegenüber der Mache und Clique, die
in bewegten Zeiten besonders herrschsüchtig auftreten, meint: „Es frommt auch
der großen Begabung nicht, schlechthin auf den Schild gehoben zu werden.
Es kommt eben doch darauf an, wessen der Schild ist" — so scheint mir,
daß diese Worte in den deutschen Literaturstreitigkeiten auch unsrer Tage
— leider — so etwas wie ewige Geltung beanspruchen dürfen. Wenn die
Abneigung gegen den Naturalismus Stern rückwirkend sogar gegen den
impressionistischen Christian Friedrich Scherenberg einnahm, so hat er sich selbst
doch später zu objektivieren versucht und in seinem zuerst in diesen Blättern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/583>, abgerufen am 26.06.2024.