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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die Polenfrage in Preußen

Gegenwärtig gibt es 159 Turnvereine, die auf elf Sokolgaue verteilt
sind. Um die Aktionsfähigkeit dieses Netzes zu beurteilen, hat der Verfasser
festzustellen versucht, wieviel Vereine den einzelnen Gauen angehören.

"Hierbei ergibt sich die lehrreiche Beobachtung, daß die Organisation der
Soloth im umgekehrten Verhältnisse steht zu der Entwicklung der Kredit- und
Berufsorganisationen. Denn in Posen-Westpreußen, wo die Kredit- und
Berufsorganisation der Polen am besten ausgebildet ist, sind die Leistungen der
Soloth am geringsten. Die Gaue I bis IV (Posen-Westpreußen) sind, obwohl
sie die mit Polen dichtbevölkerten Gebiete umfassen, dennoch arm an Vereinen
und Mitgliedern. Sie versäumen häufig, ohne daß ein polizeilicher Zwang
abgewartet wird, die Abhaltung des jährlichen Gaufestes und versammeln sich
im Vergleich mit andern Gauen selten. Ja im Frühjahr 1907 konnte sogar
festgestellt werden, daß die Soloth in Posen-Westpreußen zurückgehn. Auch
in Oberschlesien, wo die wirtschaftliche Organisationsarbeit der Polen so be¬
deutende Fortschritte gemacht hat, und wo die Polen so dicht beieinander
wohnen, läßt die Entwicklung der Soloth zu wünschen übrig, während sich
das Sokoltum in Berlin und Rheinland-Westfalen schnell entwickelt und lebhaft
betätigt." (S. 200 bis 201.)

Der Strazverein ist erst im Frühjahr 1905 ins Leben getreten.

"Das Regulativ der Straz teilt nämlich alles "polnische Land", d. h.
diejenigen Gebiete Preußens, wo Polen wohnen, in Starosteien und Bezirke.
Jeder Starost der Straz, der auf unbestimmte Zeit ernannt wird, leitet die
Arbeit in seinem Kreis und besucht jährlich einmal in Posen die Starosten¬
versammlung. Den Starosten unterstehn Kommissäre, die verpflichtet sind, den
Anweisungen des Starosten Folge zu leisten und mit ihnen in Verbindung
zu stehn."

"Die Oberleitung hat der aus fünf Männern bestehende Vorstand, dem
ein Beirat aus achtzehn Mitgliedern zur Seite steht. Vorstand und Beirat
werden auf drei Jahre von der Hauptversammlung der Starosten gewählt,
und über dem Ganzen thront der Präsident, der mit seinem Sekretär faktisch
die ganzen Geschäfte leitet. Denn da die Hauptversammlung, die jährlich
einmal zusammentritt, im wesentlichen darauf beschränkt bleibt, die aus¬
scheidenden Mitglieder des Beirath wiederzuwählen, wird das ganze Regiment
Wie in guter alter Zeit scheinbar demokratisch, in Wirklichkeit jedoch scharf
oligarchisch geführt. Überdies hat sich der Vorstand, um sich gegen Über¬
raschungen zu sichern, statutarisch das Recht vorbehalten, jedes Vereinsmitglied
ohne Angabe von Gründen auszuschließen.*)

Forscht man, welche Interessen und Kräfte hinter diesen statutarischen
Schutzwänden verborgen sind, so findet man dort den Posener Adel. Die



§ 6: Die Aufnahme und Ausschließung der Mitglieder erfolgt durch den Hauptvorstand.
Die Ausschließung erfolgt ohne Angabe des Grundes.
Die Polenfrage in Preußen

Gegenwärtig gibt es 159 Turnvereine, die auf elf Sokolgaue verteilt
sind. Um die Aktionsfähigkeit dieses Netzes zu beurteilen, hat der Verfasser
festzustellen versucht, wieviel Vereine den einzelnen Gauen angehören.

„Hierbei ergibt sich die lehrreiche Beobachtung, daß die Organisation der
Soloth im umgekehrten Verhältnisse steht zu der Entwicklung der Kredit- und
Berufsorganisationen. Denn in Posen-Westpreußen, wo die Kredit- und
Berufsorganisation der Polen am besten ausgebildet ist, sind die Leistungen der
Soloth am geringsten. Die Gaue I bis IV (Posen-Westpreußen) sind, obwohl
sie die mit Polen dichtbevölkerten Gebiete umfassen, dennoch arm an Vereinen
und Mitgliedern. Sie versäumen häufig, ohne daß ein polizeilicher Zwang
abgewartet wird, die Abhaltung des jährlichen Gaufestes und versammeln sich
im Vergleich mit andern Gauen selten. Ja im Frühjahr 1907 konnte sogar
festgestellt werden, daß die Soloth in Posen-Westpreußen zurückgehn. Auch
in Oberschlesien, wo die wirtschaftliche Organisationsarbeit der Polen so be¬
deutende Fortschritte gemacht hat, und wo die Polen so dicht beieinander
wohnen, läßt die Entwicklung der Soloth zu wünschen übrig, während sich
das Sokoltum in Berlin und Rheinland-Westfalen schnell entwickelt und lebhaft
betätigt." (S. 200 bis 201.)

Der Strazverein ist erst im Frühjahr 1905 ins Leben getreten.

„Das Regulativ der Straz teilt nämlich alles »polnische Land«, d. h.
diejenigen Gebiete Preußens, wo Polen wohnen, in Starosteien und Bezirke.
Jeder Starost der Straz, der auf unbestimmte Zeit ernannt wird, leitet die
Arbeit in seinem Kreis und besucht jährlich einmal in Posen die Starosten¬
versammlung. Den Starosten unterstehn Kommissäre, die verpflichtet sind, den
Anweisungen des Starosten Folge zu leisten und mit ihnen in Verbindung
zu stehn."

„Die Oberleitung hat der aus fünf Männern bestehende Vorstand, dem
ein Beirat aus achtzehn Mitgliedern zur Seite steht. Vorstand und Beirat
werden auf drei Jahre von der Hauptversammlung der Starosten gewählt,
und über dem Ganzen thront der Präsident, der mit seinem Sekretär faktisch
die ganzen Geschäfte leitet. Denn da die Hauptversammlung, die jährlich
einmal zusammentritt, im wesentlichen darauf beschränkt bleibt, die aus¬
scheidenden Mitglieder des Beirath wiederzuwählen, wird das ganze Regiment
Wie in guter alter Zeit scheinbar demokratisch, in Wirklichkeit jedoch scharf
oligarchisch geführt. Überdies hat sich der Vorstand, um sich gegen Über¬
raschungen zu sichern, statutarisch das Recht vorbehalten, jedes Vereinsmitglied
ohne Angabe von Gründen auszuschließen.*)

Forscht man, welche Interessen und Kräfte hinter diesen statutarischen
Schutzwänden verborgen sind, so findet man dort den Posener Adel. Die



§ 6: Die Aufnahme und Ausschließung der Mitglieder erfolgt durch den Hauptvorstand.
Die Ausschließung erfolgt ohne Angabe des Grundes.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/558>, abgerufen am 01.07.2024.