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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

hatte dreiunddreißig Jahre seines Lebens auf die Herausgabe des sechzehnbändigen
Werkes Look ok leis Inousanä Msstits ana MAlrt verwandt, dessen sinn¬
getreuer und in sprachkünstlerischer Hinsicht unübertroffner Text von allen Kennern
auf das Höchste gerühmt wird. Die Auflage war klein, sie ist nur in tausend
Exemplaren verbreitet. Es versteht sich von selbst, daß sowohl sie wie die im
Insel-Verlag erscheinende deutsche Übersetzung nur für die Hand des gereiften
Literaturfreundes bestimmt ist, der das Erotische und besonders die naiv-heitre Art, wie
es vorgetragen wird, als eine nicht unwesentliche Seite des morgenländischen Lebens
zu würdigen weiß. Denn lüstern und mit der Absicht, auf Lüsterne zu wirken,
sind diese Dinge keineswegs erzählt, sie steheu da mit einer fröhlichen Selbstver¬
ständlichkeit, die für die sittliche Gesundheit der Kreise spricht, ans denen diese
Märchen hervorgegangen sind, oder für die sie zunächst bestimmt waren.

Über dem Ganzen aber liegt -- und gerade das kommt auch bei Greves
Übersetzung voll zur Geltung -- ein Schimmer der höchsten Poesie, die einen Ver¬
gleich mit den homerischen Gedichten wohl erlaubt. Wie hier, so finden wir auch
dort eine Anschaulichkeit der geschilderten Szenen, eine Plastik der Gestalten, eine
farbenreiche Realistik des Milieus, die trotz der schier endlosen Ausspinnung des
Fadens nie erlahmen, und die sich mit der tiefsten Weltweisheit und dem erhabensten
Gottesgedanken zu einem Gewebe vereinen, das an die fein abgestimmte Farben¬
pracht altorientalischer Teppiche erinnert, bei denen sich ja auch die bunten Bilder
des Lebens, Menschen, Tiere und Pflanzen mit den Versen des Korans zu einem
sinnlich-geistigen Ganzen verflechten.

Tausend Jahre haben den Märchen von Tausend und eine Nacht nichts an¬
zuhaben vermocht. Die Schlösser, Moscheen und Grabmonumente der Kalifen sind
zerfallen, aber die Erzählungen von ihren Taten, ihrer Weisheit und Gerechtigkeit,
ihrem Mut und ihrer List, ihren goldnen Schätzen, edeln Rossen und mandeläugigen
Frauen haben wie die Fayencefliesen ihrer Paläste auch heute noch nichts von ihren
frischen Farben eingebüßt. Und das Volk, das sie beherrschten, ist nicht minder
unsterblich: die Kaufleute, Derwische, Barbiere, Fischer, Teppichweber, Goldschmiede,
Lastträger, Garköche und Eunuchen begegnen uus noch heute in den engen Gassen
und auf dem Basare der orientalischen Städte. Kein Wunder, daß uus in den
Märchen nichts veraltet anmutet, daß wir die handelnden Personen vom Sultan
bis zum Negersklaven leibhaftig vor uns sehen, daß ihre Erlebnisse und Schicksale
uns heute uoch belustigen, in Spannung versetzen oder ergreifen. Das aber, was
diesen wundersamen Dichtungen ihren höchsten, den ethischen Wert verleiht, hat
Hugo von Hofmannsthcil in seiner Einleitung zu der neuen Ausgabe so schön aus¬
gesprochen, daß wir uus nicht versagen können, es wörtlich hier folgen zu lassen:
"Wie ein sanfter, reiner, großer Wind wehen die ewigen, einfachen, heiligen Ge¬
fühle, Gastlichkeit, Frömmigkeit, Liebestreue durch das Ganze hin. Da ist, um von
tausend Seiten eine aufzuschlagen, in der Geschichte vou Alischar und der treuen
Summurud, ein Augenblick, den ich nicht für irgendeine erhabne Stelle unsrer ehr¬
würdigsten Bücher tauschen möchte. Und es ist fast nichts. Der Liebende will seine
Geliebte befreien, die ein böser alter Geist ihm gestohlen hat. Er hat das Haus
ausgekundschaftet, er ist um Mitternacht unter dem Fenster, ein Zeichen ist verab¬
redet, er soll es nur geben, doch muß er noch eine kurze Frist warten. Da über¬
fällt ihn so ungelegen, als unwiderstehlich, als hätte das Geschick aus dem Dunkel
ihn lähmend angehaucht, ein bleierner Schlaf. "Sitzend im Dunkel der Mauer,
unter dem Fenster, heißt es, schlief er ein. Ruhm und Preis dem, den niemals
Schlummer befällt." Ich weiß uicht, welchen Zug aus Homer oder Dante ich
neben diese Zeilen stellen möchte: so aus dem Nichts in ein wirres Abenteuer
hinein das Gefühl Gottes aufgehn zu lassen wie den Mond, wenn er über den
R 5 R. H. and des Himmels heraufkommt!"


Maßgebliches und Unmaßgebliches

hatte dreiunddreißig Jahre seines Lebens auf die Herausgabe des sechzehnbändigen
Werkes Look ok leis Inousanä Msstits ana MAlrt verwandt, dessen sinn¬
getreuer und in sprachkünstlerischer Hinsicht unübertroffner Text von allen Kennern
auf das Höchste gerühmt wird. Die Auflage war klein, sie ist nur in tausend
Exemplaren verbreitet. Es versteht sich von selbst, daß sowohl sie wie die im
Insel-Verlag erscheinende deutsche Übersetzung nur für die Hand des gereiften
Literaturfreundes bestimmt ist, der das Erotische und besonders die naiv-heitre Art, wie
es vorgetragen wird, als eine nicht unwesentliche Seite des morgenländischen Lebens
zu würdigen weiß. Denn lüstern und mit der Absicht, auf Lüsterne zu wirken,
sind diese Dinge keineswegs erzählt, sie steheu da mit einer fröhlichen Selbstver¬
ständlichkeit, die für die sittliche Gesundheit der Kreise spricht, ans denen diese
Märchen hervorgegangen sind, oder für die sie zunächst bestimmt waren.

Über dem Ganzen aber liegt — und gerade das kommt auch bei Greves
Übersetzung voll zur Geltung — ein Schimmer der höchsten Poesie, die einen Ver¬
gleich mit den homerischen Gedichten wohl erlaubt. Wie hier, so finden wir auch
dort eine Anschaulichkeit der geschilderten Szenen, eine Plastik der Gestalten, eine
farbenreiche Realistik des Milieus, die trotz der schier endlosen Ausspinnung des
Fadens nie erlahmen, und die sich mit der tiefsten Weltweisheit und dem erhabensten
Gottesgedanken zu einem Gewebe vereinen, das an die fein abgestimmte Farben¬
pracht altorientalischer Teppiche erinnert, bei denen sich ja auch die bunten Bilder
des Lebens, Menschen, Tiere und Pflanzen mit den Versen des Korans zu einem
sinnlich-geistigen Ganzen verflechten.

Tausend Jahre haben den Märchen von Tausend und eine Nacht nichts an¬
zuhaben vermocht. Die Schlösser, Moscheen und Grabmonumente der Kalifen sind
zerfallen, aber die Erzählungen von ihren Taten, ihrer Weisheit und Gerechtigkeit,
ihrem Mut und ihrer List, ihren goldnen Schätzen, edeln Rossen und mandeläugigen
Frauen haben wie die Fayencefliesen ihrer Paläste auch heute noch nichts von ihren
frischen Farben eingebüßt. Und das Volk, das sie beherrschten, ist nicht minder
unsterblich: die Kaufleute, Derwische, Barbiere, Fischer, Teppichweber, Goldschmiede,
Lastträger, Garköche und Eunuchen begegnen uus noch heute in den engen Gassen
und auf dem Basare der orientalischen Städte. Kein Wunder, daß uus in den
Märchen nichts veraltet anmutet, daß wir die handelnden Personen vom Sultan
bis zum Negersklaven leibhaftig vor uns sehen, daß ihre Erlebnisse und Schicksale
uns heute uoch belustigen, in Spannung versetzen oder ergreifen. Das aber, was
diesen wundersamen Dichtungen ihren höchsten, den ethischen Wert verleiht, hat
Hugo von Hofmannsthcil in seiner Einleitung zu der neuen Ausgabe so schön aus¬
gesprochen, daß wir uus nicht versagen können, es wörtlich hier folgen zu lassen:
"Wie ein sanfter, reiner, großer Wind wehen die ewigen, einfachen, heiligen Ge¬
fühle, Gastlichkeit, Frömmigkeit, Liebestreue durch das Ganze hin. Da ist, um von
tausend Seiten eine aufzuschlagen, in der Geschichte vou Alischar und der treuen
Summurud, ein Augenblick, den ich nicht für irgendeine erhabne Stelle unsrer ehr¬
würdigsten Bücher tauschen möchte. Und es ist fast nichts. Der Liebende will seine
Geliebte befreien, die ein böser alter Geist ihm gestohlen hat. Er hat das Haus
ausgekundschaftet, er ist um Mitternacht unter dem Fenster, ein Zeichen ist verab¬
redet, er soll es nur geben, doch muß er noch eine kurze Frist warten. Da über¬
fällt ihn so ungelegen, als unwiderstehlich, als hätte das Geschick aus dem Dunkel
ihn lähmend angehaucht, ein bleierner Schlaf. »Sitzend im Dunkel der Mauer,
unter dem Fenster, heißt es, schlief er ein. Ruhm und Preis dem, den niemals
Schlummer befällt.« Ich weiß uicht, welchen Zug aus Homer oder Dante ich
neben diese Zeilen stellen möchte: so aus dem Nichts in ein wirres Abenteuer
hinein das Gefühl Gottes aufgehn zu lassen wie den Mond, wenn er über den
R 5 R. H. and des Himmels heraufkommt!"


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[0555] Maßgebliches und Unmaßgebliches hatte dreiunddreißig Jahre seines Lebens auf die Herausgabe des sechzehnbändigen Werkes Look ok leis Inousanä Msstits ana MAlrt verwandt, dessen sinn¬ getreuer und in sprachkünstlerischer Hinsicht unübertroffner Text von allen Kennern auf das Höchste gerühmt wird. Die Auflage war klein, sie ist nur in tausend Exemplaren verbreitet. Es versteht sich von selbst, daß sowohl sie wie die im Insel-Verlag erscheinende deutsche Übersetzung nur für die Hand des gereiften Literaturfreundes bestimmt ist, der das Erotische und besonders die naiv-heitre Art, wie es vorgetragen wird, als eine nicht unwesentliche Seite des morgenländischen Lebens zu würdigen weiß. Denn lüstern und mit der Absicht, auf Lüsterne zu wirken, sind diese Dinge keineswegs erzählt, sie steheu da mit einer fröhlichen Selbstver¬ ständlichkeit, die für die sittliche Gesundheit der Kreise spricht, ans denen diese Märchen hervorgegangen sind, oder für die sie zunächst bestimmt waren. Über dem Ganzen aber liegt — und gerade das kommt auch bei Greves Übersetzung voll zur Geltung — ein Schimmer der höchsten Poesie, die einen Ver¬ gleich mit den homerischen Gedichten wohl erlaubt. Wie hier, so finden wir auch dort eine Anschaulichkeit der geschilderten Szenen, eine Plastik der Gestalten, eine farbenreiche Realistik des Milieus, die trotz der schier endlosen Ausspinnung des Fadens nie erlahmen, und die sich mit der tiefsten Weltweisheit und dem erhabensten Gottesgedanken zu einem Gewebe vereinen, das an die fein abgestimmte Farben¬ pracht altorientalischer Teppiche erinnert, bei denen sich ja auch die bunten Bilder des Lebens, Menschen, Tiere und Pflanzen mit den Versen des Korans zu einem sinnlich-geistigen Ganzen verflechten. Tausend Jahre haben den Märchen von Tausend und eine Nacht nichts an¬ zuhaben vermocht. Die Schlösser, Moscheen und Grabmonumente der Kalifen sind zerfallen, aber die Erzählungen von ihren Taten, ihrer Weisheit und Gerechtigkeit, ihrem Mut und ihrer List, ihren goldnen Schätzen, edeln Rossen und mandeläugigen Frauen haben wie die Fayencefliesen ihrer Paläste auch heute noch nichts von ihren frischen Farben eingebüßt. Und das Volk, das sie beherrschten, ist nicht minder unsterblich: die Kaufleute, Derwische, Barbiere, Fischer, Teppichweber, Goldschmiede, Lastträger, Garköche und Eunuchen begegnen uus noch heute in den engen Gassen und auf dem Basare der orientalischen Städte. Kein Wunder, daß uus in den Märchen nichts veraltet anmutet, daß wir die handelnden Personen vom Sultan bis zum Negersklaven leibhaftig vor uns sehen, daß ihre Erlebnisse und Schicksale uns heute uoch belustigen, in Spannung versetzen oder ergreifen. Das aber, was diesen wundersamen Dichtungen ihren höchsten, den ethischen Wert verleiht, hat Hugo von Hofmannsthcil in seiner Einleitung zu der neuen Ausgabe so schön aus¬ gesprochen, daß wir uus nicht versagen können, es wörtlich hier folgen zu lassen: "Wie ein sanfter, reiner, großer Wind wehen die ewigen, einfachen, heiligen Ge¬ fühle, Gastlichkeit, Frömmigkeit, Liebestreue durch das Ganze hin. Da ist, um von tausend Seiten eine aufzuschlagen, in der Geschichte vou Alischar und der treuen Summurud, ein Augenblick, den ich nicht für irgendeine erhabne Stelle unsrer ehr¬ würdigsten Bücher tauschen möchte. Und es ist fast nichts. Der Liebende will seine Geliebte befreien, die ein böser alter Geist ihm gestohlen hat. Er hat das Haus ausgekundschaftet, er ist um Mitternacht unter dem Fenster, ein Zeichen ist verab¬ redet, er soll es nur geben, doch muß er noch eine kurze Frist warten. Da über¬ fällt ihn so ungelegen, als unwiderstehlich, als hätte das Geschick aus dem Dunkel ihn lähmend angehaucht, ein bleierner Schlaf. »Sitzend im Dunkel der Mauer, unter dem Fenster, heißt es, schlief er ein. Ruhm und Preis dem, den niemals Schlummer befällt.« Ich weiß uicht, welchen Zug aus Homer oder Dante ich neben diese Zeilen stellen möchte: so aus dem Nichts in ein wirres Abenteuer hinein das Gefühl Gottes aufgehn zu lassen wie den Mond, wenn er über den R 5 R. H. and des Himmels heraufkommt!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/555>, abgerufen am 29.06.2024.