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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Adolf Stern

Keiner war hierzu berufen wie Adolf Stern, der nicht nur der aufrechte
Vorkämpfer echter dichterischer Größe aus unfruchtbar gescholtner Zeit, sondern
auch selbst ein Dichter von Rang und Gaben war. Er hat sich immer schwer
darüber trösten können, daß ihm versagt war, nur als freischaffender Poet zu
leben. Mit geheimem Weh hat er als junger Mann versucht, den Zwiespalt,
in den ihn sein Leben stellte, vor sich und andern als etwas Gutes, ja Er¬
freuliches darzustellen; aber wir empfinden nur zu sehr den zweifelnden Unterton,
wenn Stern etwa im Jahre 1860, also fünfundzwanzig Jahre alt, an Hebbel
schreibt: "Hettner sprach neulich lange mit mir über den Entschluß, eine Reihe
von Jahren zwischen historischer Schilderung und poetischer Produktion zu
teilen. Er ist der Ansicht, daß die meisten jüngern Dichter zu wenig Ernst
und zu viel Oberflächlichkeit haben, er rühmt mit Recht ein kaltes Studienbad
zwischen den Freuden der Muse. Soweit scheint er mir im vollen Recht; daß
es gut sei, etwas ganz Heterogenes zu treiben, kann ich mir nicht vorstellen.
Bei der historischen Darstellung aber spielt die Kunst eine mindestens ebenso
große Rolle als die Wissenschaft, mit der bloßen Forschung ist nichts getan
und erreicht. Das Bindemittel wird immer die Imagination sein müssen, die
ein bestimmtes Bild von Zuständen und Persönlichkeiten aus hundert Einzel¬
heiten zu gewinnen weiß." Und daß Stern auch später gegen Hebbel immer
wieder dieser Frage Erwähnung tat, ohne ihr die im eignen Sinn ganz zu¬
reichende Antwort finden zu können, beweist Hebbels Brief an ihn vom 30. Sep¬
tember 1861 nach Jena, wo er damals eine Lehrstelle innehatte: "Was Sie
Ihr Entschluß, Dresden mit Jena zu vertauschen, gekostet haben muß, begreife
ich vollkommen. Dennoch haben Sie wohlgetan, denn Sie können sich dort für
alle Fälle rüsten. Es gab eine Zeit, wo selbst die Königskinder ein Handwerk
lernen mußten, wo die Prinzessinnen in die Küche gingen und die Prinzen in
die Tischler- und Schlosserwerkstatt. Ob ihnen dies während der französischen
Revolution genützt hat, weiß ich nicht; aber daß dem Dichter ein guter Vorrat
von Realien förderlich ist, und liefe es in der praktischen Anwendung auch nur
aufs wissenschaftliche Linsenwerfen hinaus, steht fest, denn man kann leichter
mit Christus auf den Wellen wandeln als mit einem Buchhändler durchs
Leben."

Es war aber doch ein guter Genius, der Stern nötigte, neben dem Dichter
Literarhistoriker zu werden, und wenn er noch in hohen Jahren seinen jungen
Freunden Hermann Anders Krüger und Adolf Bartels gegenüber den alten
Schmerz über die Lippen gehn ließ, so können wir zwar Stern die Trauer
nachempfinden, müssen uns aber zu dem Ergebnisseiner doppelten Lebensarbeit
beglückwünschen.

Friedrich Hebbel, dessen Name in diesem Zusammenhange noch oft zu
nennen sein wird, hat eine der ersten Dichtungen Adolf Sterns, das Epos
"Jerusalem", kritisch ins Leben geleitet und ihm im Gegensatz zu " Euphorien"
von Ferdinand Gregorovius, dessen Gespräche er zu deklamatorisch fand, nach-


Adolf Stern

Keiner war hierzu berufen wie Adolf Stern, der nicht nur der aufrechte
Vorkämpfer echter dichterischer Größe aus unfruchtbar gescholtner Zeit, sondern
auch selbst ein Dichter von Rang und Gaben war. Er hat sich immer schwer
darüber trösten können, daß ihm versagt war, nur als freischaffender Poet zu
leben. Mit geheimem Weh hat er als junger Mann versucht, den Zwiespalt,
in den ihn sein Leben stellte, vor sich und andern als etwas Gutes, ja Er¬
freuliches darzustellen; aber wir empfinden nur zu sehr den zweifelnden Unterton,
wenn Stern etwa im Jahre 1860, also fünfundzwanzig Jahre alt, an Hebbel
schreibt: „Hettner sprach neulich lange mit mir über den Entschluß, eine Reihe
von Jahren zwischen historischer Schilderung und poetischer Produktion zu
teilen. Er ist der Ansicht, daß die meisten jüngern Dichter zu wenig Ernst
und zu viel Oberflächlichkeit haben, er rühmt mit Recht ein kaltes Studienbad
zwischen den Freuden der Muse. Soweit scheint er mir im vollen Recht; daß
es gut sei, etwas ganz Heterogenes zu treiben, kann ich mir nicht vorstellen.
Bei der historischen Darstellung aber spielt die Kunst eine mindestens ebenso
große Rolle als die Wissenschaft, mit der bloßen Forschung ist nichts getan
und erreicht. Das Bindemittel wird immer die Imagination sein müssen, die
ein bestimmtes Bild von Zuständen und Persönlichkeiten aus hundert Einzel¬
heiten zu gewinnen weiß." Und daß Stern auch später gegen Hebbel immer
wieder dieser Frage Erwähnung tat, ohne ihr die im eignen Sinn ganz zu¬
reichende Antwort finden zu können, beweist Hebbels Brief an ihn vom 30. Sep¬
tember 1861 nach Jena, wo er damals eine Lehrstelle innehatte: „Was Sie
Ihr Entschluß, Dresden mit Jena zu vertauschen, gekostet haben muß, begreife
ich vollkommen. Dennoch haben Sie wohlgetan, denn Sie können sich dort für
alle Fälle rüsten. Es gab eine Zeit, wo selbst die Königskinder ein Handwerk
lernen mußten, wo die Prinzessinnen in die Küche gingen und die Prinzen in
die Tischler- und Schlosserwerkstatt. Ob ihnen dies während der französischen
Revolution genützt hat, weiß ich nicht; aber daß dem Dichter ein guter Vorrat
von Realien förderlich ist, und liefe es in der praktischen Anwendung auch nur
aufs wissenschaftliche Linsenwerfen hinaus, steht fest, denn man kann leichter
mit Christus auf den Wellen wandeln als mit einem Buchhändler durchs
Leben."

Es war aber doch ein guter Genius, der Stern nötigte, neben dem Dichter
Literarhistoriker zu werden, und wenn er noch in hohen Jahren seinen jungen
Freunden Hermann Anders Krüger und Adolf Bartels gegenüber den alten
Schmerz über die Lippen gehn ließ, so können wir zwar Stern die Trauer
nachempfinden, müssen uns aber zu dem Ergebnisseiner doppelten Lebensarbeit
beglückwünschen.

Friedrich Hebbel, dessen Name in diesem Zusammenhange noch oft zu
nennen sein wird, hat eine der ersten Dichtungen Adolf Sterns, das Epos
„Jerusalem", kritisch ins Leben geleitet und ihm im Gegensatz zu „ Euphorien"
von Ferdinand Gregorovius, dessen Gespräche er zu deklamatorisch fand, nach-


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[0523] Adolf Stern Keiner war hierzu berufen wie Adolf Stern, der nicht nur der aufrechte Vorkämpfer echter dichterischer Größe aus unfruchtbar gescholtner Zeit, sondern auch selbst ein Dichter von Rang und Gaben war. Er hat sich immer schwer darüber trösten können, daß ihm versagt war, nur als freischaffender Poet zu leben. Mit geheimem Weh hat er als junger Mann versucht, den Zwiespalt, in den ihn sein Leben stellte, vor sich und andern als etwas Gutes, ja Er¬ freuliches darzustellen; aber wir empfinden nur zu sehr den zweifelnden Unterton, wenn Stern etwa im Jahre 1860, also fünfundzwanzig Jahre alt, an Hebbel schreibt: „Hettner sprach neulich lange mit mir über den Entschluß, eine Reihe von Jahren zwischen historischer Schilderung und poetischer Produktion zu teilen. Er ist der Ansicht, daß die meisten jüngern Dichter zu wenig Ernst und zu viel Oberflächlichkeit haben, er rühmt mit Recht ein kaltes Studienbad zwischen den Freuden der Muse. Soweit scheint er mir im vollen Recht; daß es gut sei, etwas ganz Heterogenes zu treiben, kann ich mir nicht vorstellen. Bei der historischen Darstellung aber spielt die Kunst eine mindestens ebenso große Rolle als die Wissenschaft, mit der bloßen Forschung ist nichts getan und erreicht. Das Bindemittel wird immer die Imagination sein müssen, die ein bestimmtes Bild von Zuständen und Persönlichkeiten aus hundert Einzel¬ heiten zu gewinnen weiß." Und daß Stern auch später gegen Hebbel immer wieder dieser Frage Erwähnung tat, ohne ihr die im eignen Sinn ganz zu¬ reichende Antwort finden zu können, beweist Hebbels Brief an ihn vom 30. Sep¬ tember 1861 nach Jena, wo er damals eine Lehrstelle innehatte: „Was Sie Ihr Entschluß, Dresden mit Jena zu vertauschen, gekostet haben muß, begreife ich vollkommen. Dennoch haben Sie wohlgetan, denn Sie können sich dort für alle Fälle rüsten. Es gab eine Zeit, wo selbst die Königskinder ein Handwerk lernen mußten, wo die Prinzessinnen in die Küche gingen und die Prinzen in die Tischler- und Schlosserwerkstatt. Ob ihnen dies während der französischen Revolution genützt hat, weiß ich nicht; aber daß dem Dichter ein guter Vorrat von Realien förderlich ist, und liefe es in der praktischen Anwendung auch nur aufs wissenschaftliche Linsenwerfen hinaus, steht fest, denn man kann leichter mit Christus auf den Wellen wandeln als mit einem Buchhändler durchs Leben." Es war aber doch ein guter Genius, der Stern nötigte, neben dem Dichter Literarhistoriker zu werden, und wenn er noch in hohen Jahren seinen jungen Freunden Hermann Anders Krüger und Adolf Bartels gegenüber den alten Schmerz über die Lippen gehn ließ, so können wir zwar Stern die Trauer nachempfinden, müssen uns aber zu dem Ergebnisseiner doppelten Lebensarbeit beglückwünschen. Friedrich Hebbel, dessen Name in diesem Zusammenhange noch oft zu nennen sein wird, hat eine der ersten Dichtungen Adolf Sterns, das Epos „Jerusalem", kritisch ins Leben geleitet und ihm im Gegensatz zu „ Euphorien" von Ferdinand Gregorovius, dessen Gespräche er zu deklamatorisch fand, nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/523>, abgerufen am 22.07.2024.