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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

berechtigt wie in einem Zivilprozeß stehn sich Angeklagter und Kläger denn doch
nicht gegenüber. Mindestens nicht nach dem allgemeinen Rechtsempfinden.
Man müßte denn geradezu der Ansicht sein, die Klageerhebung stelle wegen
der darin liegenden Bezichtigung der Verleumdung schließlich auch nichts andres
als eine "Beleidigung" dar, und es stünden sich sonach im Grunde nur zwei
Beleidiger gegenüber, deren jeder sich mit gleichem Rechte bemühen möge, nach¬
zuweisen, daß der andre der schlechtere von beiden sei. Aber auch in ihrem
gegenwärtigen rechtlichen Aufbau ist die Privatklage immerhin wenigstens noch
ein Zwischending zwischen öffentlicher Anklage und Zivilprozeß. Wenn auch
nicht auf der Höhe des Staatsanwalts gegenüber dem Angeklagten, so steht
der Privatkläger doch immer noch ein wenig über seinem Gegner: ganz auf
die gleiche Stufe mit sich kann ihn dieser nur durch Erhebung der Widerklage
zwingen; und diese kann er nicht schon deswegen erheben, weil er sich durch
die Klageerhebung selbst beleidigt fühlt. Räumt aber das Gesetz und das Rechts¬
bewußtsein dem in seiner Ehre angegriffnen zunächst und bis zum Beweise
des Gegenteils ein gewisses Vorrecht vor dem Angreifer ein, so ist es nur
folgerichtig, über die Öffentlichkeit der Beweisaufnahme vor allem das Interesse
des Klägers entscheiden zu lassen. Auf welchen Rechtstitel sollte sich denn
auch in dieser Hinsicht ein Vorrecht meines Gegners gründen? Darauf, daß
er mich beleidigt hat? Dann würde aus seinem Unrecht für ihn ein Recht
erwachsen. Daraus, daß ich Klage gegen ihn erhoben habe? Dann würde
eben in der Beschreidung des Rechtsweges für mich ein Nachteil liegen. Das
Recht, das ich ihm durch meine Klageerhebung gebe, ist das, sich gegen meinen
Angriff zu verteidigen: aber nicht mehr und nicht anders, als ich selbst für
gut finde, ihn anzugreifen: und will ich die Öffentlichkeit der Beweisaufnahme
nicht, so kann auch er keine weitergehenden Rechte beanspruchen. Im übrigen
aber findet sein Interesse, sich von dem Verdachte der Verleumdung in der
Öffentlichkeit zu reinigen, volle Berücksichtigung durch die öffentliche Ver¬
kündung des Urteils und seiner Gründe. Ist es ihm durch die Beweisauf¬
nahme gelungen, sich dem Gericht gegenüber von der Anschuldigung zu reinigen,
den Beweis zu erbringen, daß er die Wahrheit gesprochen hat, daß die Klage
ungerechtfertigt war -- nun, dann wird es ja allen, die es angeht, und noch
einigen mehr durch das Urteil, durch den Ausspruch des berufnen Gerichts
auf "nichtschuldig" und "Freisprechung" kundgetan, daß er die Wahrheit ge¬
sprochen hat, daß er kein Ehrabschneider und Verleumder gewesen ist. So¬
lange aber, als ich selbst warten will, bis mir die Genugtuung zuteil wird,
ihn vor der Welt als Schänder meiner Ehre gekennzeichnet zu sehen, so lange
wird auch er sich gedulden müssen mit der Erfüllung seiner eignen gegen¬
teiligen Wünsche.

Und mit dem Augenblicke, wo man dem Kläger das Recht zuspricht,
seinerseits ohne Angabe von Gründen und ohne Widerspruchsrecht des Gegners
die Öffentlichkeit bei der Verhandlung seiner Privatklagesache auszuschließen --


Die öffentliche Brandmarkung des Beleidigten

berechtigt wie in einem Zivilprozeß stehn sich Angeklagter und Kläger denn doch
nicht gegenüber. Mindestens nicht nach dem allgemeinen Rechtsempfinden.
Man müßte denn geradezu der Ansicht sein, die Klageerhebung stelle wegen
der darin liegenden Bezichtigung der Verleumdung schließlich auch nichts andres
als eine „Beleidigung" dar, und es stünden sich sonach im Grunde nur zwei
Beleidiger gegenüber, deren jeder sich mit gleichem Rechte bemühen möge, nach¬
zuweisen, daß der andre der schlechtere von beiden sei. Aber auch in ihrem
gegenwärtigen rechtlichen Aufbau ist die Privatklage immerhin wenigstens noch
ein Zwischending zwischen öffentlicher Anklage und Zivilprozeß. Wenn auch
nicht auf der Höhe des Staatsanwalts gegenüber dem Angeklagten, so steht
der Privatkläger doch immer noch ein wenig über seinem Gegner: ganz auf
die gleiche Stufe mit sich kann ihn dieser nur durch Erhebung der Widerklage
zwingen; und diese kann er nicht schon deswegen erheben, weil er sich durch
die Klageerhebung selbst beleidigt fühlt. Räumt aber das Gesetz und das Rechts¬
bewußtsein dem in seiner Ehre angegriffnen zunächst und bis zum Beweise
des Gegenteils ein gewisses Vorrecht vor dem Angreifer ein, so ist es nur
folgerichtig, über die Öffentlichkeit der Beweisaufnahme vor allem das Interesse
des Klägers entscheiden zu lassen. Auf welchen Rechtstitel sollte sich denn
auch in dieser Hinsicht ein Vorrecht meines Gegners gründen? Darauf, daß
er mich beleidigt hat? Dann würde aus seinem Unrecht für ihn ein Recht
erwachsen. Daraus, daß ich Klage gegen ihn erhoben habe? Dann würde
eben in der Beschreidung des Rechtsweges für mich ein Nachteil liegen. Das
Recht, das ich ihm durch meine Klageerhebung gebe, ist das, sich gegen meinen
Angriff zu verteidigen: aber nicht mehr und nicht anders, als ich selbst für
gut finde, ihn anzugreifen: und will ich die Öffentlichkeit der Beweisaufnahme
nicht, so kann auch er keine weitergehenden Rechte beanspruchen. Im übrigen
aber findet sein Interesse, sich von dem Verdachte der Verleumdung in der
Öffentlichkeit zu reinigen, volle Berücksichtigung durch die öffentliche Ver¬
kündung des Urteils und seiner Gründe. Ist es ihm durch die Beweisauf¬
nahme gelungen, sich dem Gericht gegenüber von der Anschuldigung zu reinigen,
den Beweis zu erbringen, daß er die Wahrheit gesprochen hat, daß die Klage
ungerechtfertigt war — nun, dann wird es ja allen, die es angeht, und noch
einigen mehr durch das Urteil, durch den Ausspruch des berufnen Gerichts
auf „nichtschuldig" und „Freisprechung" kundgetan, daß er die Wahrheit ge¬
sprochen hat, daß er kein Ehrabschneider und Verleumder gewesen ist. So¬
lange aber, als ich selbst warten will, bis mir die Genugtuung zuteil wird,
ihn vor der Welt als Schänder meiner Ehre gekennzeichnet zu sehen, so lange
wird auch er sich gedulden müssen mit der Erfüllung seiner eignen gegen¬
teiligen Wünsche.

Und mit dem Augenblicke, wo man dem Kläger das Recht zuspricht,
seinerseits ohne Angabe von Gründen und ohne Widerspruchsrecht des Gegners
die Öffentlichkeit bei der Verhandlung seiner Privatklagesache auszuschließen —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/516>, abgerufen am 22.07.2024.