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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisserse

täuschte sich doch, wenn er in der stolzen Freude über den erreichten Erfolg
von einem völligen Siege träumte. Er brachte dabei nicht in Anschlag, daß
Goethe das, was er innerlich nun einmal erlebt und erarbeitet hatte, nicht
wieder abstreifen konnte. Sein Urteil wurde milder, er ließ gelten, er erkannte
an, wo er eine Zeit lang nur hatte hassen wollen. Aber alles wieder daran
geben, alles wieder so werden lassen, das ging denn doch nicht, und das mußte
er selbst noch erfahren.

In seinem Erscheinen und seinem klugen, offnen, mannhaften Verhalten
kann man Boisseree eine lebendige Illustration zu Goethes Wort nennen:


Höchstes Glück der Erdenkinder
Ist nur die Persönlichkeit.

Das war er im vollsten Sinne des Wortes, keine gewaltige Herrscher- und
Willensnatur, eher milde und vermittelnd, aber seine Seele glühte doch von
jenem angehaltnem erlisten Wüten, wie Faust es nennt, wenn es sich um eine
große Sache handelte. Er war einer reinen, uninteressierten Begeisterung fähig
und so in jedem Falle ein bedeutender Mensch, der überall unter all den Guten
und Großen seiner Zeit Freunde warb und fand, wovon die Reichhaltigkeit seines
Briefwechsels deutlich Zeugnis ablegt. Und wenn er es in bezug auf die Kunst
bei Goethe vielleicht nicht über ein freundliches Geltenlassen, eine bedingte An¬
erkennung- hinaufgebracht hatte, sein Herz hatte er völlig gewonnen. Eine wirk¬
liche warme Freundschaft verbindet die beiden seitdem, die ihren Ausdruck oder
ihre Betätigung in einem lebhaft geführten Briefwechsel sucht. Man darf
diesem unter den zahlreichen, die wir von dem Dichter besitzen, einen besondern
Rang zuweisen. Abgesehen von dem mit Schiller und mit Zelter ist keiner auf
einen so freundschaftlichen Ton gestimmt wie dieser. In allen andern über¬
wiegt ein besondres wissenschaftliches Interesse, wie mehrfach die Farbenlehre
den Mittelpunkt des Inhalts abgibt. Hier spricht nur der Freund zum Freunde,
und Goethe findet so viele Wendungen intimsten, man möchte sagen zärtlichen
Klanges, daß man sieht, wie sehr er mit seinem Herzen dabei beteiligt war.
Alle Wechselfülle im Leben Boisserees begleitet er mit der herzlichsten Teil¬
nahme oder mit kräftigem Segensspruche bis zu der späten Verheiratung mit
Mathilde Napp im Jahre 1828.




Goethe und die Boisserse

täuschte sich doch, wenn er in der stolzen Freude über den erreichten Erfolg
von einem völligen Siege träumte. Er brachte dabei nicht in Anschlag, daß
Goethe das, was er innerlich nun einmal erlebt und erarbeitet hatte, nicht
wieder abstreifen konnte. Sein Urteil wurde milder, er ließ gelten, er erkannte
an, wo er eine Zeit lang nur hatte hassen wollen. Aber alles wieder daran
geben, alles wieder so werden lassen, das ging denn doch nicht, und das mußte
er selbst noch erfahren.

In seinem Erscheinen und seinem klugen, offnen, mannhaften Verhalten
kann man Boisseree eine lebendige Illustration zu Goethes Wort nennen:


Höchstes Glück der Erdenkinder
Ist nur die Persönlichkeit.

Das war er im vollsten Sinne des Wortes, keine gewaltige Herrscher- und
Willensnatur, eher milde und vermittelnd, aber seine Seele glühte doch von
jenem angehaltnem erlisten Wüten, wie Faust es nennt, wenn es sich um eine
große Sache handelte. Er war einer reinen, uninteressierten Begeisterung fähig
und so in jedem Falle ein bedeutender Mensch, der überall unter all den Guten
und Großen seiner Zeit Freunde warb und fand, wovon die Reichhaltigkeit seines
Briefwechsels deutlich Zeugnis ablegt. Und wenn er es in bezug auf die Kunst
bei Goethe vielleicht nicht über ein freundliches Geltenlassen, eine bedingte An¬
erkennung- hinaufgebracht hatte, sein Herz hatte er völlig gewonnen. Eine wirk¬
liche warme Freundschaft verbindet die beiden seitdem, die ihren Ausdruck oder
ihre Betätigung in einem lebhaft geführten Briefwechsel sucht. Man darf
diesem unter den zahlreichen, die wir von dem Dichter besitzen, einen besondern
Rang zuweisen. Abgesehen von dem mit Schiller und mit Zelter ist keiner auf
einen so freundschaftlichen Ton gestimmt wie dieser. In allen andern über¬
wiegt ein besondres wissenschaftliches Interesse, wie mehrfach die Farbenlehre
den Mittelpunkt des Inhalts abgibt. Hier spricht nur der Freund zum Freunde,
und Goethe findet so viele Wendungen intimsten, man möchte sagen zärtlichen
Klanges, daß man sieht, wie sehr er mit seinem Herzen dabei beteiligt war.
Alle Wechselfülle im Leben Boisserees begleitet er mit der herzlichsten Teil¬
nahme oder mit kräftigem Segensspruche bis zu der späten Verheiratung mit
Mathilde Napp im Jahre 1828.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/50>, abgerufen am 23.07.2024.