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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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August Axel, eine Studie aus dem alten Leipzig

Krankheit, die ihn bei seiner Engbrüstigkeit schon mehrmals an den Rand des
Grabes gebracht hatte, und dieser erlag er, obwohl er wie ein Held dagegen
ankämpfte, am 9. August 1816. Erschütternd wirkt ein Bericht des Tot¬
kranken, der sich abschriftlich in einem Briefe Fouques an Miltitz erhalten hat:
". . . der Feind teuschte diesesmal nur durch seine bewiesene Nachgiebigkeit,
denn er faßte mich von einer peinlichern Seite und lähmte oder schwächte
mir wenigstens die Kraft der Lungen in solchem Grade, daß mein Athmen
nur in einer Folge unhinlänglicher Versuche besteht. Die Erhitzung des
Kopfes durch diese Anstrengung bringt dabei die über alle Vorstellung ent¬
setzliche Schlaflosigkeit vor. Wie der Wasserscheue vor brennendem Durst
vergeht, und doch den Anblick der Labung mit Zuckungen flieht, so geht es
dem Schlafscheuen mit dem Schlaf, und Shakespeares "Makbeth hat den
Schlaf gemordet", bekommt in solchen Nächten eine zum Wahnsinn führende
Gräßlichkeit. Ich zäle solcher Nächte jetzt vier in ununterbrochener Folge
und bin davon so zum Tod matt, daß ich kaum die Feder halten und lesen
kann, was ich schreibe. In der zweiten schien es mir ganz fülbar zu werden,
wie der luftige Regent des Lebens wich und mir seinen Abschied sagte. Aber
ich faßte alle Kräfte zusammen, nicht zwar in der Brust, denn diese war leer
an Kraft, aber im Willen und im Glauben, denn ich wollte doch gern
wenigstens mein Haus bestellen, oder wenn es sein könnte, noch einen Herbst
und Frühling leben mit meinen lieben Freunden. Und da mag ich wohl
tapfer und gottwohlgefällig gekämpft haben, denn es blieb bei dem Todes¬
schmerz für diesesmal. Nun will ich morgen nach Leipzig um den Arzt nah
zu haben. Komme es wie Gott wolle, so wollte ich doch noch von hier aus
meinen Abschied Ihnen schreiben, mein herzlich geliebter Fouque, sei es ein
wirklicher, oder ein geahnter. Aber für heute, gute Nacht."

Rührend tönen die Klagen der Freunde in Wort und Lied um den
Heimgegangnen. Miltitz schreibt am 13. August an seinen Bruder: "Apel
ist nicht mehr. Er starb am 8. August in Fritzens Armen an den Folgen
des organischen Fehlers im Halse, der ihn schon so oft dem Grabe nahe
brachte. Er ist hin und mit ihm die eine Hälfte meiner geistigen Existenz.
Sein Beyfall war in gelehrtem und ästhetischem Treiben mein Zweck und
Lohn. Er war mir fast mehr als Fouque. Seine Stelle im Herzen bleibt
unersetzt: denn wo fände ich soviel Liebenswürdigkeit, soviel Güte bey solcher
genialen Kraft und so siegender Gelehrsamkeit? Er hat meiner in seinen letzten
Augenblicken gedacht -- das wiegt die ganze Dresdner Welt an Qualität und
Quantität auf, und ihr Vergessen meiner Individualität ist mir nun eine wahre
Wohltat."

Fassen wir nun die einzelnen Züge zu einem Gesamtbilde zusammen.
Apel läßt sich als Dichter und Ästhetiker keiner bestimmten Schule eingliedern,
vielmehr faßte sein reicher, leicht beweglicher Geist alle literarischen und
künstlerischen Strömungen seiner Zeit in sich zusammen: das Pathos der alten


August Axel, eine Studie aus dem alten Leipzig

Krankheit, die ihn bei seiner Engbrüstigkeit schon mehrmals an den Rand des
Grabes gebracht hatte, und dieser erlag er, obwohl er wie ein Held dagegen
ankämpfte, am 9. August 1816. Erschütternd wirkt ein Bericht des Tot¬
kranken, der sich abschriftlich in einem Briefe Fouques an Miltitz erhalten hat:
„. . . der Feind teuschte diesesmal nur durch seine bewiesene Nachgiebigkeit,
denn er faßte mich von einer peinlichern Seite und lähmte oder schwächte
mir wenigstens die Kraft der Lungen in solchem Grade, daß mein Athmen
nur in einer Folge unhinlänglicher Versuche besteht. Die Erhitzung des
Kopfes durch diese Anstrengung bringt dabei die über alle Vorstellung ent¬
setzliche Schlaflosigkeit vor. Wie der Wasserscheue vor brennendem Durst
vergeht, und doch den Anblick der Labung mit Zuckungen flieht, so geht es
dem Schlafscheuen mit dem Schlaf, und Shakespeares »Makbeth hat den
Schlaf gemordet«, bekommt in solchen Nächten eine zum Wahnsinn führende
Gräßlichkeit. Ich zäle solcher Nächte jetzt vier in ununterbrochener Folge
und bin davon so zum Tod matt, daß ich kaum die Feder halten und lesen
kann, was ich schreibe. In der zweiten schien es mir ganz fülbar zu werden,
wie der luftige Regent des Lebens wich und mir seinen Abschied sagte. Aber
ich faßte alle Kräfte zusammen, nicht zwar in der Brust, denn diese war leer
an Kraft, aber im Willen und im Glauben, denn ich wollte doch gern
wenigstens mein Haus bestellen, oder wenn es sein könnte, noch einen Herbst
und Frühling leben mit meinen lieben Freunden. Und da mag ich wohl
tapfer und gottwohlgefällig gekämpft haben, denn es blieb bei dem Todes¬
schmerz für diesesmal. Nun will ich morgen nach Leipzig um den Arzt nah
zu haben. Komme es wie Gott wolle, so wollte ich doch noch von hier aus
meinen Abschied Ihnen schreiben, mein herzlich geliebter Fouque, sei es ein
wirklicher, oder ein geahnter. Aber für heute, gute Nacht."

Rührend tönen die Klagen der Freunde in Wort und Lied um den
Heimgegangnen. Miltitz schreibt am 13. August an seinen Bruder: „Apel
ist nicht mehr. Er starb am 8. August in Fritzens Armen an den Folgen
des organischen Fehlers im Halse, der ihn schon so oft dem Grabe nahe
brachte. Er ist hin und mit ihm die eine Hälfte meiner geistigen Existenz.
Sein Beyfall war in gelehrtem und ästhetischem Treiben mein Zweck und
Lohn. Er war mir fast mehr als Fouque. Seine Stelle im Herzen bleibt
unersetzt: denn wo fände ich soviel Liebenswürdigkeit, soviel Güte bey solcher
genialen Kraft und so siegender Gelehrsamkeit? Er hat meiner in seinen letzten
Augenblicken gedacht — das wiegt die ganze Dresdner Welt an Qualität und
Quantität auf, und ihr Vergessen meiner Individualität ist mir nun eine wahre
Wohltat."

Fassen wir nun die einzelnen Züge zu einem Gesamtbilde zusammen.
Apel läßt sich als Dichter und Ästhetiker keiner bestimmten Schule eingliedern,
vielmehr faßte sein reicher, leicht beweglicher Geist alle literarischen und
künstlerischen Strömungen seiner Zeit in sich zusammen: das Pathos der alten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/480>, abgerufen am 01.07.2024.