Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuer deutscher Idealismus

parlamentarische System, das heißt die Übertragung der Exekutive an den Reichs¬
tag, bei der äußern und innern Lage unsers Vaterlands eine Unmöglichkeit ist. es
braucht darum hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden. Nur eine Nutz¬
anwendung aus der nächst hinter uns liegenden Zeit möge gezogen werden.
Wenn bei uns die parlamentarische Regierungsweise bestanden hätte, so wäre
nach der Abstimmung am 13. Dezember die Reichsregierung zum Rücktritt ge¬
nötigt gewesen, und in dem neuen Ministerium hätte dann notwendigerweise
Herr Roeren sitzen müssen.

Die deutschen Verfassungen schneiden freilich den Parteiführern die Aus¬
sicht ab, ohne Wahl durch die Krone Minister zu werden, aber dieses sogenannte
Opfer muß eben auf den Altar des Vaterlands gebracht werden. Miquel und
Möller sind trotzdem Minister geworden, weil sie dafür tüchtig waren, und die
Berufung Dernburgs und andrer beweist doch, daß gerade in der Gegenwart in
dieser Hinsicht in Deutschland keine Vorurteile bestehn. Daß man aber von
einem Minister, im Gegensatz zum Beispiel zu Frankreich, bei uns mehr ver¬
langt, als daß er Meister der Partei-, Zeitungs- und Redetaktik ist, hat sich
nur als ein Vorteil für unser Vaterland erwiesen. Man möge sich darum mit
der anscheinend bescheidnen, aber darum doch nicht minder wichtigen Stellung
und Ausgabe genügen lassen, die unsre Verfassung der Arbeits- und Schaffens¬
kraft der Parlamentarier gestellt hat, man möge auch vor allem den aus dem
Auslande hereingetragnen und auch dort sehr fragwürdigen parlamentarischen
Aufputz und den damit zusammenhängenden Parteizuschnitt fallen lassen. Was
soll das ganze Gerede von einer "Blockpolitik"? Weil Clemenceau einen Block
braucht, der ihn in der Regierung erhält, muß da Fürst Bülow auch einen
haben? Ein deutscher Reichskanzler bedarf keines.Blocks, er braucht bloß Parteien,
die so viel von ihrem besondern Standpunkte nachzulassen vermögen, daß sie
dem Reiche geben, was des Reichs ist. Im Amt erhält ihn das kaiserliche
Vertrauen, und wenn dieses einmal verloren gegangen wäre, würde ihn kein
Block halten. In der Gegenwart erfüllen zur großen Befriedigung der Be¬
völkerung die konservativen und liberalen Parteien die der Verfassung ent¬
sprechenden Aufgaben, und es möge nur recht lange so bleiben, denn beide
Gruppen stehn trotz ihrer abweichenden Anschauungen auf dem Boden des Reichs
und sind nicht durch Grundsätze vereinigt, die außerhalb des Reichsgedankens
liegen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß keine Opposition getrieben
werden solle: im Gegenteil, eine sachliche und gründliche Opposition kann dem
Vaterlande nur nützlich sein, aber Opponieren und Reden zu Parteizwecken
wie in andern Ländern, wo man dadurch die Partei stärken und an die Ne¬
gierung gelangen kann, sind bei uns mindestens von Überfluß. Was haben
denn seit vier Jahrzehnten alle die Reden zum Fenster hinaus genützt, außer
daß sie zugunsten der Umsturzparteien gewirkt haben? Die letzten Wahlen haben
doch wieder einmal bewiesen, daß der deutsche Wähler seine Männer zu finden
weiß; er wählt die, die seine Ideale hegen.


Neuer deutscher Idealismus

parlamentarische System, das heißt die Übertragung der Exekutive an den Reichs¬
tag, bei der äußern und innern Lage unsers Vaterlands eine Unmöglichkeit ist. es
braucht darum hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden. Nur eine Nutz¬
anwendung aus der nächst hinter uns liegenden Zeit möge gezogen werden.
Wenn bei uns die parlamentarische Regierungsweise bestanden hätte, so wäre
nach der Abstimmung am 13. Dezember die Reichsregierung zum Rücktritt ge¬
nötigt gewesen, und in dem neuen Ministerium hätte dann notwendigerweise
Herr Roeren sitzen müssen.

Die deutschen Verfassungen schneiden freilich den Parteiführern die Aus¬
sicht ab, ohne Wahl durch die Krone Minister zu werden, aber dieses sogenannte
Opfer muß eben auf den Altar des Vaterlands gebracht werden. Miquel und
Möller sind trotzdem Minister geworden, weil sie dafür tüchtig waren, und die
Berufung Dernburgs und andrer beweist doch, daß gerade in der Gegenwart in
dieser Hinsicht in Deutschland keine Vorurteile bestehn. Daß man aber von
einem Minister, im Gegensatz zum Beispiel zu Frankreich, bei uns mehr ver¬
langt, als daß er Meister der Partei-, Zeitungs- und Redetaktik ist, hat sich
nur als ein Vorteil für unser Vaterland erwiesen. Man möge sich darum mit
der anscheinend bescheidnen, aber darum doch nicht minder wichtigen Stellung
und Ausgabe genügen lassen, die unsre Verfassung der Arbeits- und Schaffens¬
kraft der Parlamentarier gestellt hat, man möge auch vor allem den aus dem
Auslande hereingetragnen und auch dort sehr fragwürdigen parlamentarischen
Aufputz und den damit zusammenhängenden Parteizuschnitt fallen lassen. Was
soll das ganze Gerede von einer „Blockpolitik"? Weil Clemenceau einen Block
braucht, der ihn in der Regierung erhält, muß da Fürst Bülow auch einen
haben? Ein deutscher Reichskanzler bedarf keines.Blocks, er braucht bloß Parteien,
die so viel von ihrem besondern Standpunkte nachzulassen vermögen, daß sie
dem Reiche geben, was des Reichs ist. Im Amt erhält ihn das kaiserliche
Vertrauen, und wenn dieses einmal verloren gegangen wäre, würde ihn kein
Block halten. In der Gegenwart erfüllen zur großen Befriedigung der Be¬
völkerung die konservativen und liberalen Parteien die der Verfassung ent¬
sprechenden Aufgaben, und es möge nur recht lange so bleiben, denn beide
Gruppen stehn trotz ihrer abweichenden Anschauungen auf dem Boden des Reichs
und sind nicht durch Grundsätze vereinigt, die außerhalb des Reichsgedankens
liegen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß keine Opposition getrieben
werden solle: im Gegenteil, eine sachliche und gründliche Opposition kann dem
Vaterlande nur nützlich sein, aber Opponieren und Reden zu Parteizwecken
wie in andern Ländern, wo man dadurch die Partei stärken und an die Ne¬
gierung gelangen kann, sind bei uns mindestens von Überfluß. Was haben
denn seit vier Jahrzehnten alle die Reden zum Fenster hinaus genützt, außer
daß sie zugunsten der Umsturzparteien gewirkt haben? Die letzten Wahlen haben
doch wieder einmal bewiesen, daß der deutsche Wähler seine Männer zu finden
weiß; er wählt die, die seine Ideale hegen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303868"/>
          <fw type="header" place="top"> Neuer deutscher Idealismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2030" prev="#ID_2029"> parlamentarische System, das heißt die Übertragung der Exekutive an den Reichs¬<lb/>
tag, bei der äußern und innern Lage unsers Vaterlands eine Unmöglichkeit ist. es<lb/>
braucht darum hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden. Nur eine Nutz¬<lb/>
anwendung aus der nächst hinter uns liegenden Zeit möge gezogen werden.<lb/>
Wenn bei uns die parlamentarische Regierungsweise bestanden hätte, so wäre<lb/>
nach der Abstimmung am 13. Dezember die Reichsregierung zum Rücktritt ge¬<lb/>
nötigt gewesen, und in dem neuen Ministerium hätte dann notwendigerweise<lb/>
Herr Roeren sitzen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2031"> Die deutschen Verfassungen schneiden freilich den Parteiführern die Aus¬<lb/>
sicht ab, ohne Wahl durch die Krone Minister zu werden, aber dieses sogenannte<lb/>
Opfer muß eben auf den Altar des Vaterlands gebracht werden. Miquel und<lb/>
Möller sind trotzdem Minister geworden, weil sie dafür tüchtig waren, und die<lb/>
Berufung Dernburgs und andrer beweist doch, daß gerade in der Gegenwart in<lb/>
dieser Hinsicht in Deutschland keine Vorurteile bestehn. Daß man aber von<lb/>
einem Minister, im Gegensatz zum Beispiel zu Frankreich, bei uns mehr ver¬<lb/>
langt, als daß er Meister der Partei-, Zeitungs- und Redetaktik ist, hat sich<lb/>
nur als ein Vorteil für unser Vaterland erwiesen. Man möge sich darum mit<lb/>
der anscheinend bescheidnen, aber darum doch nicht minder wichtigen Stellung<lb/>
und Ausgabe genügen lassen, die unsre Verfassung der Arbeits- und Schaffens¬<lb/>
kraft der Parlamentarier gestellt hat, man möge auch vor allem den aus dem<lb/>
Auslande hereingetragnen und auch dort sehr fragwürdigen parlamentarischen<lb/>
Aufputz und den damit zusammenhängenden Parteizuschnitt fallen lassen. Was<lb/>
soll das ganze Gerede von einer &#x201E;Blockpolitik"? Weil Clemenceau einen Block<lb/>
braucht, der ihn in der Regierung erhält, muß da Fürst Bülow auch einen<lb/>
haben? Ein deutscher Reichskanzler bedarf keines.Blocks, er braucht bloß Parteien,<lb/>
die so viel von ihrem besondern Standpunkte nachzulassen vermögen, daß sie<lb/>
dem Reiche geben, was des Reichs ist. Im Amt erhält ihn das kaiserliche<lb/>
Vertrauen, und wenn dieses einmal verloren gegangen wäre, würde ihn kein<lb/>
Block halten. In der Gegenwart erfüllen zur großen Befriedigung der Be¬<lb/>
völkerung die konservativen und liberalen Parteien die der Verfassung ent¬<lb/>
sprechenden Aufgaben, und es möge nur recht lange so bleiben, denn beide<lb/>
Gruppen stehn trotz ihrer abweichenden Anschauungen auf dem Boden des Reichs<lb/>
und sind nicht durch Grundsätze vereinigt, die außerhalb des Reichsgedankens<lb/>
liegen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß keine Opposition getrieben<lb/>
werden solle: im Gegenteil, eine sachliche und gründliche Opposition kann dem<lb/>
Vaterlande nur nützlich sein, aber Opponieren und Reden zu Parteizwecken<lb/>
wie in andern Ländern, wo man dadurch die Partei stärken und an die Ne¬<lb/>
gierung gelangen kann, sind bei uns mindestens von Überfluß. Was haben<lb/>
denn seit vier Jahrzehnten alle die Reden zum Fenster hinaus genützt, außer<lb/>
daß sie zugunsten der Umsturzparteien gewirkt haben? Die letzten Wahlen haben<lb/>
doch wieder einmal bewiesen, daß der deutsche Wähler seine Männer zu finden<lb/>
weiß; er wählt die, die seine Ideale hegen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Neuer deutscher Idealismus parlamentarische System, das heißt die Übertragung der Exekutive an den Reichs¬ tag, bei der äußern und innern Lage unsers Vaterlands eine Unmöglichkeit ist. es braucht darum hier nicht weiter darauf eingegangen zu werden. Nur eine Nutz¬ anwendung aus der nächst hinter uns liegenden Zeit möge gezogen werden. Wenn bei uns die parlamentarische Regierungsweise bestanden hätte, so wäre nach der Abstimmung am 13. Dezember die Reichsregierung zum Rücktritt ge¬ nötigt gewesen, und in dem neuen Ministerium hätte dann notwendigerweise Herr Roeren sitzen müssen. Die deutschen Verfassungen schneiden freilich den Parteiführern die Aus¬ sicht ab, ohne Wahl durch die Krone Minister zu werden, aber dieses sogenannte Opfer muß eben auf den Altar des Vaterlands gebracht werden. Miquel und Möller sind trotzdem Minister geworden, weil sie dafür tüchtig waren, und die Berufung Dernburgs und andrer beweist doch, daß gerade in der Gegenwart in dieser Hinsicht in Deutschland keine Vorurteile bestehn. Daß man aber von einem Minister, im Gegensatz zum Beispiel zu Frankreich, bei uns mehr ver¬ langt, als daß er Meister der Partei-, Zeitungs- und Redetaktik ist, hat sich nur als ein Vorteil für unser Vaterland erwiesen. Man möge sich darum mit der anscheinend bescheidnen, aber darum doch nicht minder wichtigen Stellung und Ausgabe genügen lassen, die unsre Verfassung der Arbeits- und Schaffens¬ kraft der Parlamentarier gestellt hat, man möge auch vor allem den aus dem Auslande hereingetragnen und auch dort sehr fragwürdigen parlamentarischen Aufputz und den damit zusammenhängenden Parteizuschnitt fallen lassen. Was soll das ganze Gerede von einer „Blockpolitik"? Weil Clemenceau einen Block braucht, der ihn in der Regierung erhält, muß da Fürst Bülow auch einen haben? Ein deutscher Reichskanzler bedarf keines.Blocks, er braucht bloß Parteien, die so viel von ihrem besondern Standpunkte nachzulassen vermögen, daß sie dem Reiche geben, was des Reichs ist. Im Amt erhält ihn das kaiserliche Vertrauen, und wenn dieses einmal verloren gegangen wäre, würde ihn kein Block halten. In der Gegenwart erfüllen zur großen Befriedigung der Be¬ völkerung die konservativen und liberalen Parteien die der Verfassung ent¬ sprechenden Aufgaben, und es möge nur recht lange so bleiben, denn beide Gruppen stehn trotz ihrer abweichenden Anschauungen auf dem Boden des Reichs und sind nicht durch Grundsätze vereinigt, die außerhalb des Reichsgedankens liegen. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß keine Opposition getrieben werden solle: im Gegenteil, eine sachliche und gründliche Opposition kann dem Vaterlande nur nützlich sein, aber Opponieren und Reden zu Parteizwecken wie in andern Ländern, wo man dadurch die Partei stärken und an die Ne¬ gierung gelangen kann, sind bei uns mindestens von Überfluß. Was haben denn seit vier Jahrzehnten alle die Reden zum Fenster hinaus genützt, außer daß sie zugunsten der Umsturzparteien gewirkt haben? Die letzten Wahlen haben doch wieder einmal bewiesen, daß der deutsche Wähler seine Männer zu finden weiß; er wählt die, die seine Ideale hegen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/452>, abgerufen am 26.06.2024.