Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuer deutscher Idealismus

25. Januar reinigend und aufklärend gewirkt zu haben. Das so unzweifelhaft
ausgesprochne Vertrauensvotum für die Politik des Reichskanzlers war auch
für die seither übliche nörgelnde Kritik der auswärtigen Politik nicht günstig.
Obgleich das deutsche Volk durch seine Presse, wie sie nun eben ist, gänzlich
Ungenügend Und außerdem noch parteiisch über die Fragen der innern und der
äußern Politik unterrichtet wird, so weiß es doch aus dem Munde der Ne¬
gierung recht gut, daß es, wie alle Völker und Einzelwesen, die zur vollen Ent¬
wicklung ihrer Kräfte und dadurch zu Macht und Wohlstand gelangt sind,
ringsum von Konkurrenten umgeben ist, die ihm beides nicht gönnen und nur
auf den Augenblick warten, wo sie ihn um den neuen Erwerb wieder bringen
könnten. Es ist aber weit davon entfernt, dafür die Schuld dem Kaiser und
seinem Kanzler beizumessen, wie es die Selbstgefälligkeit der meisten Blätter
bisher getan hat. Dagegen ist es aber entschlossen, seine neu gewonnene Stellung
in der Welt zu behaupten, seine Wehrmacht zu Lande gegen äußere und innere
Gegner aufrecht zu erhalten und seine Flotte unbekümmert um das Mißwollen
andrer auszubauen. Das hat die Reichstagswahl bewiesen. Darum war mit
dem frühern Pessimismus nichts mehr zu machen, und die Kaiserbegegnung in
Swinemünde wie der Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe wurde mit un¬
verkennbarem Wohlwollen behandelt, das "bißchen Marokko" kam gar nicht in
Betracht. Bei dem Besuch der englischen Journalisten in Deutschland wurde
eitel Freundschaft geredet. Das mag ja auf einige Jahre größere Ruhe in den
Zeitungen schaffen, an den bestehenden Gegensätzen wird aber dadurch nichts
geändert, und gewisse "Strömungen können wiederkehren".

Vorderhand liegt infolge der Volksentscheidung vom 25. Januar alles
gut, aber die Frage ist berechtigt, ob das auch dauern wird. Es ist immer
und namentlich bei uns Gebrauch gewesen, auch für die eignen Fehler die Re¬
gierung verantwortlich zu machen, und sobald solche wieder begangen werden,
wird man es auch wieder so machen. In der Gegenwart, wo den Vertretungs¬
körpern und der Presse ein so großer Einfluß eingeräumt ist, kommt man aber
mit der alleinigen Beschuldigung der Regierung nicht mehr durch. Die Fehler
müssen auf allen Seiten erkannt und auch da bekämpft und beseitigt werden.
Vor allem ist nötig, daß der Reichstag die ihm von der Verfassung zugewiesne
Stellung einnimmt, daß er sich rückhaltlos auf den Boden der Reichsverfassung
stellt und alles aus der Fremde hineingetragne Tun und Wesen fallen läßt.
Auf diesen Gedanken muß man kommen, wenn man so vielfach liest und hört,
daß nun nach dem großen Siege des Liberalismus auch liberal regiert werden
müsse. Die Reichstagswahl hat wohl einen großen Sieg des nationalen Ge¬
dankens ergeben, weiß aber von einem eigentlichen Siege des Liberalismus nichts.
Gewiß hat sich eine große Anzahl neuer Stimmen für liberale Kandidaten er¬
geben, aber liberal waren diese Stimmen schwerlich. Entweder waren es nationale
Stimmen, die gern für den liberalen Kandidaten, der sich diesmal für die
Forderungen der Reichsregierung erklärt hatte, eintraten, oder es waren vielleicht


Neuer deutscher Idealismus

25. Januar reinigend und aufklärend gewirkt zu haben. Das so unzweifelhaft
ausgesprochne Vertrauensvotum für die Politik des Reichskanzlers war auch
für die seither übliche nörgelnde Kritik der auswärtigen Politik nicht günstig.
Obgleich das deutsche Volk durch seine Presse, wie sie nun eben ist, gänzlich
Ungenügend Und außerdem noch parteiisch über die Fragen der innern und der
äußern Politik unterrichtet wird, so weiß es doch aus dem Munde der Ne¬
gierung recht gut, daß es, wie alle Völker und Einzelwesen, die zur vollen Ent¬
wicklung ihrer Kräfte und dadurch zu Macht und Wohlstand gelangt sind,
ringsum von Konkurrenten umgeben ist, die ihm beides nicht gönnen und nur
auf den Augenblick warten, wo sie ihn um den neuen Erwerb wieder bringen
könnten. Es ist aber weit davon entfernt, dafür die Schuld dem Kaiser und
seinem Kanzler beizumessen, wie es die Selbstgefälligkeit der meisten Blätter
bisher getan hat. Dagegen ist es aber entschlossen, seine neu gewonnene Stellung
in der Welt zu behaupten, seine Wehrmacht zu Lande gegen äußere und innere
Gegner aufrecht zu erhalten und seine Flotte unbekümmert um das Mißwollen
andrer auszubauen. Das hat die Reichstagswahl bewiesen. Darum war mit
dem frühern Pessimismus nichts mehr zu machen, und die Kaiserbegegnung in
Swinemünde wie der Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe wurde mit un¬
verkennbarem Wohlwollen behandelt, das „bißchen Marokko" kam gar nicht in
Betracht. Bei dem Besuch der englischen Journalisten in Deutschland wurde
eitel Freundschaft geredet. Das mag ja auf einige Jahre größere Ruhe in den
Zeitungen schaffen, an den bestehenden Gegensätzen wird aber dadurch nichts
geändert, und gewisse „Strömungen können wiederkehren".

Vorderhand liegt infolge der Volksentscheidung vom 25. Januar alles
gut, aber die Frage ist berechtigt, ob das auch dauern wird. Es ist immer
und namentlich bei uns Gebrauch gewesen, auch für die eignen Fehler die Re¬
gierung verantwortlich zu machen, und sobald solche wieder begangen werden,
wird man es auch wieder so machen. In der Gegenwart, wo den Vertretungs¬
körpern und der Presse ein so großer Einfluß eingeräumt ist, kommt man aber
mit der alleinigen Beschuldigung der Regierung nicht mehr durch. Die Fehler
müssen auf allen Seiten erkannt und auch da bekämpft und beseitigt werden.
Vor allem ist nötig, daß der Reichstag die ihm von der Verfassung zugewiesne
Stellung einnimmt, daß er sich rückhaltlos auf den Boden der Reichsverfassung
stellt und alles aus der Fremde hineingetragne Tun und Wesen fallen läßt.
Auf diesen Gedanken muß man kommen, wenn man so vielfach liest und hört,
daß nun nach dem großen Siege des Liberalismus auch liberal regiert werden
müsse. Die Reichstagswahl hat wohl einen großen Sieg des nationalen Ge¬
dankens ergeben, weiß aber von einem eigentlichen Siege des Liberalismus nichts.
Gewiß hat sich eine große Anzahl neuer Stimmen für liberale Kandidaten er¬
geben, aber liberal waren diese Stimmen schwerlich. Entweder waren es nationale
Stimmen, die gern für den liberalen Kandidaten, der sich diesmal für die
Forderungen der Reichsregierung erklärt hatte, eintraten, oder es waren vielleicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303866"/>
          <fw type="header" place="top"> Neuer deutscher Idealismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2026" prev="#ID_2025"> 25. Januar reinigend und aufklärend gewirkt zu haben. Das so unzweifelhaft<lb/>
ausgesprochne Vertrauensvotum für die Politik des Reichskanzlers war auch<lb/>
für die seither übliche nörgelnde Kritik der auswärtigen Politik nicht günstig.<lb/>
Obgleich das deutsche Volk durch seine Presse, wie sie nun eben ist, gänzlich<lb/>
Ungenügend Und außerdem noch parteiisch über die Fragen der innern und der<lb/>
äußern Politik unterrichtet wird, so weiß es doch aus dem Munde der Ne¬<lb/>
gierung recht gut, daß es, wie alle Völker und Einzelwesen, die zur vollen Ent¬<lb/>
wicklung ihrer Kräfte und dadurch zu Macht und Wohlstand gelangt sind,<lb/>
ringsum von Konkurrenten umgeben ist, die ihm beides nicht gönnen und nur<lb/>
auf den Augenblick warten, wo sie ihn um den neuen Erwerb wieder bringen<lb/>
könnten. Es ist aber weit davon entfernt, dafür die Schuld dem Kaiser und<lb/>
seinem Kanzler beizumessen, wie es die Selbstgefälligkeit der meisten Blätter<lb/>
bisher getan hat. Dagegen ist es aber entschlossen, seine neu gewonnene Stellung<lb/>
in der Welt zu behaupten, seine Wehrmacht zu Lande gegen äußere und innere<lb/>
Gegner aufrecht zu erhalten und seine Flotte unbekümmert um das Mißwollen<lb/>
andrer auszubauen. Das hat die Reichstagswahl bewiesen. Darum war mit<lb/>
dem frühern Pessimismus nichts mehr zu machen, und die Kaiserbegegnung in<lb/>
Swinemünde wie der Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe wurde mit un¬<lb/>
verkennbarem Wohlwollen behandelt, das &#x201E;bißchen Marokko" kam gar nicht in<lb/>
Betracht. Bei dem Besuch der englischen Journalisten in Deutschland wurde<lb/>
eitel Freundschaft geredet. Das mag ja auf einige Jahre größere Ruhe in den<lb/>
Zeitungen schaffen, an den bestehenden Gegensätzen wird aber dadurch nichts<lb/>
geändert, und gewisse &#x201E;Strömungen können wiederkehren".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2027" next="#ID_2028"> Vorderhand liegt infolge der Volksentscheidung vom 25. Januar alles<lb/>
gut, aber die Frage ist berechtigt, ob das auch dauern wird. Es ist immer<lb/>
und namentlich bei uns Gebrauch gewesen, auch für die eignen Fehler die Re¬<lb/>
gierung verantwortlich zu machen, und sobald solche wieder begangen werden,<lb/>
wird man es auch wieder so machen. In der Gegenwart, wo den Vertretungs¬<lb/>
körpern und der Presse ein so großer Einfluß eingeräumt ist, kommt man aber<lb/>
mit der alleinigen Beschuldigung der Regierung nicht mehr durch. Die Fehler<lb/>
müssen auf allen Seiten erkannt und auch da bekämpft und beseitigt werden.<lb/>
Vor allem ist nötig, daß der Reichstag die ihm von der Verfassung zugewiesne<lb/>
Stellung einnimmt, daß er sich rückhaltlos auf den Boden der Reichsverfassung<lb/>
stellt und alles aus der Fremde hineingetragne Tun und Wesen fallen läßt.<lb/>
Auf diesen Gedanken muß man kommen, wenn man so vielfach liest und hört,<lb/>
daß nun nach dem großen Siege des Liberalismus auch liberal regiert werden<lb/>
müsse. Die Reichstagswahl hat wohl einen großen Sieg des nationalen Ge¬<lb/>
dankens ergeben, weiß aber von einem eigentlichen Siege des Liberalismus nichts.<lb/>
Gewiß hat sich eine große Anzahl neuer Stimmen für liberale Kandidaten er¬<lb/>
geben, aber liberal waren diese Stimmen schwerlich. Entweder waren es nationale<lb/>
Stimmen, die gern für den liberalen Kandidaten, der sich diesmal für die<lb/>
Forderungen der Reichsregierung erklärt hatte, eintraten, oder es waren vielleicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Neuer deutscher Idealismus 25. Januar reinigend und aufklärend gewirkt zu haben. Das so unzweifelhaft ausgesprochne Vertrauensvotum für die Politik des Reichskanzlers war auch für die seither übliche nörgelnde Kritik der auswärtigen Politik nicht günstig. Obgleich das deutsche Volk durch seine Presse, wie sie nun eben ist, gänzlich Ungenügend Und außerdem noch parteiisch über die Fragen der innern und der äußern Politik unterrichtet wird, so weiß es doch aus dem Munde der Ne¬ gierung recht gut, daß es, wie alle Völker und Einzelwesen, die zur vollen Ent¬ wicklung ihrer Kräfte und dadurch zu Macht und Wohlstand gelangt sind, ringsum von Konkurrenten umgeben ist, die ihm beides nicht gönnen und nur auf den Augenblick warten, wo sie ihn um den neuen Erwerb wieder bringen könnten. Es ist aber weit davon entfernt, dafür die Schuld dem Kaiser und seinem Kanzler beizumessen, wie es die Selbstgefälligkeit der meisten Blätter bisher getan hat. Dagegen ist es aber entschlossen, seine neu gewonnene Stellung in der Welt zu behaupten, seine Wehrmacht zu Lande gegen äußere und innere Gegner aufrecht zu erhalten und seine Flotte unbekümmert um das Mißwollen andrer auszubauen. Das hat die Reichstagswahl bewiesen. Darum war mit dem frühern Pessimismus nichts mehr zu machen, und die Kaiserbegegnung in Swinemünde wie der Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe wurde mit un¬ verkennbarem Wohlwollen behandelt, das „bißchen Marokko" kam gar nicht in Betracht. Bei dem Besuch der englischen Journalisten in Deutschland wurde eitel Freundschaft geredet. Das mag ja auf einige Jahre größere Ruhe in den Zeitungen schaffen, an den bestehenden Gegensätzen wird aber dadurch nichts geändert, und gewisse „Strömungen können wiederkehren". Vorderhand liegt infolge der Volksentscheidung vom 25. Januar alles gut, aber die Frage ist berechtigt, ob das auch dauern wird. Es ist immer und namentlich bei uns Gebrauch gewesen, auch für die eignen Fehler die Re¬ gierung verantwortlich zu machen, und sobald solche wieder begangen werden, wird man es auch wieder so machen. In der Gegenwart, wo den Vertretungs¬ körpern und der Presse ein so großer Einfluß eingeräumt ist, kommt man aber mit der alleinigen Beschuldigung der Regierung nicht mehr durch. Die Fehler müssen auf allen Seiten erkannt und auch da bekämpft und beseitigt werden. Vor allem ist nötig, daß der Reichstag die ihm von der Verfassung zugewiesne Stellung einnimmt, daß er sich rückhaltlos auf den Boden der Reichsverfassung stellt und alles aus der Fremde hineingetragne Tun und Wesen fallen läßt. Auf diesen Gedanken muß man kommen, wenn man so vielfach liest und hört, daß nun nach dem großen Siege des Liberalismus auch liberal regiert werden müsse. Die Reichstagswahl hat wohl einen großen Sieg des nationalen Ge¬ dankens ergeben, weiß aber von einem eigentlichen Siege des Liberalismus nichts. Gewiß hat sich eine große Anzahl neuer Stimmen für liberale Kandidaten er¬ geben, aber liberal waren diese Stimmen schwerlich. Entweder waren es nationale Stimmen, die gern für den liberalen Kandidaten, der sich diesmal für die Forderungen der Reichsregierung erklärt hatte, eintraten, oder es waren vielleicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/450>, abgerufen am 01.07.2024.