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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englands Vordringen in Persien

1904 hatte in die Verbannung gehn müssen. In seiner Not wandte sich der
Schah an ihn mit der Aufforderung, zum drittenmal die Stellung als Gro߬
wesir zu übernehmen. Die Nachricht seiner Rückberufung war von der übelsten
Wirkung. In Teheran entstanden von neuem Unruhen, und im Parlament er¬
klärte eins der geachtetsten Mitglieder, Atabey Azam habe den guten Namen
Persiens und seinen Ruhm geschändet. Seine Missetaten wären überall bekannt.
Wenn er zurückkehre, müßten sie an den Persern als einem Volke ohne jedes
Gefühl für Ehre verzweifeln. Unter diesen Umständen wäre eine Verfassung
nutzlos, und das Parlament würde am besten aufgelöst.

Trotzdem blieb der Schah auf der Rückberufung Atabey Azmns bestehen,
und am 20. April kam dieser mit dem russischen Postdampfer in Enzeli an.
Die Macht war aber schon den Händen des Schäds entglitten. Das Boot, das
den neuen Großwesir ans Land setzen sollte, wurde sofort von persischen Booten
umringt und ihm bedeutet, daß er erschossen werden würde, wenn er das Land
betrete. Es bedürfte erst der ausdrücklichen Zustimmung des Parlaments, die
nach einer langen Sitzung erteilt worden war, bevor Atabey Azam landen konnte,
und auch dann geschah es nur unter der Bedingung, daß er sich schriftlich
verpflichtete, nichts gegen das Parlament zu unternehmen. Dasselbe Versprechen
mußte er, um seine Reise fortsetzen zu können, in Netsch noch einmal unter¬
schreiben. Am Tage nach seiner Ankunft in Teheran erschien er mit den Ministern,
unter denen ein Onkel des Schäds war, im Parlament und wiederholte feierlich
sein Gelübde dem Parlament gegenüber. Er hat es auch nicht gebrochen, ver¬
mochte aber auch nicht, bessere Zustände zu schaffen oder den Streit zwischen
Schah und Parlament zu schlichten. Das Mißtrauen gegen ihn wollte nicht
verschwinden, und so fiel er vier Monate später der Kugel eines Mitgliedes
einer geheimen Gesellschaft zum Opfer. Wir sehen, das persische Volk hat Nußland
nicht nur sein Parlament, sondern auch seine politischen Morde abgelernt. Es
wird in Persien ebenso mit Bomben und Drohungen operiert wie in Rußland.

Im Mai machte der Gouverneur von Louristan, Salar-ed-Dankes, ein
Halbbruder des Schäds, den Versuch, den Thron für sich zu erobern. Er
sammelte Truppe" und rückte gegen die Hauptstadt vor, wurde aber am 10. Juni
geschlagen, ergab sich und ist später begnadigt worden. Zugleich nahmen die
Unruhen in den Provinzen, besonders in den größern Städten wie Täbris,
Schiras, Kermanschah ihren Fortgang. Am 25. Juli, dem Jahrestage der Ver¬
fassung, forderte das Parlament den Schah wiederum zur endlichen Eidesleistung
auf. Der Schah leistete nicht Folge, unternahm aber auch nichts gegen das
Parlament, sodaß sich die Verhältnisse immer mehr zuspitzten.

Zu all dem Unglück kam Anfang August noch das Wiederaufleben eines
alten Grenzkonflikts mit der Türkei. Eine persische Truppe wurde von den
Bewohnern des zwischen Persien und der Türkei strittigen Gebiets, sunnitischen
Kurden, im Verein mit türkischen Truppen, die die Grenze zu deren Unterstützung
überschritten hatten, geschlagen. Das Gebiet ist auch gegenwärtig von den Türken


Englands Vordringen in Persien

1904 hatte in die Verbannung gehn müssen. In seiner Not wandte sich der
Schah an ihn mit der Aufforderung, zum drittenmal die Stellung als Gro߬
wesir zu übernehmen. Die Nachricht seiner Rückberufung war von der übelsten
Wirkung. In Teheran entstanden von neuem Unruhen, und im Parlament er¬
klärte eins der geachtetsten Mitglieder, Atabey Azam habe den guten Namen
Persiens und seinen Ruhm geschändet. Seine Missetaten wären überall bekannt.
Wenn er zurückkehre, müßten sie an den Persern als einem Volke ohne jedes
Gefühl für Ehre verzweifeln. Unter diesen Umständen wäre eine Verfassung
nutzlos, und das Parlament würde am besten aufgelöst.

Trotzdem blieb der Schah auf der Rückberufung Atabey Azmns bestehen,
und am 20. April kam dieser mit dem russischen Postdampfer in Enzeli an.
Die Macht war aber schon den Händen des Schäds entglitten. Das Boot, das
den neuen Großwesir ans Land setzen sollte, wurde sofort von persischen Booten
umringt und ihm bedeutet, daß er erschossen werden würde, wenn er das Land
betrete. Es bedürfte erst der ausdrücklichen Zustimmung des Parlaments, die
nach einer langen Sitzung erteilt worden war, bevor Atabey Azam landen konnte,
und auch dann geschah es nur unter der Bedingung, daß er sich schriftlich
verpflichtete, nichts gegen das Parlament zu unternehmen. Dasselbe Versprechen
mußte er, um seine Reise fortsetzen zu können, in Netsch noch einmal unter¬
schreiben. Am Tage nach seiner Ankunft in Teheran erschien er mit den Ministern,
unter denen ein Onkel des Schäds war, im Parlament und wiederholte feierlich
sein Gelübde dem Parlament gegenüber. Er hat es auch nicht gebrochen, ver¬
mochte aber auch nicht, bessere Zustände zu schaffen oder den Streit zwischen
Schah und Parlament zu schlichten. Das Mißtrauen gegen ihn wollte nicht
verschwinden, und so fiel er vier Monate später der Kugel eines Mitgliedes
einer geheimen Gesellschaft zum Opfer. Wir sehen, das persische Volk hat Nußland
nicht nur sein Parlament, sondern auch seine politischen Morde abgelernt. Es
wird in Persien ebenso mit Bomben und Drohungen operiert wie in Rußland.

Im Mai machte der Gouverneur von Louristan, Salar-ed-Dankes, ein
Halbbruder des Schäds, den Versuch, den Thron für sich zu erobern. Er
sammelte Truppe« und rückte gegen die Hauptstadt vor, wurde aber am 10. Juni
geschlagen, ergab sich und ist später begnadigt worden. Zugleich nahmen die
Unruhen in den Provinzen, besonders in den größern Städten wie Täbris,
Schiras, Kermanschah ihren Fortgang. Am 25. Juli, dem Jahrestage der Ver¬
fassung, forderte das Parlament den Schah wiederum zur endlichen Eidesleistung
auf. Der Schah leistete nicht Folge, unternahm aber auch nichts gegen das
Parlament, sodaß sich die Verhältnisse immer mehr zuspitzten.

Zu all dem Unglück kam Anfang August noch das Wiederaufleben eines
alten Grenzkonflikts mit der Türkei. Eine persische Truppe wurde von den
Bewohnern des zwischen Persien und der Türkei strittigen Gebiets, sunnitischen
Kurden, im Verein mit türkischen Truppen, die die Grenze zu deren Unterstützung
überschritten hatten, geschlagen. Das Gebiet ist auch gegenwärtig von den Türken


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[0408] Englands Vordringen in Persien 1904 hatte in die Verbannung gehn müssen. In seiner Not wandte sich der Schah an ihn mit der Aufforderung, zum drittenmal die Stellung als Gro߬ wesir zu übernehmen. Die Nachricht seiner Rückberufung war von der übelsten Wirkung. In Teheran entstanden von neuem Unruhen, und im Parlament er¬ klärte eins der geachtetsten Mitglieder, Atabey Azam habe den guten Namen Persiens und seinen Ruhm geschändet. Seine Missetaten wären überall bekannt. Wenn er zurückkehre, müßten sie an den Persern als einem Volke ohne jedes Gefühl für Ehre verzweifeln. Unter diesen Umständen wäre eine Verfassung nutzlos, und das Parlament würde am besten aufgelöst. Trotzdem blieb der Schah auf der Rückberufung Atabey Azmns bestehen, und am 20. April kam dieser mit dem russischen Postdampfer in Enzeli an. Die Macht war aber schon den Händen des Schäds entglitten. Das Boot, das den neuen Großwesir ans Land setzen sollte, wurde sofort von persischen Booten umringt und ihm bedeutet, daß er erschossen werden würde, wenn er das Land betrete. Es bedürfte erst der ausdrücklichen Zustimmung des Parlaments, die nach einer langen Sitzung erteilt worden war, bevor Atabey Azam landen konnte, und auch dann geschah es nur unter der Bedingung, daß er sich schriftlich verpflichtete, nichts gegen das Parlament zu unternehmen. Dasselbe Versprechen mußte er, um seine Reise fortsetzen zu können, in Netsch noch einmal unter¬ schreiben. Am Tage nach seiner Ankunft in Teheran erschien er mit den Ministern, unter denen ein Onkel des Schäds war, im Parlament und wiederholte feierlich sein Gelübde dem Parlament gegenüber. Er hat es auch nicht gebrochen, ver¬ mochte aber auch nicht, bessere Zustände zu schaffen oder den Streit zwischen Schah und Parlament zu schlichten. Das Mißtrauen gegen ihn wollte nicht verschwinden, und so fiel er vier Monate später der Kugel eines Mitgliedes einer geheimen Gesellschaft zum Opfer. Wir sehen, das persische Volk hat Nußland nicht nur sein Parlament, sondern auch seine politischen Morde abgelernt. Es wird in Persien ebenso mit Bomben und Drohungen operiert wie in Rußland. Im Mai machte der Gouverneur von Louristan, Salar-ed-Dankes, ein Halbbruder des Schäds, den Versuch, den Thron für sich zu erobern. Er sammelte Truppe« und rückte gegen die Hauptstadt vor, wurde aber am 10. Juni geschlagen, ergab sich und ist später begnadigt worden. Zugleich nahmen die Unruhen in den Provinzen, besonders in den größern Städten wie Täbris, Schiras, Kermanschah ihren Fortgang. Am 25. Juli, dem Jahrestage der Ver¬ fassung, forderte das Parlament den Schah wiederum zur endlichen Eidesleistung auf. Der Schah leistete nicht Folge, unternahm aber auch nichts gegen das Parlament, sodaß sich die Verhältnisse immer mehr zuspitzten. Zu all dem Unglück kam Anfang August noch das Wiederaufleben eines alten Grenzkonflikts mit der Türkei. Eine persische Truppe wurde von den Bewohnern des zwischen Persien und der Türkei strittigen Gebiets, sunnitischen Kurden, im Verein mit türkischen Truppen, die die Grenze zu deren Unterstützung überschritten hatten, geschlagen. Das Gebiet ist auch gegenwärtig von den Türken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/408>, abgerufen am 22.07.2024.