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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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anstrebten, nämlich außer Verbesserungen in der Verwaltung auch eine Volks¬
vertretung zu erlangen. Die damals tagende Duma, die großartigen Reden
in ihr hatten es den selbst mit so glühender Phantasie und Rednertalent be¬
gabten Persern angetan; sie hielten sich ebenfalls für berechtigt zur Teilnahme
an der Negierung und wollten nun den Schah zur Bewilligung einer Ver¬
fassung zwingen.

Dem wachsenden Unwillen wurde im Juli 1906 der verhaßte Großwesir
Ain-ed-Dankes, ein Verwandter des Schäds, geopfert, ein in der persischen
Geschichte oft erprobtes Mittel, das aber diesesmal völlig versagte. Es kam
zu Straßcnkümpfen in Teheran, in denen die Regierung zwar äußerlich den
Sieg davontrug, aber in der Folge doch unterlag. Die Mollahs erneuerten
ihren Streik und zogen sich nach der nahen heiligen Stadt Kum zurück, und
ihr Anhang in einer Stärke von 16000 Mann -- hier kommt etwas ganz
Neues in der Geschichte orientalischer Völker -- suchte anstatt in den hergebrachten
Freistätten, den Moscheen, in den Gurten der englischen Gesandtschaft vor der
Rache der Regierenden Schutz, der ihnen auch gewährt wurde. Ob die Be¬
wegung von englischer Seite in irgendeiner Weise inspiriert worden ist oder
nicht, soll hier nicht erörtert werden, für die Geschichte ist es auch ohne Belang,
aber die starke Stellung Englands in Persten war durch die Gewährung und
die Anerkennung des Schutzes mit einem Schlage offenbar geworden, und man
muß es den Engländern lassen, daß sie allen Grund haben, hierauf stolz zu sein.

Der Vorgang zeigt ferner, daß das persische Volk England als seinen
Befreier gegen Tyrannei und Willkür ansah und ihm auch die Macht zutraute,
es gegen die Regierung trotz der Kosakenbrigade zu schützen. Daß dieses Zu¬
trauen die Politik Englands erleichtern und seine Machtstellung fördern mußte,
ist selbstverständlich. Die Negierung knüpfte mit den Schützlingen der englischen
Gesandtschaft Verhandlungen an, und nachdem diese drei Wochen gedauert hatten,
gab sie nach. Der Sohn des Großwesirs verkündete in Gegenwart des englischen
vKgrFs ä'AllÄires den Führern der Bewegung feierlich ein königliches Dekret,
nach dem eine Art Parlament bewilligt wurde. Es sollte aus Erwählten der
Fürsten, der Geistlichkeit, des königlichen Hauses, des Adels, der Kaufleute und
der Handwerker zusammengesetzt werden, über alle wichtigen Staatsangelegen¬
heiten beraten und Reformen vorschlagen.

Die unmittelbare Folge war große Freude und Auszug der Flüchtlinge
aus ihrem Asyl. Die Freude war aber nur von kurzer Dauer, denn das Dekret
fand nicht die Zustimmung der Mollahs, die Mitte August wieder zurückgekehrt
waren. Sie verwarfen den Entwurf und unterbreiteten dem Schah einen
andern, von ihnen ausgearbeiteten, der aber zunächst nicht die Genehmigung des
Schäds fand, worauf sich die Flucht der Anhänger der Reformpartei in die
englische Gesandtschaft wiederholte. Der Schah sah sich wiederum genötigt,
nachzugeben; er entließ auch den neuen Großwesir Mashir ed-Dankes und
ging neue Verhandlungen ein, deren nächster Erfolg war, daß schon am


anstrebten, nämlich außer Verbesserungen in der Verwaltung auch eine Volks¬
vertretung zu erlangen. Die damals tagende Duma, die großartigen Reden
in ihr hatten es den selbst mit so glühender Phantasie und Rednertalent be¬
gabten Persern angetan; sie hielten sich ebenfalls für berechtigt zur Teilnahme
an der Negierung und wollten nun den Schah zur Bewilligung einer Ver¬
fassung zwingen.

Dem wachsenden Unwillen wurde im Juli 1906 der verhaßte Großwesir
Ain-ed-Dankes, ein Verwandter des Schäds, geopfert, ein in der persischen
Geschichte oft erprobtes Mittel, das aber diesesmal völlig versagte. Es kam
zu Straßcnkümpfen in Teheran, in denen die Regierung zwar äußerlich den
Sieg davontrug, aber in der Folge doch unterlag. Die Mollahs erneuerten
ihren Streik und zogen sich nach der nahen heiligen Stadt Kum zurück, und
ihr Anhang in einer Stärke von 16000 Mann — hier kommt etwas ganz
Neues in der Geschichte orientalischer Völker — suchte anstatt in den hergebrachten
Freistätten, den Moscheen, in den Gurten der englischen Gesandtschaft vor der
Rache der Regierenden Schutz, der ihnen auch gewährt wurde. Ob die Be¬
wegung von englischer Seite in irgendeiner Weise inspiriert worden ist oder
nicht, soll hier nicht erörtert werden, für die Geschichte ist es auch ohne Belang,
aber die starke Stellung Englands in Persten war durch die Gewährung und
die Anerkennung des Schutzes mit einem Schlage offenbar geworden, und man
muß es den Engländern lassen, daß sie allen Grund haben, hierauf stolz zu sein.

Der Vorgang zeigt ferner, daß das persische Volk England als seinen
Befreier gegen Tyrannei und Willkür ansah und ihm auch die Macht zutraute,
es gegen die Regierung trotz der Kosakenbrigade zu schützen. Daß dieses Zu¬
trauen die Politik Englands erleichtern und seine Machtstellung fördern mußte,
ist selbstverständlich. Die Negierung knüpfte mit den Schützlingen der englischen
Gesandtschaft Verhandlungen an, und nachdem diese drei Wochen gedauert hatten,
gab sie nach. Der Sohn des Großwesirs verkündete in Gegenwart des englischen
vKgrFs ä'AllÄires den Führern der Bewegung feierlich ein königliches Dekret,
nach dem eine Art Parlament bewilligt wurde. Es sollte aus Erwählten der
Fürsten, der Geistlichkeit, des königlichen Hauses, des Adels, der Kaufleute und
der Handwerker zusammengesetzt werden, über alle wichtigen Staatsangelegen¬
heiten beraten und Reformen vorschlagen.

Die unmittelbare Folge war große Freude und Auszug der Flüchtlinge
aus ihrem Asyl. Die Freude war aber nur von kurzer Dauer, denn das Dekret
fand nicht die Zustimmung der Mollahs, die Mitte August wieder zurückgekehrt
waren. Sie verwarfen den Entwurf und unterbreiteten dem Schah einen
andern, von ihnen ausgearbeiteten, der aber zunächst nicht die Genehmigung des
Schäds fand, worauf sich die Flucht der Anhänger der Reformpartei in die
englische Gesandtschaft wiederholte. Der Schah sah sich wiederum genötigt,
nachzugeben; er entließ auch den neuen Großwesir Mashir ed-Dankes und
ging neue Verhandlungen ein, deren nächster Erfolg war, daß schon am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/405>, abgerufen am 01.10.2024.