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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Englands Vordringen in Persien

hätten, in Zukunft immer zu rechnen haben würden. Das Blatt drückt dann,
ähnlich wie die meisten andern, die Hoffnung aus, daß nun auch die auf Indien
ruhende Militärlast allmählich reduziert werden könnte, wodurch der innere Frieden
Indiens gefördert würde. Daß es mit diesem innern Frieden nicht besonders gut
bestellt ist, haben die Unruhen in Pendschab und in Bengalen im Frühjahr dieses
Jahres zur Genüge dargetan. Einige liberale Blätter, wie die Daily News,
verurteilen den Vertrag, weil er eine Verwaltigung Persiens und eine Stärkung
der russischen Autokratie bedeute, andre behaupten, vielleicht nicht mit Unrecht,
daß der Vertrag eher Unfrieden als Frieden stiften könne.

Persien wird durch den Vertrag tatsächlich unter Kontrolle gestellt, allein
schon durch den Passus in dem Vertrage, daß die Einkünfte der persischen Zölle,
die die frühern Anleihen garantierten, zu demselben Zwecke verwandt werden
sollen wie bisher. Für den Fall von Unregelmäßigkeiten in den Zahlungen
wollen die englische und die russische Negierung sogar im gegenseitigen Ein¬
verständnis eine Kontrolle über die Einnahmequellen einrichten. Daß diese
gemeinsame Kontrolle ebenso wie die Abänderung der bestehenden Zölle für
Rußland und England eine Fülle von Reibungsflächen in sich bergen, ist klar.
In Rußlands Interesse liegt auch fernerhin ein schwaches Persien, wie es durch
sein Bestreben entstanden ist, in Englands und Europas Interesse ein reiches,
starkes Persien. Unter diesen Umständen wird es vielleicht der persischen Diplomatie
nicht schwer fallen, den einen seiner Peiniger gegen den andern auszuspielen
und unter der gemeinsamen Kontrolle besser zu fahren als unter dem bisherigen
harten Druck Rußlands allein.

Wir kommen jetzt zu den jüngsten Vorgängen in Persien.

Was die schrecklichste Tyrannei in frühern Zeiten nicht hervorzurufen ver¬
mocht hat, das Erwachen einer Art nationalen Geistes im persischen Volke, die
drohende russische Fremdherrschaft hat es in wenigen Jahren zuwege gebracht.
Der bevorstehende Ruin des Landes durch die russischen Anleihen und ihre
Vergeudung sowie die weitern Folgen mußten auch dem blödesten Auge erkennbar
werden; eine tiefe Unzufriedenheit gegen den Schah bemächtigte sich seit 1898 des
persischen Volkes, das sich von seinem Herrscher für Geld verkauft glaubte. Die
Bewegung erhielt für die Regierung aber erst einen bedrohlichen Charakter da¬
durch, daß auch die mohammedanische Geistlichkeit, die in Persien eine noch
mächtigere Stellung einnimmt als in andern mohammedanischen Ländern, an
ihr teilnahm und dabei sogar die Führung übernahm.

Überall im Lande entstanden Unruhen, und im Winter 1905 bis 1906
kam es in Teheran zu einer Art Streik der Geistlichkeit. Die Mollahs zogen
sich in Klöster zurück, Gottesdienst und Rechtsprechung, die ja zum Teil eben¬
falls zu ihren Obliegenheiten gehört, unterblieben. Sie nahmen zwar ihre
Funktionen auf Bitten und Versprechungen hin nach einiger Zeit wieder auf;
aber da die Versprechungen nicht gehalten wurden, so kam es wiederum zu
Unruhen, die bald ihren planlosen Charakter verloren und ein bestimmtes Ziel


Englands Vordringen in Persien

hätten, in Zukunft immer zu rechnen haben würden. Das Blatt drückt dann,
ähnlich wie die meisten andern, die Hoffnung aus, daß nun auch die auf Indien
ruhende Militärlast allmählich reduziert werden könnte, wodurch der innere Frieden
Indiens gefördert würde. Daß es mit diesem innern Frieden nicht besonders gut
bestellt ist, haben die Unruhen in Pendschab und in Bengalen im Frühjahr dieses
Jahres zur Genüge dargetan. Einige liberale Blätter, wie die Daily News,
verurteilen den Vertrag, weil er eine Verwaltigung Persiens und eine Stärkung
der russischen Autokratie bedeute, andre behaupten, vielleicht nicht mit Unrecht,
daß der Vertrag eher Unfrieden als Frieden stiften könne.

Persien wird durch den Vertrag tatsächlich unter Kontrolle gestellt, allein
schon durch den Passus in dem Vertrage, daß die Einkünfte der persischen Zölle,
die die frühern Anleihen garantierten, zu demselben Zwecke verwandt werden
sollen wie bisher. Für den Fall von Unregelmäßigkeiten in den Zahlungen
wollen die englische und die russische Negierung sogar im gegenseitigen Ein¬
verständnis eine Kontrolle über die Einnahmequellen einrichten. Daß diese
gemeinsame Kontrolle ebenso wie die Abänderung der bestehenden Zölle für
Rußland und England eine Fülle von Reibungsflächen in sich bergen, ist klar.
In Rußlands Interesse liegt auch fernerhin ein schwaches Persien, wie es durch
sein Bestreben entstanden ist, in Englands und Europas Interesse ein reiches,
starkes Persien. Unter diesen Umständen wird es vielleicht der persischen Diplomatie
nicht schwer fallen, den einen seiner Peiniger gegen den andern auszuspielen
und unter der gemeinsamen Kontrolle besser zu fahren als unter dem bisherigen
harten Druck Rußlands allein.

Wir kommen jetzt zu den jüngsten Vorgängen in Persien.

Was die schrecklichste Tyrannei in frühern Zeiten nicht hervorzurufen ver¬
mocht hat, das Erwachen einer Art nationalen Geistes im persischen Volke, die
drohende russische Fremdherrschaft hat es in wenigen Jahren zuwege gebracht.
Der bevorstehende Ruin des Landes durch die russischen Anleihen und ihre
Vergeudung sowie die weitern Folgen mußten auch dem blödesten Auge erkennbar
werden; eine tiefe Unzufriedenheit gegen den Schah bemächtigte sich seit 1898 des
persischen Volkes, das sich von seinem Herrscher für Geld verkauft glaubte. Die
Bewegung erhielt für die Regierung aber erst einen bedrohlichen Charakter da¬
durch, daß auch die mohammedanische Geistlichkeit, die in Persien eine noch
mächtigere Stellung einnimmt als in andern mohammedanischen Ländern, an
ihr teilnahm und dabei sogar die Führung übernahm.

Überall im Lande entstanden Unruhen, und im Winter 1905 bis 1906
kam es in Teheran zu einer Art Streik der Geistlichkeit. Die Mollahs zogen
sich in Klöster zurück, Gottesdienst und Rechtsprechung, die ja zum Teil eben¬
falls zu ihren Obliegenheiten gehört, unterblieben. Sie nahmen zwar ihre
Funktionen auf Bitten und Versprechungen hin nach einiger Zeit wieder auf;
aber da die Versprechungen nicht gehalten wurden, so kam es wiederum zu
Unruhen, die bald ihren planlosen Charakter verloren und ein bestimmtes Ziel


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[0404] Englands Vordringen in Persien hätten, in Zukunft immer zu rechnen haben würden. Das Blatt drückt dann, ähnlich wie die meisten andern, die Hoffnung aus, daß nun auch die auf Indien ruhende Militärlast allmählich reduziert werden könnte, wodurch der innere Frieden Indiens gefördert würde. Daß es mit diesem innern Frieden nicht besonders gut bestellt ist, haben die Unruhen in Pendschab und in Bengalen im Frühjahr dieses Jahres zur Genüge dargetan. Einige liberale Blätter, wie die Daily News, verurteilen den Vertrag, weil er eine Verwaltigung Persiens und eine Stärkung der russischen Autokratie bedeute, andre behaupten, vielleicht nicht mit Unrecht, daß der Vertrag eher Unfrieden als Frieden stiften könne. Persien wird durch den Vertrag tatsächlich unter Kontrolle gestellt, allein schon durch den Passus in dem Vertrage, daß die Einkünfte der persischen Zölle, die die frühern Anleihen garantierten, zu demselben Zwecke verwandt werden sollen wie bisher. Für den Fall von Unregelmäßigkeiten in den Zahlungen wollen die englische und die russische Negierung sogar im gegenseitigen Ein¬ verständnis eine Kontrolle über die Einnahmequellen einrichten. Daß diese gemeinsame Kontrolle ebenso wie die Abänderung der bestehenden Zölle für Rußland und England eine Fülle von Reibungsflächen in sich bergen, ist klar. In Rußlands Interesse liegt auch fernerhin ein schwaches Persien, wie es durch sein Bestreben entstanden ist, in Englands und Europas Interesse ein reiches, starkes Persien. Unter diesen Umständen wird es vielleicht der persischen Diplomatie nicht schwer fallen, den einen seiner Peiniger gegen den andern auszuspielen und unter der gemeinsamen Kontrolle besser zu fahren als unter dem bisherigen harten Druck Rußlands allein. Wir kommen jetzt zu den jüngsten Vorgängen in Persien. Was die schrecklichste Tyrannei in frühern Zeiten nicht hervorzurufen ver¬ mocht hat, das Erwachen einer Art nationalen Geistes im persischen Volke, die drohende russische Fremdherrschaft hat es in wenigen Jahren zuwege gebracht. Der bevorstehende Ruin des Landes durch die russischen Anleihen und ihre Vergeudung sowie die weitern Folgen mußten auch dem blödesten Auge erkennbar werden; eine tiefe Unzufriedenheit gegen den Schah bemächtigte sich seit 1898 des persischen Volkes, das sich von seinem Herrscher für Geld verkauft glaubte. Die Bewegung erhielt für die Regierung aber erst einen bedrohlichen Charakter da¬ durch, daß auch die mohammedanische Geistlichkeit, die in Persien eine noch mächtigere Stellung einnimmt als in andern mohammedanischen Ländern, an ihr teilnahm und dabei sogar die Führung übernahm. Überall im Lande entstanden Unruhen, und im Winter 1905 bis 1906 kam es in Teheran zu einer Art Streik der Geistlichkeit. Die Mollahs zogen sich in Klöster zurück, Gottesdienst und Rechtsprechung, die ja zum Teil eben¬ falls zu ihren Obliegenheiten gehört, unterblieben. Sie nahmen zwar ihre Funktionen auf Bitten und Versprechungen hin nach einiger Zeit wieder auf; aber da die Versprechungen nicht gehalten wurden, so kam es wiederum zu Unruhen, die bald ihren planlosen Charakter verloren und ein bestimmtes Ziel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/404>, abgerufen am 01.07.2024.