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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Russische Briefe

Hütten aufhalten können und wollen. Als erster ging S. I. Witte ins Lager
der Roten über, derselbe Witte, der vor sieben Jahren den Zaren von einer
Reform abgehalten hat. Erst in den März 1905 fallen die ersten Anzeichen
für eine Wiedererstarkung der Elemente, die wir bei der Thronbesteigung
Alexanders des Dritten haben als Sieger über die Slawjanophilcn triumphieren
sehn. Ihr Wecker und Rufer im Streit und ihr Organisator aber war ein
Mann -- jüdischer Abstammung: Wladimir Andrejewitsch Gringmut.

Gringmut ist der älteste Sohn eines aus Neustadt in Schlesien stammenden
Lehrers, den der Kurator des Moskaner Lehrbezirks Graf Strogonow um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts für den Unterricht seiner Söhne gewann.
Diesem Umstände verdankte Wladimir Gringmut seinen Eintritt ins Lyzeum
zu Moskau als Hilfslehrer für Deutsch und Griechisch und damit seine Be¬
ziehungen zum alten Moskaner Adel und zu Katkow. Gringmut hatte das
Glück, sich ans innerster Seele für das klassische Altertum in einer Zeit zu
interessieren, wo der Klassizismus in Rußland durch Tolstoi mit Knute und
Verbannung in den Schulen eingeführt wurde. Er galt immer als ein un¬
gemein begabter und scharfsinniger Mensch und wurde wegen seiner Kenntnis
der altägyptischen Keilschrift, des Griechischen und des Lateinischen sowie der
deutschen, französischen, englischen und italienischen Sprache bei allen möglichen
Gelegenheiten zu Rate gezogen. Katkow nahm ihn in die Redaktion der
Moskowskija Wjedomosti und sorgte für seine Anstellung als Direktor des
Moskaner Lyzeums. Im Jahre 1895 begann Gringmuts eigentliche politische
Tätigkeit durch die Übernahme der Moskowskija Wjedomosti. Er begann
seinen Weg mit einem Angriff gegen die um die Rußkija Wjedomosti ver¬
sammelten Moskaner Konstitutionalisten. Der unversöhnliche Gegner dieser
"Westler" ist er geblieben. Gringmut war der erste Monarchist in Nußland,
der sich die Lehren der Revolution zunutze machte und die Gesellschaft zu
organisieren begann, als Abwehrorganisation gegen die Ansprüche der Kon¬
stitutionalisten. Im April 1905, als durch das Glaubensmanifest die ortho¬
doxe Staatskirche den andern christlichen Bekenntnissen preisgegeben zu werden
schien, gründete er in Moskau den Monarchischen Verband. Ihm folgte
der frühere Präsident der Moskaner Landwirtschaftlichen Gesellschaft Fürst
A. Stscherbatow mit der Gründung des Verbandes Russischer Männer. Am
17. (30.) September wurde ein Ordnungsverband in Ssaratow gegründet. Den
unausgesetzten Bemühungen Gringmuts gelang es, die Rußkoje Ssobranije in
Petersburg, der viele hohe Würdenträger als Mitglieder angehören, zu be¬
wegen, eine Versammlung aller Monarchisten zusammenzurufen, und so kam es
am 17. (30.) November 1905 zur Gründung des Allrussischen Volksverbandes,
der somit keine geschlossene Partei, sondern eine taktische Einheit zur Er¬
kämpfung gewisser Ziele ist. Der nächste Schritt erfolgte in Kijew, wo Pro¬
fessor Pichno mit seinem Blatt Kijewljanin unter dem Deckmantel einer Partei
der Rechtsordnung zu wirken begann. Solange Graf Witte Ministerpräsident


Russische Briefe

Hütten aufhalten können und wollen. Als erster ging S. I. Witte ins Lager
der Roten über, derselbe Witte, der vor sieben Jahren den Zaren von einer
Reform abgehalten hat. Erst in den März 1905 fallen die ersten Anzeichen
für eine Wiedererstarkung der Elemente, die wir bei der Thronbesteigung
Alexanders des Dritten haben als Sieger über die Slawjanophilcn triumphieren
sehn. Ihr Wecker und Rufer im Streit und ihr Organisator aber war ein
Mann — jüdischer Abstammung: Wladimir Andrejewitsch Gringmut.

Gringmut ist der älteste Sohn eines aus Neustadt in Schlesien stammenden
Lehrers, den der Kurator des Moskaner Lehrbezirks Graf Strogonow um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts für den Unterricht seiner Söhne gewann.
Diesem Umstände verdankte Wladimir Gringmut seinen Eintritt ins Lyzeum
zu Moskau als Hilfslehrer für Deutsch und Griechisch und damit seine Be¬
ziehungen zum alten Moskaner Adel und zu Katkow. Gringmut hatte das
Glück, sich ans innerster Seele für das klassische Altertum in einer Zeit zu
interessieren, wo der Klassizismus in Rußland durch Tolstoi mit Knute und
Verbannung in den Schulen eingeführt wurde. Er galt immer als ein un¬
gemein begabter und scharfsinniger Mensch und wurde wegen seiner Kenntnis
der altägyptischen Keilschrift, des Griechischen und des Lateinischen sowie der
deutschen, französischen, englischen und italienischen Sprache bei allen möglichen
Gelegenheiten zu Rate gezogen. Katkow nahm ihn in die Redaktion der
Moskowskija Wjedomosti und sorgte für seine Anstellung als Direktor des
Moskaner Lyzeums. Im Jahre 1895 begann Gringmuts eigentliche politische
Tätigkeit durch die Übernahme der Moskowskija Wjedomosti. Er begann
seinen Weg mit einem Angriff gegen die um die Rußkija Wjedomosti ver¬
sammelten Moskaner Konstitutionalisten. Der unversöhnliche Gegner dieser
„Westler" ist er geblieben. Gringmut war der erste Monarchist in Nußland,
der sich die Lehren der Revolution zunutze machte und die Gesellschaft zu
organisieren begann, als Abwehrorganisation gegen die Ansprüche der Kon¬
stitutionalisten. Im April 1905, als durch das Glaubensmanifest die ortho¬
doxe Staatskirche den andern christlichen Bekenntnissen preisgegeben zu werden
schien, gründete er in Moskau den Monarchischen Verband. Ihm folgte
der frühere Präsident der Moskaner Landwirtschaftlichen Gesellschaft Fürst
A. Stscherbatow mit der Gründung des Verbandes Russischer Männer. Am
17. (30.) September wurde ein Ordnungsverband in Ssaratow gegründet. Den
unausgesetzten Bemühungen Gringmuts gelang es, die Rußkoje Ssobranije in
Petersburg, der viele hohe Würdenträger als Mitglieder angehören, zu be¬
wegen, eine Versammlung aller Monarchisten zusammenzurufen, und so kam es
am 17. (30.) November 1905 zur Gründung des Allrussischen Volksverbandes,
der somit keine geschlossene Partei, sondern eine taktische Einheit zur Er¬
kämpfung gewisser Ziele ist. Der nächste Schritt erfolgte in Kijew, wo Pro¬
fessor Pichno mit seinem Blatt Kijewljanin unter dem Deckmantel einer Partei
der Rechtsordnung zu wirken begann. Solange Graf Witte Ministerpräsident


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[0398] Russische Briefe Hütten aufhalten können und wollen. Als erster ging S. I. Witte ins Lager der Roten über, derselbe Witte, der vor sieben Jahren den Zaren von einer Reform abgehalten hat. Erst in den März 1905 fallen die ersten Anzeichen für eine Wiedererstarkung der Elemente, die wir bei der Thronbesteigung Alexanders des Dritten haben als Sieger über die Slawjanophilcn triumphieren sehn. Ihr Wecker und Rufer im Streit und ihr Organisator aber war ein Mann — jüdischer Abstammung: Wladimir Andrejewitsch Gringmut. Gringmut ist der älteste Sohn eines aus Neustadt in Schlesien stammenden Lehrers, den der Kurator des Moskaner Lehrbezirks Graf Strogonow um die Mitte des vorigen Jahrhunderts für den Unterricht seiner Söhne gewann. Diesem Umstände verdankte Wladimir Gringmut seinen Eintritt ins Lyzeum zu Moskau als Hilfslehrer für Deutsch und Griechisch und damit seine Be¬ ziehungen zum alten Moskaner Adel und zu Katkow. Gringmut hatte das Glück, sich ans innerster Seele für das klassische Altertum in einer Zeit zu interessieren, wo der Klassizismus in Rußland durch Tolstoi mit Knute und Verbannung in den Schulen eingeführt wurde. Er galt immer als ein un¬ gemein begabter und scharfsinniger Mensch und wurde wegen seiner Kenntnis der altägyptischen Keilschrift, des Griechischen und des Lateinischen sowie der deutschen, französischen, englischen und italienischen Sprache bei allen möglichen Gelegenheiten zu Rate gezogen. Katkow nahm ihn in die Redaktion der Moskowskija Wjedomosti und sorgte für seine Anstellung als Direktor des Moskaner Lyzeums. Im Jahre 1895 begann Gringmuts eigentliche politische Tätigkeit durch die Übernahme der Moskowskija Wjedomosti. Er begann seinen Weg mit einem Angriff gegen die um die Rußkija Wjedomosti ver¬ sammelten Moskaner Konstitutionalisten. Der unversöhnliche Gegner dieser „Westler" ist er geblieben. Gringmut war der erste Monarchist in Nußland, der sich die Lehren der Revolution zunutze machte und die Gesellschaft zu organisieren begann, als Abwehrorganisation gegen die Ansprüche der Kon¬ stitutionalisten. Im April 1905, als durch das Glaubensmanifest die ortho¬ doxe Staatskirche den andern christlichen Bekenntnissen preisgegeben zu werden schien, gründete er in Moskau den Monarchischen Verband. Ihm folgte der frühere Präsident der Moskaner Landwirtschaftlichen Gesellschaft Fürst A. Stscherbatow mit der Gründung des Verbandes Russischer Männer. Am 17. (30.) September wurde ein Ordnungsverband in Ssaratow gegründet. Den unausgesetzten Bemühungen Gringmuts gelang es, die Rußkoje Ssobranije in Petersburg, der viele hohe Würdenträger als Mitglieder angehören, zu be¬ wegen, eine Versammlung aller Monarchisten zusammenzurufen, und so kam es am 17. (30.) November 1905 zur Gründung des Allrussischen Volksverbandes, der somit keine geschlossene Partei, sondern eine taktische Einheit zur Er¬ kämpfung gewisser Ziele ist. Der nächste Schritt erfolgte in Kijew, wo Pro¬ fessor Pichno mit seinem Blatt Kijewljanin unter dem Deckmantel einer Partei der Rechtsordnung zu wirken begann. Solange Graf Witte Ministerpräsident

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/398>, abgerufen am 26.06.2024.