Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russische Briefe

Weder hervorragende Juristen, noch besonders talentvolle Organisatoren, noch
weitschauende Staatsmänner -- aber beide waren Männer, die sich das Ver¬
trauen von drei Monarchen anzueignen verstanden, obwohl sie echte Söhne
ihrer Zeit waren, nämlich -- Nihilisten!*) Beide scheuten vor keinem Mittel
zurück, das ihnen die Macht des Autokraten lieh, um ihren Willen durch¬
zusetzen. Diese Mittel waren häufig recht unwürdig. So wurden die Steuer¬
statuten für die Priesterseminare in einer Woche hergestellt. Als sich einige
Bischöfe weigerten, die neuen Statuten zu unterzeichnen, erklärte Tolstoj, dann
würde die Verwaltung für geistliche Angelegenheiten 300000 Rubel (Budget
für 1867) einbüßen. Das zog. Alle Bischöfe unterschrieben, und Tolstoj
konnte an den Zaren melden: "Nach allseitiger Beurteilung und Annahme
durch den Heiligen spröd..." (Autobiographische Aufzeichnungen des Erz-
bischofs Ssawwa von Twerj, Moskau, 1901, Seite 704). Der Herr Minister
mußte seine Autorität bei der hohen Geistlichkeit beweisen!

Nach dem Attentat Karakosows wurde der Dichter Tschernischewski nach
Sibirien verbannt, weil er zu derselben Zeit Lehrer in Ssaratow war, als
Karakosow dort lernte, obwohl nachgewiesen wurde, daß beide niemals zu¬
sammengekommen waren. (Tolstojs Antrittsrede am 23. August 1866.) Der
Herr Minister mußte seinen Eifer zeigen!

Weder Tolstoj noch Pobjedonostzew hat aber etwas Positives auf staats¬
männischem Gebiete geschaffen, und auch beider wissenschaftliche Arbeiten**) be¬
weisen nur, daß sie fleißige Menschen, niemals aber Schöpfer eigner Gedanken¬
gebäude gewesen sind. Aber beide arbeiteten mehr als irgendeiner ihrer Um¬
gebung, und das genügte, da sie gut empfohlen waren, sie zu den eigentlichen
Führern des Staates zu erheben. Aus demselben Grunde ist auch Katkow
von Einfluß gewesen, der um so größer war, als er ein vollständig un¬
abhängiger und geistig hochstehender Mann war, der sich vor niemand fürchtete.
Tolstoj und Katkow waren Bundesgenossen gegen die Slawjanophilen, deren
Wunsch nach einem Sjemski Ssobor von ihnen als Beschränkung der auto¬
kratischen Macht des Zaren bezeichnet wurde. Aber Tolstoj -- das scheint
mir wichtig, hervorzuheben -- scheint den Adel lediglich zur Stärkung der
bureaukratischen Zentralgewalt ausgenutzt sehen zu wollen, während Katkow
zweifellos im Adel eine Kulturmacht für das russische Volk sah. Meine An¬
sicht über Tolstoj wird durch das Schicksal eines Gesetzentwurfs bestätigt, den
der Slawjanophile P. D. Golochwastow zur Berufung eines Sjemski Ssobor




*) Vgl. Pobjedonostzews "Moskowitische Studien", deutsch von C. E. Wohlbrück.
Dresden, E. Piersons Verlag, 1904.
Tolstojs "Geschichte der Finanzinstitute in Nußland" und OiMolioisms romein su
Russis enthalten vor allen Dingen eine fleißige Zusammenstellung von amtlichen Material.
Pobjedonostzews vielbändiges Werk "Kursus des Bürgerlichen Rechts" (1896) zeugt auch in
erster Linie von formaler Begabung, nicht von selbständiger Gedankentiefe. Pobjedonostzew
ist auch Übersetzer.
Russische Briefe

Weder hervorragende Juristen, noch besonders talentvolle Organisatoren, noch
weitschauende Staatsmänner — aber beide waren Männer, die sich das Ver¬
trauen von drei Monarchen anzueignen verstanden, obwohl sie echte Söhne
ihrer Zeit waren, nämlich — Nihilisten!*) Beide scheuten vor keinem Mittel
zurück, das ihnen die Macht des Autokraten lieh, um ihren Willen durch¬
zusetzen. Diese Mittel waren häufig recht unwürdig. So wurden die Steuer¬
statuten für die Priesterseminare in einer Woche hergestellt. Als sich einige
Bischöfe weigerten, die neuen Statuten zu unterzeichnen, erklärte Tolstoj, dann
würde die Verwaltung für geistliche Angelegenheiten 300000 Rubel (Budget
für 1867) einbüßen. Das zog. Alle Bischöfe unterschrieben, und Tolstoj
konnte an den Zaren melden: „Nach allseitiger Beurteilung und Annahme
durch den Heiligen spröd..." (Autobiographische Aufzeichnungen des Erz-
bischofs Ssawwa von Twerj, Moskau, 1901, Seite 704). Der Herr Minister
mußte seine Autorität bei der hohen Geistlichkeit beweisen!

Nach dem Attentat Karakosows wurde der Dichter Tschernischewski nach
Sibirien verbannt, weil er zu derselben Zeit Lehrer in Ssaratow war, als
Karakosow dort lernte, obwohl nachgewiesen wurde, daß beide niemals zu¬
sammengekommen waren. (Tolstojs Antrittsrede am 23. August 1866.) Der
Herr Minister mußte seinen Eifer zeigen!

Weder Tolstoj noch Pobjedonostzew hat aber etwas Positives auf staats¬
männischem Gebiete geschaffen, und auch beider wissenschaftliche Arbeiten**) be¬
weisen nur, daß sie fleißige Menschen, niemals aber Schöpfer eigner Gedanken¬
gebäude gewesen sind. Aber beide arbeiteten mehr als irgendeiner ihrer Um¬
gebung, und das genügte, da sie gut empfohlen waren, sie zu den eigentlichen
Führern des Staates zu erheben. Aus demselben Grunde ist auch Katkow
von Einfluß gewesen, der um so größer war, als er ein vollständig un¬
abhängiger und geistig hochstehender Mann war, der sich vor niemand fürchtete.
Tolstoj und Katkow waren Bundesgenossen gegen die Slawjanophilen, deren
Wunsch nach einem Sjemski Ssobor von ihnen als Beschränkung der auto¬
kratischen Macht des Zaren bezeichnet wurde. Aber Tolstoj — das scheint
mir wichtig, hervorzuheben — scheint den Adel lediglich zur Stärkung der
bureaukratischen Zentralgewalt ausgenutzt sehen zu wollen, während Katkow
zweifellos im Adel eine Kulturmacht für das russische Volk sah. Meine An¬
sicht über Tolstoj wird durch das Schicksal eines Gesetzentwurfs bestätigt, den
der Slawjanophile P. D. Golochwastow zur Berufung eines Sjemski Ssobor




*) Vgl. Pobjedonostzews „Moskowitische Studien", deutsch von C. E. Wohlbrück.
Dresden, E. Piersons Verlag, 1904.
Tolstojs „Geschichte der Finanzinstitute in Nußland" und OiMolioisms romein su
Russis enthalten vor allen Dingen eine fleißige Zusammenstellung von amtlichen Material.
Pobjedonostzews vielbändiges Werk „Kursus des Bürgerlichen Rechts" (1896) zeugt auch in
erster Linie von formaler Begabung, nicht von selbständiger Gedankentiefe. Pobjedonostzew
ist auch Übersetzer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303810"/>
          <fw type="header" place="top"> Russische Briefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1753" prev="#ID_1752"> Weder hervorragende Juristen, noch besonders talentvolle Organisatoren, noch<lb/>
weitschauende Staatsmänner &#x2014; aber beide waren Männer, die sich das Ver¬<lb/>
trauen von drei Monarchen anzueignen verstanden, obwohl sie echte Söhne<lb/>
ihrer Zeit waren, nämlich &#x2014; Nihilisten!*) Beide scheuten vor keinem Mittel<lb/>
zurück, das ihnen die Macht des Autokraten lieh, um ihren Willen durch¬<lb/>
zusetzen. Diese Mittel waren häufig recht unwürdig. So wurden die Steuer¬<lb/>
statuten für die Priesterseminare in einer Woche hergestellt. Als sich einige<lb/>
Bischöfe weigerten, die neuen Statuten zu unterzeichnen, erklärte Tolstoj, dann<lb/>
würde die Verwaltung für geistliche Angelegenheiten 300000 Rubel (Budget<lb/>
für 1867) einbüßen. Das zog. Alle Bischöfe unterschrieben, und Tolstoj<lb/>
konnte an den Zaren melden: &#x201E;Nach allseitiger Beurteilung und Annahme<lb/>
durch den Heiligen spröd..." (Autobiographische Aufzeichnungen des Erz-<lb/>
bischofs Ssawwa von Twerj, Moskau, 1901, Seite 704). Der Herr Minister<lb/>
mußte seine Autorität bei der hohen Geistlichkeit beweisen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1754"> Nach dem Attentat Karakosows wurde der Dichter Tschernischewski nach<lb/>
Sibirien verbannt, weil er zu derselben Zeit Lehrer in Ssaratow war, als<lb/>
Karakosow dort lernte, obwohl nachgewiesen wurde, daß beide niemals zu¬<lb/>
sammengekommen waren. (Tolstojs Antrittsrede am 23. August 1866.) Der<lb/>
Herr Minister mußte seinen Eifer zeigen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1755" next="#ID_1756"> Weder Tolstoj noch Pobjedonostzew hat aber etwas Positives auf staats¬<lb/>
männischem Gebiete geschaffen, und auch beider wissenschaftliche Arbeiten**) be¬<lb/>
weisen nur, daß sie fleißige Menschen, niemals aber Schöpfer eigner Gedanken¬<lb/>
gebäude gewesen sind. Aber beide arbeiteten mehr als irgendeiner ihrer Um¬<lb/>
gebung, und das genügte, da sie gut empfohlen waren, sie zu den eigentlichen<lb/>
Führern des Staates zu erheben. Aus demselben Grunde ist auch Katkow<lb/>
von Einfluß gewesen, der um so größer war, als er ein vollständig un¬<lb/>
abhängiger und geistig hochstehender Mann war, der sich vor niemand fürchtete.<lb/>
Tolstoj und Katkow waren Bundesgenossen gegen die Slawjanophilen, deren<lb/>
Wunsch nach einem Sjemski Ssobor von ihnen als Beschränkung der auto¬<lb/>
kratischen Macht des Zaren bezeichnet wurde. Aber Tolstoj &#x2014; das scheint<lb/>
mir wichtig, hervorzuheben &#x2014; scheint den Adel lediglich zur Stärkung der<lb/>
bureaukratischen Zentralgewalt ausgenutzt sehen zu wollen, während Katkow<lb/>
zweifellos im Adel eine Kulturmacht für das russische Volk sah. Meine An¬<lb/>
sicht über Tolstoj wird durch das Schicksal eines Gesetzentwurfs bestätigt, den<lb/>
der Slawjanophile P. D. Golochwastow zur Berufung eines Sjemski Ssobor</p><lb/>
          <note xml:id="FID_34" place="foot"> *) Vgl. Pobjedonostzews &#x201E;Moskowitische Studien", deutsch von C. E. Wohlbrück.<lb/>
Dresden, E. Piersons Verlag, 1904.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> Tolstojs &#x201E;Geschichte der Finanzinstitute in Nußland" und OiMolioisms romein su<lb/>
Russis enthalten vor allen Dingen eine fleißige Zusammenstellung von amtlichen Material.<lb/>
Pobjedonostzews vielbändiges Werk &#x201E;Kursus des Bürgerlichen Rechts" (1896) zeugt auch in<lb/>
erster Linie von formaler Begabung, nicht von selbständiger Gedankentiefe. Pobjedonostzew<lb/>
ist auch Übersetzer.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Russische Briefe Weder hervorragende Juristen, noch besonders talentvolle Organisatoren, noch weitschauende Staatsmänner — aber beide waren Männer, die sich das Ver¬ trauen von drei Monarchen anzueignen verstanden, obwohl sie echte Söhne ihrer Zeit waren, nämlich — Nihilisten!*) Beide scheuten vor keinem Mittel zurück, das ihnen die Macht des Autokraten lieh, um ihren Willen durch¬ zusetzen. Diese Mittel waren häufig recht unwürdig. So wurden die Steuer¬ statuten für die Priesterseminare in einer Woche hergestellt. Als sich einige Bischöfe weigerten, die neuen Statuten zu unterzeichnen, erklärte Tolstoj, dann würde die Verwaltung für geistliche Angelegenheiten 300000 Rubel (Budget für 1867) einbüßen. Das zog. Alle Bischöfe unterschrieben, und Tolstoj konnte an den Zaren melden: „Nach allseitiger Beurteilung und Annahme durch den Heiligen spröd..." (Autobiographische Aufzeichnungen des Erz- bischofs Ssawwa von Twerj, Moskau, 1901, Seite 704). Der Herr Minister mußte seine Autorität bei der hohen Geistlichkeit beweisen! Nach dem Attentat Karakosows wurde der Dichter Tschernischewski nach Sibirien verbannt, weil er zu derselben Zeit Lehrer in Ssaratow war, als Karakosow dort lernte, obwohl nachgewiesen wurde, daß beide niemals zu¬ sammengekommen waren. (Tolstojs Antrittsrede am 23. August 1866.) Der Herr Minister mußte seinen Eifer zeigen! Weder Tolstoj noch Pobjedonostzew hat aber etwas Positives auf staats¬ männischem Gebiete geschaffen, und auch beider wissenschaftliche Arbeiten**) be¬ weisen nur, daß sie fleißige Menschen, niemals aber Schöpfer eigner Gedanken¬ gebäude gewesen sind. Aber beide arbeiteten mehr als irgendeiner ihrer Um¬ gebung, und das genügte, da sie gut empfohlen waren, sie zu den eigentlichen Führern des Staates zu erheben. Aus demselben Grunde ist auch Katkow von Einfluß gewesen, der um so größer war, als er ein vollständig un¬ abhängiger und geistig hochstehender Mann war, der sich vor niemand fürchtete. Tolstoj und Katkow waren Bundesgenossen gegen die Slawjanophilen, deren Wunsch nach einem Sjemski Ssobor von ihnen als Beschränkung der auto¬ kratischen Macht des Zaren bezeichnet wurde. Aber Tolstoj — das scheint mir wichtig, hervorzuheben — scheint den Adel lediglich zur Stärkung der bureaukratischen Zentralgewalt ausgenutzt sehen zu wollen, während Katkow zweifellos im Adel eine Kulturmacht für das russische Volk sah. Meine An¬ sicht über Tolstoj wird durch das Schicksal eines Gesetzentwurfs bestätigt, den der Slawjanophile P. D. Golochwastow zur Berufung eines Sjemski Ssobor *) Vgl. Pobjedonostzews „Moskowitische Studien", deutsch von C. E. Wohlbrück. Dresden, E. Piersons Verlag, 1904. Tolstojs „Geschichte der Finanzinstitute in Nußland" und OiMolioisms romein su Russis enthalten vor allen Dingen eine fleißige Zusammenstellung von amtlichen Material. Pobjedonostzews vielbändiges Werk „Kursus des Bürgerlichen Rechts" (1896) zeugt auch in erster Linie von formaler Begabung, nicht von selbständiger Gedankentiefe. Pobjedonostzew ist auch Übersetzer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/394>, abgerufen am 03.07.2024.