Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Die kleine graue Ratze Nun, vorläufig meinte ich ja nur -- Aber wenn ich käme, würde ich die Sache für ihn nur verschlimmern... Ja Nein, ich danke sehr. Ich habe dem Jungen drüben nichts gesagt, deshalb Dann werde ich gleich den Wagen anspannen lassen. Aber während ich schreibe, Sie war jetzt wieder ganz die ruhige Weltdame wie sonst. Als sie mit dem Briefe fertig war, sagte sie: Ich habe Axel geschrieben, daß Ich kann den Ausdruck ihrer Augen nicht vergessen, womit sie mich ansah, als Sie machte eine Bewegung, wie um den Rosenstrauß, den sie an der Brust Vor einer kurzen Weile bin ich hier wieder eingetroffen und schließe jetzt diese Ach, Gott gebe, daß einige Tage der ruhigen Überlegung Axel zu der Er¬ Es erscheint sonderbar, aber ich habe oft bemerkt, daß kräftige, rücksichtslos Ich hoffe jedoch, wie gesagt, daß diese unnatürlichen Vorstellungen bald ver¬ Mit d Friedrich en besten Grüßen dein treuer Bruder (Fortsetzung folgt) Grenzboten IV 190749
Die kleine graue Ratze Nun, vorläufig meinte ich ja nur — Aber wenn ich käme, würde ich die Sache für ihn nur verschlimmern... Ja Nein, ich danke sehr. Ich habe dem Jungen drüben nichts gesagt, deshalb Dann werde ich gleich den Wagen anspannen lassen. Aber während ich schreibe, Sie war jetzt wieder ganz die ruhige Weltdame wie sonst. Als sie mit dem Briefe fertig war, sagte sie: Ich habe Axel geschrieben, daß Ich kann den Ausdruck ihrer Augen nicht vergessen, womit sie mich ansah, als Sie machte eine Bewegung, wie um den Rosenstrauß, den sie an der Brust Vor einer kurzen Weile bin ich hier wieder eingetroffen und schließe jetzt diese Ach, Gott gebe, daß einige Tage der ruhigen Überlegung Axel zu der Er¬ Es erscheint sonderbar, aber ich habe oft bemerkt, daß kräftige, rücksichtslos Ich hoffe jedoch, wie gesagt, daß diese unnatürlichen Vorstellungen bald ver¬ Mit d Friedrich en besten Grüßen dein treuer Bruder (Fortsetzung folgt) Grenzboten IV 190749
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303801"/> <fw type="header" place="top"> Die kleine graue Ratze</fw><lb/> <p xml:id="ID_1715"> Nun, vorläufig meinte ich ja nur —</p><lb/> <p xml:id="ID_1716"> Aber wenn ich käme, würde ich die Sache für ihn nur verschlimmern... Ja<lb/> ja, denn ich bin das Glück — ich meine für ihn —, und gerade zum Glück meint<lb/> er jetzt nicht das Recht zu haben. Und wenn er felbst mich bittet, wegzubleiben — dann<lb/> wage ich nicht zu kommen. Er soll Ruhe haben, mit sich selbst fertig zu werden.<lb/> Es ist nichts zugrunde gegangen oder vorbei — wir müssen ihm nur etwas Zeit<lb/> lassen. Ich schreibe ihm jetzt ein paar Worte. Bleibst du zu Mittag hier, Onkel?</p><lb/> <p xml:id="ID_1717"> Nein, ich danke sehr. Ich habe dem Jungen drüben nichts gesagt, deshalb<lb/> muß ich schnellstens nach Hause.</p><lb/> <p xml:id="ID_1718"> Dann werde ich gleich den Wagen anspannen lassen. Aber während ich schreibe,<lb/> mußt du in meinem Zimmer eine Tasse Tee trinken und dann so liebenswürdig<lb/> sein, den Brief mitzunehmen. Mama hält ihr Schläfchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1719"> Sie war jetzt wieder ganz die ruhige Weltdame wie sonst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1720"> Als sie mit dem Briefe fertig war, sagte sie: Ich habe Axel geschrieben, daß<lb/> ich ihn ganz gut verstehe — auch wenn es ihm am liebsten wäre, wenn wir uns<lb/> eine Zeit lang nicht schrieben — wenigstens nicht über — Vielleicht kann es ihn<lb/> beruhigen, wenn wir unser — gar nicht berühren — Er weiß, daß ich ganz sein<lb/> eigen bin — in allem.</p><lb/> <p xml:id="ID_1721"> Ich kann den Ausdruck ihrer Augen nicht vergessen, womit sie mich ansah, als<lb/> ich in den Wagen stieg und dann dem Kutscher zurief, er könne abfahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1722"> Sie machte eine Bewegung, wie um den Rosenstrauß, den sie an der Brust<lb/> trug, loszumachen, besann sich aber eines andern und sagte: Nein, sie könnten ihm<lb/> eine unruhige Nacht bereiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1723"> Vor einer kurzen Weile bin ich hier wieder eingetroffen und schließe jetzt diese<lb/> Zeilen, denn die Mittagsglocke kann jeden Augenblick ertönen. Ebbas Brief ein<lb/> Axel ließ ich durch den Diener hineintragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1724"> Ach, Gott gebe, daß einige Tage der ruhigen Überlegung Axel zu der Er¬<lb/> kenntnis brächten, daß nicht das allermindeste dadurch wieder gut gemacht wird, wenn<lb/> er das Glück, das sich ihm jetzt bietet, nicht ergreift, fondern nur deu Grund zu<lb/> noch viel mehr Selbstvorwürfen legt, als er sich jetzt schon macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1725"> Es erscheint sonderbar, aber ich habe oft bemerkt, daß kräftige, rücksichtslos<lb/> mutige Männer wie Axel in gewissen Punkten auffallend weich und leicht zu er¬<lb/> schüttern sind. Noch nicht zwei Jahre ist es her, daß er, ohne einen Augenblick zu<lb/> überlegen, Hals über Kopf in das gräßlichste Wasserloch sprang, um eiues der zahl¬<lb/> losen Kinder des Hofgesindes zu retten; und wer bei einer andern Gelegenheit ge¬<lb/> sehn hat, wie er sich einem Wagen mit scheugewordneu Pferden, in dein Ebbas<lb/> Mutter saß, cntgegenwarf, dem wird sein Bild stets als Typus der Unerschrockenheit<lb/> vor Augen stehn. Und jetzt läßt er sich durch eine tote Katze ganz und gar aus<lb/> dem Konzept bringen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1726"> Ich hoffe jedoch, wie gesagt, daß diese unnatürlichen Vorstellungen bald ver¬<lb/> schwinden und die guten Zukunftspläne wieder die Oberhand gewinnen werden.</p><lb/> <note type="closer"> Mit d<note type="bibl"> Friedrich</note> en besten Grüßen dein treuer Bruder </note><lb/> <p xml:id="ID_1727"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 190749</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0385]
Die kleine graue Ratze
Nun, vorläufig meinte ich ja nur —
Aber wenn ich käme, würde ich die Sache für ihn nur verschlimmern... Ja
ja, denn ich bin das Glück — ich meine für ihn —, und gerade zum Glück meint
er jetzt nicht das Recht zu haben. Und wenn er felbst mich bittet, wegzubleiben — dann
wage ich nicht zu kommen. Er soll Ruhe haben, mit sich selbst fertig zu werden.
Es ist nichts zugrunde gegangen oder vorbei — wir müssen ihm nur etwas Zeit
lassen. Ich schreibe ihm jetzt ein paar Worte. Bleibst du zu Mittag hier, Onkel?
Nein, ich danke sehr. Ich habe dem Jungen drüben nichts gesagt, deshalb
muß ich schnellstens nach Hause.
Dann werde ich gleich den Wagen anspannen lassen. Aber während ich schreibe,
mußt du in meinem Zimmer eine Tasse Tee trinken und dann so liebenswürdig
sein, den Brief mitzunehmen. Mama hält ihr Schläfchen.
Sie war jetzt wieder ganz die ruhige Weltdame wie sonst.
Als sie mit dem Briefe fertig war, sagte sie: Ich habe Axel geschrieben, daß
ich ihn ganz gut verstehe — auch wenn es ihm am liebsten wäre, wenn wir uns
eine Zeit lang nicht schrieben — wenigstens nicht über — Vielleicht kann es ihn
beruhigen, wenn wir unser — gar nicht berühren — Er weiß, daß ich ganz sein
eigen bin — in allem.
Ich kann den Ausdruck ihrer Augen nicht vergessen, womit sie mich ansah, als
ich in den Wagen stieg und dann dem Kutscher zurief, er könne abfahren.
Sie machte eine Bewegung, wie um den Rosenstrauß, den sie an der Brust
trug, loszumachen, besann sich aber eines andern und sagte: Nein, sie könnten ihm
eine unruhige Nacht bereiten.
Vor einer kurzen Weile bin ich hier wieder eingetroffen und schließe jetzt diese
Zeilen, denn die Mittagsglocke kann jeden Augenblick ertönen. Ebbas Brief ein
Axel ließ ich durch den Diener hineintragen.
Ach, Gott gebe, daß einige Tage der ruhigen Überlegung Axel zu der Er¬
kenntnis brächten, daß nicht das allermindeste dadurch wieder gut gemacht wird, wenn
er das Glück, das sich ihm jetzt bietet, nicht ergreift, fondern nur deu Grund zu
noch viel mehr Selbstvorwürfen legt, als er sich jetzt schon macht.
Es erscheint sonderbar, aber ich habe oft bemerkt, daß kräftige, rücksichtslos
mutige Männer wie Axel in gewissen Punkten auffallend weich und leicht zu er¬
schüttern sind. Noch nicht zwei Jahre ist es her, daß er, ohne einen Augenblick zu
überlegen, Hals über Kopf in das gräßlichste Wasserloch sprang, um eiues der zahl¬
losen Kinder des Hofgesindes zu retten; und wer bei einer andern Gelegenheit ge¬
sehn hat, wie er sich einem Wagen mit scheugewordneu Pferden, in dein Ebbas
Mutter saß, cntgegenwarf, dem wird sein Bild stets als Typus der Unerschrockenheit
vor Augen stehn. Und jetzt läßt er sich durch eine tote Katze ganz und gar aus
dem Konzept bringen!
Ich hoffe jedoch, wie gesagt, daß diese unnatürlichen Vorstellungen bald ver¬
schwinden und die guten Zukunftspläne wieder die Oberhand gewinnen werden.
Mit d Friedrich en besten Grüßen dein treuer Bruder
(Fortsetzung folgt)
Grenzboten IV 190749
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |