Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Archilochos auf Rache an dem Frevler deutlich durchschimmern. Dem Gedanken kommt in Proben dieser herbsten und derbsten Poesie mitzuteilen verbietet der An¬ Archilochos auf Rache an dem Frevler deutlich durchschimmern. Dem Gedanken kommt in Proben dieser herbsten und derbsten Poesie mitzuteilen verbietet der An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303780"/> <fw type="header" place="top"> Archilochos</fw><lb/> <p xml:id="ID_1585" prev="#ID_1584"> auf Rache an dem Frevler deutlich durchschimmern. Dem Gedanken kommt in<lb/> diesen Rachegedichtm der Vers zu Hilfe: der scharfe Jambus in seinen blitzenden<lb/> Versfüßen, das Unregelmäßige der Verszeilen, die Lücken in den Trimetern<lb/> schildern uns trefflich das zerrissene Gemüt des Dichters, Trimeter und Duncker<lb/> wirken wie Stiche oder Hiebe, die er austeilt. Die Wut wars, die den Dichter<lb/> zu den Jamben trieb: „Zorn gab als Waffe den Jambus zuerst in Archilochus<lb/> Hände", wie Horaz in der ^rs posties, sagt, in Notwehr, wie Kaiser Julianus<lb/> entschuldigt, stimmte er seine Muse. Er war der erste, der in diesem Versmaß<lb/> dichtete, wenn er den ländischen Rhythmus auch nicht erfunden hat, denn die<lb/> Natur schafft sich selbst das entsprechende Versmaß, wie Aristoteles treffend<lb/> bemerkt. Der Dichter hat in seiner Wahl des Metrums Glück gehabt, denn<lb/> kein andres paßte besser zu den Wutausbrüchen, die ihm das Herz erleichterten.<lb/> Das verstand er, seinem Grimme Ausdruck zu geben, wie er sich selbst mit der<lb/> Zitate vergleicht, die um so lauter zirpt, wenn sie an den Flügeln gepackt<lb/> wird. Und offen legt er das unchristliche Bekenntnis ab: „Eins versteh<lb/> ich — und das aus vollem Herzen: der mir Böses tat, mit Bösem furchtbar<lb/> wieder zu vergelten." Natürlich richtete er die Pfeile des Spotts und Hohns<lb/> nicht nur auf den wortbrüchigen Schwiegervater, sondern auch ans die Verlorne<lb/> Braut und den glücklichen neuen Bräutigam Leophilos. Die Poesie steigt von<lb/> ihrer idealen Höhe herab und wälzt sich im Kot. Nichts Heiliges gibt es<lb/> mehr für den gequälten, getäuschten Liebhaber. Zunächst singt er von der<lb/> furchtbaren Tatsache, daß eben jetzt Leophilos Hahn im Korbe ist, dem jetzt<lb/> alles gehorcht, alles Untertan ist, alles zur Verfügung steht, wo das viermalige<lb/> „Leophilos" mit bitterer Wut herausposaunt wird. Das Schäferstündchen der<lb/> beiden wird ins Ekelhafte übertragen, die Liebessehnsucht des Rivalen mit<lb/> grellen Farben ausgemalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Proben dieser herbsten und derbsten Poesie mitzuteilen verbietet der An¬<lb/> stand. Wenn er einst in zarter Liebe sich als das Herrlichste wünschte, der<lb/> Geliebten Hand zu berühren, fährt er jetzt im Stile Heinrich Heines mit<lb/> lüsternen Wünschen fort, wodurch aller Duft seiner einstigen Poesie arg zer¬<lb/> stört wird. Alle Achtung vor Neobnle ist zerknickt; „deine Haut blüht schon<lb/> nicht mehr, aber du wirst dich immer noch salben, wenn du auch ein altes<lb/> Weib geworden bist", ruft er ihr zu, bedenkt sie mit den gemeinsten Schimpf¬<lb/> namen, greift ihren Ruf in wahrhaft zynischer Weise an. Kallimachus hat<lb/> Recht, wenn er sagt, das Gift seiner Rede stamme von der Galle des Hundes<lb/> und vom Stachel der Wespe. Wehmut und Entsetzen ergreift uns, wenn wir<lb/> sehen, wozu den Dichter dieser unselige Bruch geführt hat. Außer ein paar<lb/> Brocken haben wirkeine größern Partien aus diesen Schmähgedichten; daß sich<lb/> Archilochos aber in noch größern Beleidigungen ergangen hat, sehen wir aus<lb/> einem Epigramme der griechischen Anthologie, worin sich die armen ange¬<lb/> griffnen Töchter des Lykambes gegenüber den furchtbaren Angriffen des Dichters<lb/> zu rechtfertigen suchen. Diese bissige Tadelsucht machte ihn natürlich nicht<lb/> beliebt. Pindar erinnert an sein Beispiel und nimmt sich vor, einem solchen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0364]
Archilochos
auf Rache an dem Frevler deutlich durchschimmern. Dem Gedanken kommt in
diesen Rachegedichtm der Vers zu Hilfe: der scharfe Jambus in seinen blitzenden
Versfüßen, das Unregelmäßige der Verszeilen, die Lücken in den Trimetern
schildern uns trefflich das zerrissene Gemüt des Dichters, Trimeter und Duncker
wirken wie Stiche oder Hiebe, die er austeilt. Die Wut wars, die den Dichter
zu den Jamben trieb: „Zorn gab als Waffe den Jambus zuerst in Archilochus
Hände", wie Horaz in der ^rs posties, sagt, in Notwehr, wie Kaiser Julianus
entschuldigt, stimmte er seine Muse. Er war der erste, der in diesem Versmaß
dichtete, wenn er den ländischen Rhythmus auch nicht erfunden hat, denn die
Natur schafft sich selbst das entsprechende Versmaß, wie Aristoteles treffend
bemerkt. Der Dichter hat in seiner Wahl des Metrums Glück gehabt, denn
kein andres paßte besser zu den Wutausbrüchen, die ihm das Herz erleichterten.
Das verstand er, seinem Grimme Ausdruck zu geben, wie er sich selbst mit der
Zitate vergleicht, die um so lauter zirpt, wenn sie an den Flügeln gepackt
wird. Und offen legt er das unchristliche Bekenntnis ab: „Eins versteh
ich — und das aus vollem Herzen: der mir Böses tat, mit Bösem furchtbar
wieder zu vergelten." Natürlich richtete er die Pfeile des Spotts und Hohns
nicht nur auf den wortbrüchigen Schwiegervater, sondern auch ans die Verlorne
Braut und den glücklichen neuen Bräutigam Leophilos. Die Poesie steigt von
ihrer idealen Höhe herab und wälzt sich im Kot. Nichts Heiliges gibt es
mehr für den gequälten, getäuschten Liebhaber. Zunächst singt er von der
furchtbaren Tatsache, daß eben jetzt Leophilos Hahn im Korbe ist, dem jetzt
alles gehorcht, alles Untertan ist, alles zur Verfügung steht, wo das viermalige
„Leophilos" mit bitterer Wut herausposaunt wird. Das Schäferstündchen der
beiden wird ins Ekelhafte übertragen, die Liebessehnsucht des Rivalen mit
grellen Farben ausgemalt.
Proben dieser herbsten und derbsten Poesie mitzuteilen verbietet der An¬
stand. Wenn er einst in zarter Liebe sich als das Herrlichste wünschte, der
Geliebten Hand zu berühren, fährt er jetzt im Stile Heinrich Heines mit
lüsternen Wünschen fort, wodurch aller Duft seiner einstigen Poesie arg zer¬
stört wird. Alle Achtung vor Neobnle ist zerknickt; „deine Haut blüht schon
nicht mehr, aber du wirst dich immer noch salben, wenn du auch ein altes
Weib geworden bist", ruft er ihr zu, bedenkt sie mit den gemeinsten Schimpf¬
namen, greift ihren Ruf in wahrhaft zynischer Weise an. Kallimachus hat
Recht, wenn er sagt, das Gift seiner Rede stamme von der Galle des Hundes
und vom Stachel der Wespe. Wehmut und Entsetzen ergreift uns, wenn wir
sehen, wozu den Dichter dieser unselige Bruch geführt hat. Außer ein paar
Brocken haben wirkeine größern Partien aus diesen Schmähgedichten; daß sich
Archilochos aber in noch größern Beleidigungen ergangen hat, sehen wir aus
einem Epigramme der griechischen Anthologie, worin sich die armen ange¬
griffnen Töchter des Lykambes gegenüber den furchtbaren Angriffen des Dichters
zu rechtfertigen suchen. Diese bissige Tadelsucht machte ihn natürlich nicht
beliebt. Pindar erinnert an sein Beispiel und nimmt sich vor, einem solchen
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