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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Archilochos

Wurde ihm von Delphi gemeldet: er solle eine Kolonie nach dem Nebelland
(-- Thasos) fuhren, "dann wird unsterblich dein Sohn und bei allen Menschen
gefeiert". Der Adelsstolz hat den Dichter, wie wir unten sehen werden,
niemals verlassen, "nicht vom Vater stammt die Armut, nicht von Ahnen bin
ich elend", singt er; freilich trug er auch das Erbteil seiner Mutter Enipo mit
sich herum, die war eine Sklavin, und oft macht sich das niedrige Element
neben dem ritterlichen, Zynismus und Sprache der Gasse neben hochpoetischen
Wendungen in seinen Dichtungen geltend. Von sonstigen Verwandten erfahren
wir noch von einem Schwager mit Namen Perikles, der zur See verunglückte.
Um die Hinterbliebnen zu trösten, schuf Archilochos eine wundervolle Elegie,
die nach dem Urteil eines antiken Stilkritikers, des Longin, maßhaltig durch¬
geführt und frei war von allein Unbedeutenden, Unedelu und Gezierten ist.
Die wenigen Bruchstücke zeigen uns herrliche Gedanken edelsten Trostes. Der
Schmerz ist groß: "Hätte doch sein Haupt und Glieder in reinen Gewändern
Hephästos Flamme umfangen", und der Schmerz wird neu, wenn er anhebt:
.Keine Stadt, keiner der Bürger wird, Perikles, jauchzen beim Festmahl,
klagen wird er um dich und um dein schmerzliches Leid. Solche Männer
verschlang die Woge des rauschenden Meeres, darum vor Tränen und Schmerz
schwoll uns im Weinen die Brust." Doch schon wendet sich der Dichter zum
Trost: "Aber die Götter sie schufen zum unerträglichen Leiden uns Ausdauer
und Mut, standhaft zu tragen den Schmerz. Bald trägt der eine das Unheil,
bald trägt es wieder ein andrer, uns hats jetzt grausam gepackt, schlug uns
of blutende Herz. Bald wird es andere treffen, ermannt euch, stoßet die
Trauer, die den Weibern geziemt, männlich und mutig vou euch!" Und es ist,
als zöge die Sonne der unverwüstlichen Heiterkeit nach den Wolken wieder auf,
Wenn er singt: "Nicht werd ichs bessern durch Weinen, doch auch nicht schlimmer
gestalten, geh ich zu Freude und Scherz, geh ich zum lieblichen Mahl."

Ein wechselvolles Leben war dem Dichter beschieden. Erst hat er See¬
reisen gemacht, vielleicht als Feigenhändlcr sein Brot verdient, dann wurde er
Soldat und ging in den Kampf. Beides, Leier und Schwert, führte er fortan.
"Ein Dienstmann bin ich, ruft er aus, im Solde des Herrschers Ares, doch
anch der Musen liebliche Gabe versteh ich wohl" und drückt dadurch seine
Doppelstellung als Krieger und Dichter aus. Nun treibt es ihn fort aus
seiner Heimatinsel. Waren es politische Nöte, waren es pekuniäre Verlegen¬
heiten -- von seiner Armut sprechen Kritias und Pindar --. wir Wissens nicht
genau. Aber das wissen wir. daß er sich nach Thasos wandte, nnter An¬
siedlern war er hingezogen zur jungen Gründung seines Vaters, zur neuen
Stadt auf der Nordküste der Insel. Möglich, daß man ihm die Insel als eine
Art Schatzinsel wegen der Goldgruben geschildert hatte, mit froher Lust und
L'ehe scheint er die Insel betreten zu haben, aber allmählich macht sich bittere
Enttäuschung bei ihm bemerkbar. Schon das äußere Bild, die Landschaft, gefiel
ihm nicht. "Wie eines Esels Rücken steht sie da, mit wildem Wald gekränzt,


Gnnzbotm IV 1907 46
Archilochos

Wurde ihm von Delphi gemeldet: er solle eine Kolonie nach dem Nebelland
(— Thasos) fuhren, „dann wird unsterblich dein Sohn und bei allen Menschen
gefeiert". Der Adelsstolz hat den Dichter, wie wir unten sehen werden,
niemals verlassen, „nicht vom Vater stammt die Armut, nicht von Ahnen bin
ich elend", singt er; freilich trug er auch das Erbteil seiner Mutter Enipo mit
sich herum, die war eine Sklavin, und oft macht sich das niedrige Element
neben dem ritterlichen, Zynismus und Sprache der Gasse neben hochpoetischen
Wendungen in seinen Dichtungen geltend. Von sonstigen Verwandten erfahren
wir noch von einem Schwager mit Namen Perikles, der zur See verunglückte.
Um die Hinterbliebnen zu trösten, schuf Archilochos eine wundervolle Elegie,
die nach dem Urteil eines antiken Stilkritikers, des Longin, maßhaltig durch¬
geführt und frei war von allein Unbedeutenden, Unedelu und Gezierten ist.
Die wenigen Bruchstücke zeigen uns herrliche Gedanken edelsten Trostes. Der
Schmerz ist groß: „Hätte doch sein Haupt und Glieder in reinen Gewändern
Hephästos Flamme umfangen", und der Schmerz wird neu, wenn er anhebt:
.Keine Stadt, keiner der Bürger wird, Perikles, jauchzen beim Festmahl,
klagen wird er um dich und um dein schmerzliches Leid. Solche Männer
verschlang die Woge des rauschenden Meeres, darum vor Tränen und Schmerz
schwoll uns im Weinen die Brust." Doch schon wendet sich der Dichter zum
Trost: „Aber die Götter sie schufen zum unerträglichen Leiden uns Ausdauer
und Mut, standhaft zu tragen den Schmerz. Bald trägt der eine das Unheil,
bald trägt es wieder ein andrer, uns hats jetzt grausam gepackt, schlug uns
of blutende Herz. Bald wird es andere treffen, ermannt euch, stoßet die
Trauer, die den Weibern geziemt, männlich und mutig vou euch!" Und es ist,
als zöge die Sonne der unverwüstlichen Heiterkeit nach den Wolken wieder auf,
Wenn er singt: „Nicht werd ichs bessern durch Weinen, doch auch nicht schlimmer
gestalten, geh ich zu Freude und Scherz, geh ich zum lieblichen Mahl."

Ein wechselvolles Leben war dem Dichter beschieden. Erst hat er See¬
reisen gemacht, vielleicht als Feigenhändlcr sein Brot verdient, dann wurde er
Soldat und ging in den Kampf. Beides, Leier und Schwert, führte er fortan.
»Ein Dienstmann bin ich, ruft er aus, im Solde des Herrschers Ares, doch
anch der Musen liebliche Gabe versteh ich wohl" und drückt dadurch seine
Doppelstellung als Krieger und Dichter aus. Nun treibt es ihn fort aus
seiner Heimatinsel. Waren es politische Nöte, waren es pekuniäre Verlegen¬
heiten — von seiner Armut sprechen Kritias und Pindar —. wir Wissens nicht
genau. Aber das wissen wir. daß er sich nach Thasos wandte, nnter An¬
siedlern war er hingezogen zur jungen Gründung seines Vaters, zur neuen
Stadt auf der Nordküste der Insel. Möglich, daß man ihm die Insel als eine
Art Schatzinsel wegen der Goldgruben geschildert hatte, mit froher Lust und
L'ehe scheint er die Insel betreten zu haben, aber allmählich macht sich bittere
Enttäuschung bei ihm bemerkbar. Schon das äußere Bild, die Landschaft, gefiel
ihm nicht. „Wie eines Esels Rücken steht sie da, mit wildem Wald gekränzt,


Gnnzbotm IV 1907 46
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[0361] Archilochos Wurde ihm von Delphi gemeldet: er solle eine Kolonie nach dem Nebelland (— Thasos) fuhren, „dann wird unsterblich dein Sohn und bei allen Menschen gefeiert". Der Adelsstolz hat den Dichter, wie wir unten sehen werden, niemals verlassen, „nicht vom Vater stammt die Armut, nicht von Ahnen bin ich elend", singt er; freilich trug er auch das Erbteil seiner Mutter Enipo mit sich herum, die war eine Sklavin, und oft macht sich das niedrige Element neben dem ritterlichen, Zynismus und Sprache der Gasse neben hochpoetischen Wendungen in seinen Dichtungen geltend. Von sonstigen Verwandten erfahren wir noch von einem Schwager mit Namen Perikles, der zur See verunglückte. Um die Hinterbliebnen zu trösten, schuf Archilochos eine wundervolle Elegie, die nach dem Urteil eines antiken Stilkritikers, des Longin, maßhaltig durch¬ geführt und frei war von allein Unbedeutenden, Unedelu und Gezierten ist. Die wenigen Bruchstücke zeigen uns herrliche Gedanken edelsten Trostes. Der Schmerz ist groß: „Hätte doch sein Haupt und Glieder in reinen Gewändern Hephästos Flamme umfangen", und der Schmerz wird neu, wenn er anhebt: .Keine Stadt, keiner der Bürger wird, Perikles, jauchzen beim Festmahl, klagen wird er um dich und um dein schmerzliches Leid. Solche Männer verschlang die Woge des rauschenden Meeres, darum vor Tränen und Schmerz schwoll uns im Weinen die Brust." Doch schon wendet sich der Dichter zum Trost: „Aber die Götter sie schufen zum unerträglichen Leiden uns Ausdauer und Mut, standhaft zu tragen den Schmerz. Bald trägt der eine das Unheil, bald trägt es wieder ein andrer, uns hats jetzt grausam gepackt, schlug uns of blutende Herz. Bald wird es andere treffen, ermannt euch, stoßet die Trauer, die den Weibern geziemt, männlich und mutig vou euch!" Und es ist, als zöge die Sonne der unverwüstlichen Heiterkeit nach den Wolken wieder auf, Wenn er singt: „Nicht werd ichs bessern durch Weinen, doch auch nicht schlimmer gestalten, geh ich zu Freude und Scherz, geh ich zum lieblichen Mahl." Ein wechselvolles Leben war dem Dichter beschieden. Erst hat er See¬ reisen gemacht, vielleicht als Feigenhändlcr sein Brot verdient, dann wurde er Soldat und ging in den Kampf. Beides, Leier und Schwert, führte er fortan. »Ein Dienstmann bin ich, ruft er aus, im Solde des Herrschers Ares, doch anch der Musen liebliche Gabe versteh ich wohl" und drückt dadurch seine Doppelstellung als Krieger und Dichter aus. Nun treibt es ihn fort aus seiner Heimatinsel. Waren es politische Nöte, waren es pekuniäre Verlegen¬ heiten — von seiner Armut sprechen Kritias und Pindar —. wir Wissens nicht genau. Aber das wissen wir. daß er sich nach Thasos wandte, nnter An¬ siedlern war er hingezogen zur jungen Gründung seines Vaters, zur neuen Stadt auf der Nordküste der Insel. Möglich, daß man ihm die Insel als eine Art Schatzinsel wegen der Goldgruben geschildert hatte, mit froher Lust und L'ehe scheint er die Insel betreten zu haben, aber allmählich macht sich bittere Enttäuschung bei ihm bemerkbar. Schon das äußere Bild, die Landschaft, gefiel ihm nicht. „Wie eines Esels Rücken steht sie da, mit wildem Wald gekränzt, Gnnzbotm IV 1907 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/361>, abgerufen am 22.07.2024.