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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Großbritannien und Deutschland

der eine Mitteilung der von Lord Northcliffe beherrschten van^ Usil als eine
grundlose und dreiste Lüge brandmarkte. Wenn sich englische Staatsmänner
öfter entschließen konnten, dieser Kategorie von Fälschern der öffentlichen Meinung
entgegenzutreten und ihnen ihr schamloses Handwerk zu legen, wäre viel ge¬
wonnen für ein besseres Verständnis zwischen uns und England, denn wie sollen
die Engländer uns richtig kennen und schützen lernen, wenn ihnen nicht die
Wahrheit über uns mitgeteilt wird, und wie soll das deutsche Volk es lernen,
den englischen Vetter zu lieben, wenn immer wieder die deutschen Zeitungen
konstatieren müssen, daß die britische Presse uns überall verleumdet und ver¬
dächtigt?

Unvergessen soll es der britischen Presse dagegen bleiben, daß sie uns 1870,
als es sich um den Kampf für die deutsche Einheit handelte, nicht im Stiche
gelassen hat, wenn sie sich auch niemals zu unsern Gunsten so weit kompromittiert
hat, daß die französische Freundschaft darunter Hütte leiden können. Die Wieder¬
herstellung des Deutschen Reichs und der Kaiserwürde wurden von der gesamten
englischen Presse mit Begeisterung begrüßt. Die liinös schrieb: "Mit lebhafter
Befriedigung kann man nicht allein die Tatsache der Wiederherstellung des
Deutschen Reichs betrachten, sondern auch die Art, wie sie sich entwickelt hat.
Die politische Bedeutung der letzten Ereignisse kann nicht hoch genug geschätzt
werden. Was uns Engländer angeht, so haben wir jetzt an der Stelle von
zwei mächtigen Militärstaaten, die bisher auf dem Festland existierten, und die
zwischen sich eine Nation hatten, deren Kräfte verzettelt und nicht zum Kampfe
bereit waren, eine feste Schranke, und so wird sich das ganze Gefüge Europas
befestigen. Die politischen Wünsche, die die frühern Generationen englischer
Staatsmänner hegten, sind nun erfüllt."

Wie damals die französische Militärmacht aus dem europäischen Gleich¬
gewicht ausgeschaltet wurde, so ist es jetzt mit Rußland geschehen. Die Folge
ist eine ähnliche wie damals gewesen, nämlich eine Stärkung der Landmacht
Deutschlands, dem wieder nur eine einzige Militärmacht gegenübersteht, die man
noch dazu nicht einmal so hoch einschätzt, wie man es 1871 mit Rußland tat,
das damals für unüberwindlich galt. Die englische Politik bedarf aber einer
starken Kontinentalmacht und womöglich der stärksten, und das ist unbestritten
die unsrige.

Lassen es schon diese Erwägungen erklärlich erscheinen, daß sich England
uns wieder nähert, so liegt in dem plötzlichen Emporkommen der nicht christ¬
lichen Völkerschaften ein weiterer Antrieb zum Zusammenschluß. Nicht nur die
Japaner haben eine politische Machtstellung erlangt, die niemand für möglich
gehalten hatte, sondern die Wellenwirkungen ihrer Erfolge setzen sich fort bis
nach Indien und bis in die Welt des Islam. Überall zeigt sich die Idee,
daß es möglich geworden sei, die bisher wie ein Fatum hingenommne Herrschaft
der Weißen zu beseitigen. Und dabei sitzt Japan gegenüber den europäischen


Großbritannien und Deutschland

der eine Mitteilung der von Lord Northcliffe beherrschten van^ Usil als eine
grundlose und dreiste Lüge brandmarkte. Wenn sich englische Staatsmänner
öfter entschließen konnten, dieser Kategorie von Fälschern der öffentlichen Meinung
entgegenzutreten und ihnen ihr schamloses Handwerk zu legen, wäre viel ge¬
wonnen für ein besseres Verständnis zwischen uns und England, denn wie sollen
die Engländer uns richtig kennen und schützen lernen, wenn ihnen nicht die
Wahrheit über uns mitgeteilt wird, und wie soll das deutsche Volk es lernen,
den englischen Vetter zu lieben, wenn immer wieder die deutschen Zeitungen
konstatieren müssen, daß die britische Presse uns überall verleumdet und ver¬
dächtigt?

Unvergessen soll es der britischen Presse dagegen bleiben, daß sie uns 1870,
als es sich um den Kampf für die deutsche Einheit handelte, nicht im Stiche
gelassen hat, wenn sie sich auch niemals zu unsern Gunsten so weit kompromittiert
hat, daß die französische Freundschaft darunter Hütte leiden können. Die Wieder¬
herstellung des Deutschen Reichs und der Kaiserwürde wurden von der gesamten
englischen Presse mit Begeisterung begrüßt. Die liinös schrieb: „Mit lebhafter
Befriedigung kann man nicht allein die Tatsache der Wiederherstellung des
Deutschen Reichs betrachten, sondern auch die Art, wie sie sich entwickelt hat.
Die politische Bedeutung der letzten Ereignisse kann nicht hoch genug geschätzt
werden. Was uns Engländer angeht, so haben wir jetzt an der Stelle von
zwei mächtigen Militärstaaten, die bisher auf dem Festland existierten, und die
zwischen sich eine Nation hatten, deren Kräfte verzettelt und nicht zum Kampfe
bereit waren, eine feste Schranke, und so wird sich das ganze Gefüge Europas
befestigen. Die politischen Wünsche, die die frühern Generationen englischer
Staatsmänner hegten, sind nun erfüllt."

Wie damals die französische Militärmacht aus dem europäischen Gleich¬
gewicht ausgeschaltet wurde, so ist es jetzt mit Rußland geschehen. Die Folge
ist eine ähnliche wie damals gewesen, nämlich eine Stärkung der Landmacht
Deutschlands, dem wieder nur eine einzige Militärmacht gegenübersteht, die man
noch dazu nicht einmal so hoch einschätzt, wie man es 1871 mit Rußland tat,
das damals für unüberwindlich galt. Die englische Politik bedarf aber einer
starken Kontinentalmacht und womöglich der stärksten, und das ist unbestritten
die unsrige.

Lassen es schon diese Erwägungen erklärlich erscheinen, daß sich England
uns wieder nähert, so liegt in dem plötzlichen Emporkommen der nicht christ¬
lichen Völkerschaften ein weiterer Antrieb zum Zusammenschluß. Nicht nur die
Japaner haben eine politische Machtstellung erlangt, die niemand für möglich
gehalten hatte, sondern die Wellenwirkungen ihrer Erfolge setzen sich fort bis
nach Indien und bis in die Welt des Islam. Überall zeigt sich die Idee,
daß es möglich geworden sei, die bisher wie ein Fatum hingenommne Herrschaft
der Weißen zu beseitigen. Und dabei sitzt Japan gegenüber den europäischen


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[0342] Großbritannien und Deutschland der eine Mitteilung der von Lord Northcliffe beherrschten van^ Usil als eine grundlose und dreiste Lüge brandmarkte. Wenn sich englische Staatsmänner öfter entschließen konnten, dieser Kategorie von Fälschern der öffentlichen Meinung entgegenzutreten und ihnen ihr schamloses Handwerk zu legen, wäre viel ge¬ wonnen für ein besseres Verständnis zwischen uns und England, denn wie sollen die Engländer uns richtig kennen und schützen lernen, wenn ihnen nicht die Wahrheit über uns mitgeteilt wird, und wie soll das deutsche Volk es lernen, den englischen Vetter zu lieben, wenn immer wieder die deutschen Zeitungen konstatieren müssen, daß die britische Presse uns überall verleumdet und ver¬ dächtigt? Unvergessen soll es der britischen Presse dagegen bleiben, daß sie uns 1870, als es sich um den Kampf für die deutsche Einheit handelte, nicht im Stiche gelassen hat, wenn sie sich auch niemals zu unsern Gunsten so weit kompromittiert hat, daß die französische Freundschaft darunter Hütte leiden können. Die Wieder¬ herstellung des Deutschen Reichs und der Kaiserwürde wurden von der gesamten englischen Presse mit Begeisterung begrüßt. Die liinös schrieb: „Mit lebhafter Befriedigung kann man nicht allein die Tatsache der Wiederherstellung des Deutschen Reichs betrachten, sondern auch die Art, wie sie sich entwickelt hat. Die politische Bedeutung der letzten Ereignisse kann nicht hoch genug geschätzt werden. Was uns Engländer angeht, so haben wir jetzt an der Stelle von zwei mächtigen Militärstaaten, die bisher auf dem Festland existierten, und die zwischen sich eine Nation hatten, deren Kräfte verzettelt und nicht zum Kampfe bereit waren, eine feste Schranke, und so wird sich das ganze Gefüge Europas befestigen. Die politischen Wünsche, die die frühern Generationen englischer Staatsmänner hegten, sind nun erfüllt." Wie damals die französische Militärmacht aus dem europäischen Gleich¬ gewicht ausgeschaltet wurde, so ist es jetzt mit Rußland geschehen. Die Folge ist eine ähnliche wie damals gewesen, nämlich eine Stärkung der Landmacht Deutschlands, dem wieder nur eine einzige Militärmacht gegenübersteht, die man noch dazu nicht einmal so hoch einschätzt, wie man es 1871 mit Rußland tat, das damals für unüberwindlich galt. Die englische Politik bedarf aber einer starken Kontinentalmacht und womöglich der stärksten, und das ist unbestritten die unsrige. Lassen es schon diese Erwägungen erklärlich erscheinen, daß sich England uns wieder nähert, so liegt in dem plötzlichen Emporkommen der nicht christ¬ lichen Völkerschaften ein weiterer Antrieb zum Zusammenschluß. Nicht nur die Japaner haben eine politische Machtstellung erlangt, die niemand für möglich gehalten hatte, sondern die Wellenwirkungen ihrer Erfolge setzen sich fort bis nach Indien und bis in die Welt des Islam. Überall zeigt sich die Idee, daß es möglich geworden sei, die bisher wie ein Fatum hingenommne Herrschaft der Weißen zu beseitigen. Und dabei sitzt Japan gegenüber den europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/342>, abgerufen am 03.07.2024.