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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kloine graue Ratze

Und ich sagte: Nein, denn jetzt bist du ja erwacht. Das andre ist ein Traum
gewesen -- ein böser Traum. Kannst du nicht begreifen, daß dies jetzt Wirklichkeit
ist, das einzig wahre Wirkliche -- daß wir beide beisammen find.

Er schlang die Arme um mich und sagte: Ja, Gott sei Dank, du bist wirklich
genug. Dann vertraute er mir an, daß er damals immer gedacht hatte -- nein,
welche törichten, törichten Vorstellungen Axel doch von mir gehabt hatte! Ich
wurde ganz rot, denn ich bin nicht halb so erhaben, wie er denkt.

Er begleitete mich fast bis nach Hause, nicht ganz -- denn ich wollte den
Abend für mich allein haben -- und ihn nicht einmal mit Mama teilen.

Aber morgen darfst dn kommen -- auch zu ihr. Es handelt sich ja
nur um --

Um eine Ewigkeit! Ich weiß nicht, warum, aber die Tränen traten mir in
die Augen.

Um eine Ewigkeit! wiederholte er und küßte mir die Tränen von den Wimpern.
O mein Herzgeliebter!

Es wurde mir fast schwer, mit Mama Tee zu trinken. Sie war auch sehr
unzufrieden mit mir. Ich war zu lange fortgewesen, und sie hatte sich geängstigt.
Und die Farnkräuter hatte ich vergessen!

Aber ehe wir uns trennten, hatte ich sie wieder versöhnt. Mein liebes
Mütterchen!

Ein Duft wie von taufrischen Rosen wogte zu meinem Fenster herein, und
die große dunkle Landschaft lag in tiefem, friedvollem, erquickendem Schlummer.

Ich stand ganz still an meinem Fenster und fühlte, wie mein Herz in mir
sang und lachte. Ach, es hat solange, lange nur geweint -- bittrere Tränen als
das Auge vermag.

Ein herrlicher, sonniger Morgen ist angebrochen. Ich bin mit den Vögeln
aufgestanden, vor lauter Glück konnte ich nicht schlafen.

Noch immer ist er über mir, der wunderbarste aller Augenblicke, wo ich die
Tür öffnete -- und der ganze Sonnenglanz in Axels dunkles Zimmer hinein¬
drang -- und er sich neben mir hineinwarf. Ach, die zu sein, die einem andern
Menschen zu Sonne und Leben die Tür aufmachen und alle Schatten vertreiben
kann -- das ist beinahe zu viel, um es fassen zu können.

Zuerst habe ich an Axel geschrieben -- einen langen, langen Brief. Der alte
Postbote soll ihn mitnehmen, wenn er vorbeikommt. Dann bekommt ihn Axel im
Laufe des Vormittags. Er selbst kann erst heute nachmittag herüberkommen.

So, hier ist min mein ganzer Herzenserguß, den ich nicht wieder durchlesen
kann, weil er sonst nicht abgeschickt würde. Nein, Wanda, sicher nicht! Aber dies
einemal glaubte ich dir diesen Erguß schuldig zu sein, so schreibt man wohl auch
nur einmal in seinem Leben!

Ob du liebst, Wanda? Ob du wirklich liebst? Lieben und geliebt werden,
ach, das ist fast zu schön für dieses Leben!


Ebbn Gyllenkrans Deine liebende, glückstrahlende, lebende

(Fortsetzung folgt)




Die kloine graue Ratze

Und ich sagte: Nein, denn jetzt bist du ja erwacht. Das andre ist ein Traum
gewesen — ein böser Traum. Kannst du nicht begreifen, daß dies jetzt Wirklichkeit
ist, das einzig wahre Wirkliche — daß wir beide beisammen find.

Er schlang die Arme um mich und sagte: Ja, Gott sei Dank, du bist wirklich
genug. Dann vertraute er mir an, daß er damals immer gedacht hatte — nein,
welche törichten, törichten Vorstellungen Axel doch von mir gehabt hatte! Ich
wurde ganz rot, denn ich bin nicht halb so erhaben, wie er denkt.

Er begleitete mich fast bis nach Hause, nicht ganz — denn ich wollte den
Abend für mich allein haben — und ihn nicht einmal mit Mama teilen.

Aber morgen darfst dn kommen — auch zu ihr. Es handelt sich ja
nur um —

Um eine Ewigkeit! Ich weiß nicht, warum, aber die Tränen traten mir in
die Augen.

Um eine Ewigkeit! wiederholte er und küßte mir die Tränen von den Wimpern.
O mein Herzgeliebter!

Es wurde mir fast schwer, mit Mama Tee zu trinken. Sie war auch sehr
unzufrieden mit mir. Ich war zu lange fortgewesen, und sie hatte sich geängstigt.
Und die Farnkräuter hatte ich vergessen!

Aber ehe wir uns trennten, hatte ich sie wieder versöhnt. Mein liebes
Mütterchen!

Ein Duft wie von taufrischen Rosen wogte zu meinem Fenster herein, und
die große dunkle Landschaft lag in tiefem, friedvollem, erquickendem Schlummer.

Ich stand ganz still an meinem Fenster und fühlte, wie mein Herz in mir
sang und lachte. Ach, es hat solange, lange nur geweint — bittrere Tränen als
das Auge vermag.

Ein herrlicher, sonniger Morgen ist angebrochen. Ich bin mit den Vögeln
aufgestanden, vor lauter Glück konnte ich nicht schlafen.

Noch immer ist er über mir, der wunderbarste aller Augenblicke, wo ich die
Tür öffnete — und der ganze Sonnenglanz in Axels dunkles Zimmer hinein¬
drang — und er sich neben mir hineinwarf. Ach, die zu sein, die einem andern
Menschen zu Sonne und Leben die Tür aufmachen und alle Schatten vertreiben
kann — das ist beinahe zu viel, um es fassen zu können.

Zuerst habe ich an Axel geschrieben — einen langen, langen Brief. Der alte
Postbote soll ihn mitnehmen, wenn er vorbeikommt. Dann bekommt ihn Axel im
Laufe des Vormittags. Er selbst kann erst heute nachmittag herüberkommen.

So, hier ist min mein ganzer Herzenserguß, den ich nicht wieder durchlesen
kann, weil er sonst nicht abgeschickt würde. Nein, Wanda, sicher nicht! Aber dies
einemal glaubte ich dir diesen Erguß schuldig zu sein, so schreibt man wohl auch
nur einmal in seinem Leben!

Ob du liebst, Wanda? Ob du wirklich liebst? Lieben und geliebt werden,
ach, das ist fast zu schön für dieses Leben!


Ebbn Gyllenkrans Deine liebende, glückstrahlende, lebende

(Fortsetzung folgt)




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[0328] Die kloine graue Ratze Und ich sagte: Nein, denn jetzt bist du ja erwacht. Das andre ist ein Traum gewesen — ein böser Traum. Kannst du nicht begreifen, daß dies jetzt Wirklichkeit ist, das einzig wahre Wirkliche — daß wir beide beisammen find. Er schlang die Arme um mich und sagte: Ja, Gott sei Dank, du bist wirklich genug. Dann vertraute er mir an, daß er damals immer gedacht hatte — nein, welche törichten, törichten Vorstellungen Axel doch von mir gehabt hatte! Ich wurde ganz rot, denn ich bin nicht halb so erhaben, wie er denkt. Er begleitete mich fast bis nach Hause, nicht ganz — denn ich wollte den Abend für mich allein haben — und ihn nicht einmal mit Mama teilen. Aber morgen darfst dn kommen — auch zu ihr. Es handelt sich ja nur um — Um eine Ewigkeit! Ich weiß nicht, warum, aber die Tränen traten mir in die Augen. Um eine Ewigkeit! wiederholte er und küßte mir die Tränen von den Wimpern. O mein Herzgeliebter! Es wurde mir fast schwer, mit Mama Tee zu trinken. Sie war auch sehr unzufrieden mit mir. Ich war zu lange fortgewesen, und sie hatte sich geängstigt. Und die Farnkräuter hatte ich vergessen! Aber ehe wir uns trennten, hatte ich sie wieder versöhnt. Mein liebes Mütterchen! Ein Duft wie von taufrischen Rosen wogte zu meinem Fenster herein, und die große dunkle Landschaft lag in tiefem, friedvollem, erquickendem Schlummer. Ich stand ganz still an meinem Fenster und fühlte, wie mein Herz in mir sang und lachte. Ach, es hat solange, lange nur geweint — bittrere Tränen als das Auge vermag. Ein herrlicher, sonniger Morgen ist angebrochen. Ich bin mit den Vögeln aufgestanden, vor lauter Glück konnte ich nicht schlafen. Noch immer ist er über mir, der wunderbarste aller Augenblicke, wo ich die Tür öffnete — und der ganze Sonnenglanz in Axels dunkles Zimmer hinein¬ drang — und er sich neben mir hineinwarf. Ach, die zu sein, die einem andern Menschen zu Sonne und Leben die Tür aufmachen und alle Schatten vertreiben kann — das ist beinahe zu viel, um es fassen zu können. Zuerst habe ich an Axel geschrieben — einen langen, langen Brief. Der alte Postbote soll ihn mitnehmen, wenn er vorbeikommt. Dann bekommt ihn Axel im Laufe des Vormittags. Er selbst kann erst heute nachmittag herüberkommen. So, hier ist min mein ganzer Herzenserguß, den ich nicht wieder durchlesen kann, weil er sonst nicht abgeschickt würde. Nein, Wanda, sicher nicht! Aber dies einemal glaubte ich dir diesen Erguß schuldig zu sein, so schreibt man wohl auch nur einmal in seinem Leben! Ob du liebst, Wanda? Ob du wirklich liebst? Lieben und geliebt werden, ach, das ist fast zu schön für dieses Leben! Ebbn Gyllenkrans Deine liebende, glückstrahlende, lebende (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/328>, abgerufen am 01.07.2024.