Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Ästerreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert nur als Schutzherr Livlands habe er eine Handhabe, etwas für das Land beim Es war sehr nötig, in Rom diese Sprache zu führen, denn dort hoffte Wenn aus Anlaß dieser Dinge der Kaiser und Iwan der Vierte auf ge¬ Ästerreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert nur als Schutzherr Livlands habe er eine Handhabe, etwas für das Land beim Es war sehr nötig, in Rom diese Sprache zu führen, denn dort hoffte Wenn aus Anlaß dieser Dinge der Kaiser und Iwan der Vierte auf ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303716"/> <fw type="header" place="top"> Ästerreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert</fw><lb/> <p xml:id="ID_1251" prev="#ID_1250"> nur als Schutzherr Livlands habe er eine Handhabe, etwas für das Land beim<lb/> Zaren zu tun; zu mehr als diplomatischem Einschreiten hat er sich auch jetzt<lb/> nicht verpflichtet. Als Pfand für etwaige Kriegskosten, die er doch gar nicht zu<lb/> leisten gedachte, ließ er sich ein Sechstel von Livland einräumen. Die Russen<lb/> ließen sich vorerst durch kein Zureden aufhalten; in der Schlacht bei Ermes<lb/> am 2. August 1560 vernichteten sie die Blüte des livischen Adels; am 26. August<lb/> ergab sich ihnen die wichtige Feste Fellin. Die Livländer konnten sich nicht mehr<lb/> ins offne Feld gegen Iwan den Vierten wagen. Die Reichsdeputation zu Speier<lb/> beschloß wohl im Herbste 1560, weitere zweihunderttausend Gulden für Livlands<lb/> Verteidigung aufzubringen, und drohte den säumigen Zahlern mit scharfem Vor¬<lb/> gehn des Reichsfiskals — wieder waren es Worte, nichts als Worte: die zwei¬<lb/> hunderttausend Gulden gingen so wenig ein wie vorher die hunderttausend. Der<lb/> Kaiser schickte Kuriere nach Moskau — zu eigentlichen Gesandtschaften war kein<lb/> Geld da! — und verbot am 26. November 1560 die Ausfuhr von Schießbedarf<lb/> und Proviant aus dem Reiche nach Rußland; auch wandte er sich an den Papst<lb/> Pius den Vierten, dem Jour der Vierte die Meinung beigebracht hatte, daß<lb/> er die Livländer wegen ihres Abfalls von der Kirche züchtigen wolle, und ersuchte<lb/> den Papst, dem Zaren doch nicht etwa den Königstitel zu geben und ihn da¬<lb/> durch noch hochmütiger und mächtiger zu machen. Der Zug gegen Livland habe<lb/> mit der Religion nichts zu tun — wenn Rom Iwan so nahe läge wie Livland,<lb/> so würde er Rom gewiß nicht besser behandeln —, sondern entspringe nur der<lb/> Herrschsucht, dem Streben nach der Obergewalt über das Baltische Meer, von<lb/> wo aus der Zar dann das Reich, die Niederlande, Skandinavien und England<lb/> angreifen und den Handel von sich abhängig machen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1252"> Es war sehr nötig, in Rom diese Sprache zu führen, denn dort hoffte<lb/> man Rußland zur Beschickung des Trienter Konzils zu bestimmen und Iwan<lb/> wohl gar durch Verleihung des Königstitels zur Rückkehr in den Schoß der<lb/> Kirche zu bewegen (wie man dies 1700 mit Preußen im Sinne hatte): ein päpst¬<lb/> licher Gesandter, Giovanni Giraldi, erhielt insgeheim ein Schreiben an den Zaren,<lb/> worin dieser wirklich als „König" und „Majestät" bezeichnet wurde. Freilich<lb/> hat Iwan der Vierte sich an diesen Titeln nicht erfreuen können, weil die Polen<lb/> Giraldi abfingen und einige Jahre im Kerker hielten. Die livischen Wirren aber<lb/> endigten schließlich mit der völligen Auflösung des Landes. Iwan der Vierte<lb/> hielt zunächst seine Eroberungen fest, Dänemark ebenso das Bistum Osel, das<lb/> einen dünischen Prinzen, Magnus, als Bischof hatte; Sigismund gestattete dem<lb/> Ordensmeister Gotthard Kettler, sich in Kurland und Semgallen zum weltlichen<lb/> Herzog zu machen; der Nest des Landes erkannte in Wilna die polnische Herr¬<lb/> schaft an. Neval aber samt Harrier und Wierlcmd unterwarf sich dem König Erich<lb/> dem Vierzehnten von Schweden. Was Polen am Ende des achtzehnten Jahr¬<lb/> hunderts widerfuhr, das war zwei Jahrhunderte früher das Schicksal Livlands.</p><lb/> <p xml:id="ID_1253" next="#ID_1254"> Wenn aus Anlaß dieser Dinge der Kaiser und Iwan der Vierte auf ge¬<lb/> spanntem Fuße standen, so entwickelten sich auch wieder andre Situationen durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
Ästerreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert
nur als Schutzherr Livlands habe er eine Handhabe, etwas für das Land beim
Zaren zu tun; zu mehr als diplomatischem Einschreiten hat er sich auch jetzt
nicht verpflichtet. Als Pfand für etwaige Kriegskosten, die er doch gar nicht zu
leisten gedachte, ließ er sich ein Sechstel von Livland einräumen. Die Russen
ließen sich vorerst durch kein Zureden aufhalten; in der Schlacht bei Ermes
am 2. August 1560 vernichteten sie die Blüte des livischen Adels; am 26. August
ergab sich ihnen die wichtige Feste Fellin. Die Livländer konnten sich nicht mehr
ins offne Feld gegen Iwan den Vierten wagen. Die Reichsdeputation zu Speier
beschloß wohl im Herbste 1560, weitere zweihunderttausend Gulden für Livlands
Verteidigung aufzubringen, und drohte den säumigen Zahlern mit scharfem Vor¬
gehn des Reichsfiskals — wieder waren es Worte, nichts als Worte: die zwei¬
hunderttausend Gulden gingen so wenig ein wie vorher die hunderttausend. Der
Kaiser schickte Kuriere nach Moskau — zu eigentlichen Gesandtschaften war kein
Geld da! — und verbot am 26. November 1560 die Ausfuhr von Schießbedarf
und Proviant aus dem Reiche nach Rußland; auch wandte er sich an den Papst
Pius den Vierten, dem Jour der Vierte die Meinung beigebracht hatte, daß
er die Livländer wegen ihres Abfalls von der Kirche züchtigen wolle, und ersuchte
den Papst, dem Zaren doch nicht etwa den Königstitel zu geben und ihn da¬
durch noch hochmütiger und mächtiger zu machen. Der Zug gegen Livland habe
mit der Religion nichts zu tun — wenn Rom Iwan so nahe läge wie Livland,
so würde er Rom gewiß nicht besser behandeln —, sondern entspringe nur der
Herrschsucht, dem Streben nach der Obergewalt über das Baltische Meer, von
wo aus der Zar dann das Reich, die Niederlande, Skandinavien und England
angreifen und den Handel von sich abhängig machen werde.
Es war sehr nötig, in Rom diese Sprache zu führen, denn dort hoffte
man Rußland zur Beschickung des Trienter Konzils zu bestimmen und Iwan
wohl gar durch Verleihung des Königstitels zur Rückkehr in den Schoß der
Kirche zu bewegen (wie man dies 1700 mit Preußen im Sinne hatte): ein päpst¬
licher Gesandter, Giovanni Giraldi, erhielt insgeheim ein Schreiben an den Zaren,
worin dieser wirklich als „König" und „Majestät" bezeichnet wurde. Freilich
hat Iwan der Vierte sich an diesen Titeln nicht erfreuen können, weil die Polen
Giraldi abfingen und einige Jahre im Kerker hielten. Die livischen Wirren aber
endigten schließlich mit der völligen Auflösung des Landes. Iwan der Vierte
hielt zunächst seine Eroberungen fest, Dänemark ebenso das Bistum Osel, das
einen dünischen Prinzen, Magnus, als Bischof hatte; Sigismund gestattete dem
Ordensmeister Gotthard Kettler, sich in Kurland und Semgallen zum weltlichen
Herzog zu machen; der Nest des Landes erkannte in Wilna die polnische Herr¬
schaft an. Neval aber samt Harrier und Wierlcmd unterwarf sich dem König Erich
dem Vierzehnten von Schweden. Was Polen am Ende des achtzehnten Jahr¬
hunderts widerfuhr, das war zwei Jahrhunderte früher das Schicksal Livlands.
Wenn aus Anlaß dieser Dinge der Kaiser und Iwan der Vierte auf ge¬
spanntem Fuße standen, so entwickelten sich auch wieder andre Situationen durch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |