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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

hoffte er nun durch die Deutschen zu erlangen. Man sieht aufs neue: Peter
der Große hat, indem er Rußland europäisieren wollte, nicht etwa als erster
diese Bahn betreten, sondern er hat nur das zu Ende geführt, was seine Vor¬
fahren seit zwei Jahrhunderten erstrebt hatten.

Wie eng schon damals alle politischen Verhältnisse Europas ineinander
verflochten waren, sieht man daraus, daß entgegen den russisch-österreichischen
Annäherungsversuchen, die vor allem der Abwehr der Jagellonen galten, diese
sich auch ihrerseits nach Bundesgenossen umsahen. Sie wurden dazu um so
mehr gedrängt, als Iwan der Dritte nach Kasimirs Tode 1492 gegen dessen
Nachfolger Alexander mit "trotzigem Jrredentismns" auftrat und kurzerhand die
Rückgabe aller russischen Gebiete Polens forderte. So schloß Alexander im
Sommer 1500, von Russen und Krimtataren mit Krieg bedroht, ein Schutz- und
Trutzbündnis mit Ludwig dem Zwölften von Frankreich, das dem Anscheine nach
-- wie fast alle Bündnisse jener Zeit -- gegen die Türken gerichtet war, in
Wahrheit aber gegen Friedrichs des Dritten Sohn und Nachfolger Maximilian,
der zu Frankreich in scharfem Gegensatze stand, und gegen Iwan den Dritten.
Eine Antwort auf dieses Bündnis war Maximilians scharfer Erlaß an den Hoch¬
meister des Deutschen Ordens, Friedrich, vom März 1501, worin er als Reichs¬
oberhaupt den Thorner Frieden von 1466 für null und nichtig erklärte und dem
Hochmeister bei Verlust aller Privilegien verbot, die im Thoruer Frieden zu¬
gesagte Huldigung dem Könige von Polen zu leisten. Vielleicht hatte der Kaiser
dabei die Absicht, eine Allianz zwischen dem Orden und Rußland zustande zu
bringen und so den Polen Schach zu bieten.

Wie bei allen Allianzen, so suchten auch hier beide Teile möglichst viel
Vorteile zu erreichen, aber möglichst wenig zu leisten. So schwankte auch das
Thermometer der russisch-österreichischen Freundschaft unausgesetzt zwischen recht
warm und kühl, je nachdem man einander brauchte oder nicht, und es ist nur
natürlich, daß die Wärmegrade in Moskau und Wien oft verschieden sind, daß
sich A gerade dann, wenn V brünstig liebt, recht frostig zeigt, und umgekehrt.
Der habsburgisch-jagellouische Gegensatz wurde 1515 auf dem Wiener Kongreß
ausgeglichen, auf dem die Jagellonen Sigismund von Polen und Wladislaw
von Böhmen und Ungarn mit Kaiser Maximilian zusammenkamen, und zwei
Heiratsverträge zwischen der ungarischen Jagellonenlinie und Habsburg abge¬
schlossen wurden, wonach der Kronprinz Ludwig von Ungarn Maria von Habs¬
burg, der Erzherzog Ferdinand von Österreich Anna von Ungarn ehelichen sollte.
Ihre innere Schwäche zwang die Jagellonen zur Nachgiebigkeit auch in der
äußern Politik; sie verzichteten auf alle hochfliegenden Pläne weitern Macht¬
erwerbs und auf Bildung eines großen östlichen Reichs und verschafften den
Habsburger" die Grundlage, auf der sie nun dieses große Reich ins Leben rufen
konnten; nach Ludwigs Fall bei Mohacs gegen die Türken 1526 hat Ferdinand
das 1437 flüchtig am politischen Horizont aufgetauchte Donaureich endgiltig be¬
gründen können. Die Folge der habsburgisch-jagellonischen Aussöhnung von 1515


Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert

hoffte er nun durch die Deutschen zu erlangen. Man sieht aufs neue: Peter
der Große hat, indem er Rußland europäisieren wollte, nicht etwa als erster
diese Bahn betreten, sondern er hat nur das zu Ende geführt, was seine Vor¬
fahren seit zwei Jahrhunderten erstrebt hatten.

Wie eng schon damals alle politischen Verhältnisse Europas ineinander
verflochten waren, sieht man daraus, daß entgegen den russisch-österreichischen
Annäherungsversuchen, die vor allem der Abwehr der Jagellonen galten, diese
sich auch ihrerseits nach Bundesgenossen umsahen. Sie wurden dazu um so
mehr gedrängt, als Iwan der Dritte nach Kasimirs Tode 1492 gegen dessen
Nachfolger Alexander mit „trotzigem Jrredentismns" auftrat und kurzerhand die
Rückgabe aller russischen Gebiete Polens forderte. So schloß Alexander im
Sommer 1500, von Russen und Krimtataren mit Krieg bedroht, ein Schutz- und
Trutzbündnis mit Ludwig dem Zwölften von Frankreich, das dem Anscheine nach
— wie fast alle Bündnisse jener Zeit — gegen die Türken gerichtet war, in
Wahrheit aber gegen Friedrichs des Dritten Sohn und Nachfolger Maximilian,
der zu Frankreich in scharfem Gegensatze stand, und gegen Iwan den Dritten.
Eine Antwort auf dieses Bündnis war Maximilians scharfer Erlaß an den Hoch¬
meister des Deutschen Ordens, Friedrich, vom März 1501, worin er als Reichs¬
oberhaupt den Thorner Frieden von 1466 für null und nichtig erklärte und dem
Hochmeister bei Verlust aller Privilegien verbot, die im Thoruer Frieden zu¬
gesagte Huldigung dem Könige von Polen zu leisten. Vielleicht hatte der Kaiser
dabei die Absicht, eine Allianz zwischen dem Orden und Rußland zustande zu
bringen und so den Polen Schach zu bieten.

Wie bei allen Allianzen, so suchten auch hier beide Teile möglichst viel
Vorteile zu erreichen, aber möglichst wenig zu leisten. So schwankte auch das
Thermometer der russisch-österreichischen Freundschaft unausgesetzt zwischen recht
warm und kühl, je nachdem man einander brauchte oder nicht, und es ist nur
natürlich, daß die Wärmegrade in Moskau und Wien oft verschieden sind, daß
sich A gerade dann, wenn V brünstig liebt, recht frostig zeigt, und umgekehrt.
Der habsburgisch-jagellouische Gegensatz wurde 1515 auf dem Wiener Kongreß
ausgeglichen, auf dem die Jagellonen Sigismund von Polen und Wladislaw
von Böhmen und Ungarn mit Kaiser Maximilian zusammenkamen, und zwei
Heiratsverträge zwischen der ungarischen Jagellonenlinie und Habsburg abge¬
schlossen wurden, wonach der Kronprinz Ludwig von Ungarn Maria von Habs¬
burg, der Erzherzog Ferdinand von Österreich Anna von Ungarn ehelichen sollte.
Ihre innere Schwäche zwang die Jagellonen zur Nachgiebigkeit auch in der
äußern Politik; sie verzichteten auf alle hochfliegenden Pläne weitern Macht¬
erwerbs und auf Bildung eines großen östlichen Reichs und verschafften den
Habsburger» die Grundlage, auf der sie nun dieses große Reich ins Leben rufen
konnten; nach Ludwigs Fall bei Mohacs gegen die Türken 1526 hat Ferdinand
das 1437 flüchtig am politischen Horizont aufgetauchte Donaureich endgiltig be¬
gründen können. Die Folge der habsburgisch-jagellonischen Aussöhnung von 1515


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[0296] Österreich und Rußland im sechzehnten Jahrhundert hoffte er nun durch die Deutschen zu erlangen. Man sieht aufs neue: Peter der Große hat, indem er Rußland europäisieren wollte, nicht etwa als erster diese Bahn betreten, sondern er hat nur das zu Ende geführt, was seine Vor¬ fahren seit zwei Jahrhunderten erstrebt hatten. Wie eng schon damals alle politischen Verhältnisse Europas ineinander verflochten waren, sieht man daraus, daß entgegen den russisch-österreichischen Annäherungsversuchen, die vor allem der Abwehr der Jagellonen galten, diese sich auch ihrerseits nach Bundesgenossen umsahen. Sie wurden dazu um so mehr gedrängt, als Iwan der Dritte nach Kasimirs Tode 1492 gegen dessen Nachfolger Alexander mit „trotzigem Jrredentismns" auftrat und kurzerhand die Rückgabe aller russischen Gebiete Polens forderte. So schloß Alexander im Sommer 1500, von Russen und Krimtataren mit Krieg bedroht, ein Schutz- und Trutzbündnis mit Ludwig dem Zwölften von Frankreich, das dem Anscheine nach — wie fast alle Bündnisse jener Zeit — gegen die Türken gerichtet war, in Wahrheit aber gegen Friedrichs des Dritten Sohn und Nachfolger Maximilian, der zu Frankreich in scharfem Gegensatze stand, und gegen Iwan den Dritten. Eine Antwort auf dieses Bündnis war Maximilians scharfer Erlaß an den Hoch¬ meister des Deutschen Ordens, Friedrich, vom März 1501, worin er als Reichs¬ oberhaupt den Thorner Frieden von 1466 für null und nichtig erklärte und dem Hochmeister bei Verlust aller Privilegien verbot, die im Thoruer Frieden zu¬ gesagte Huldigung dem Könige von Polen zu leisten. Vielleicht hatte der Kaiser dabei die Absicht, eine Allianz zwischen dem Orden und Rußland zustande zu bringen und so den Polen Schach zu bieten. Wie bei allen Allianzen, so suchten auch hier beide Teile möglichst viel Vorteile zu erreichen, aber möglichst wenig zu leisten. So schwankte auch das Thermometer der russisch-österreichischen Freundschaft unausgesetzt zwischen recht warm und kühl, je nachdem man einander brauchte oder nicht, und es ist nur natürlich, daß die Wärmegrade in Moskau und Wien oft verschieden sind, daß sich A gerade dann, wenn V brünstig liebt, recht frostig zeigt, und umgekehrt. Der habsburgisch-jagellouische Gegensatz wurde 1515 auf dem Wiener Kongreß ausgeglichen, auf dem die Jagellonen Sigismund von Polen und Wladislaw von Böhmen und Ungarn mit Kaiser Maximilian zusammenkamen, und zwei Heiratsverträge zwischen der ungarischen Jagellonenlinie und Habsburg abge¬ schlossen wurden, wonach der Kronprinz Ludwig von Ungarn Maria von Habs¬ burg, der Erzherzog Ferdinand von Österreich Anna von Ungarn ehelichen sollte. Ihre innere Schwäche zwang die Jagellonen zur Nachgiebigkeit auch in der äußern Politik; sie verzichteten auf alle hochfliegenden Pläne weitern Macht¬ erwerbs und auf Bildung eines großen östlichen Reichs und verschafften den Habsburger» die Grundlage, auf der sie nun dieses große Reich ins Leben rufen konnten; nach Ludwigs Fall bei Mohacs gegen die Türken 1526 hat Ferdinand das 1437 flüchtig am politischen Horizont aufgetauchte Donaureich endgiltig be¬ gründen können. Die Folge der habsburgisch-jagellonischen Aussöhnung von 1515

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/296>, abgerufen am 22.07.2024.