Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Freunden einer stetigen Fortführung vernünftiger sozialer Reformpolitik der Rück¬ Der deutsche Arbeiterkongreß gehört ebenso wie die Anbahnung der Blockpolitik Maßgebliches und Unmaßgebliches Freunden einer stetigen Fortführung vernünftiger sozialer Reformpolitik der Rück¬ Der deutsche Arbeiterkongreß gehört ebenso wie die Anbahnung der Blockpolitik <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303695"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> Freunden einer stetigen Fortführung vernünftiger sozialer Reformpolitik der Rück¬<lb/> tritt des Grafen Poscidowsky doch manche Beunruhigung erregt hatte. Der neue<lb/> Staatssekretär des Innern, Herr v. Bethmann-Hollweg, ließ es sich nicht nehmen,<lb/> den Kongreß persönlich zu begrüßen und eine Ansprache programmatischen Charak¬<lb/> ters zu halten, die hoffentlich eine gute Nachwirkung haben wird. Ganz im Sinne<lb/> des vom Reichskanzler gesprochenen Worts: „Nun erst recht!" — wonach die<lb/> Wahlniederlage der Sozialdemokratie unter keinen Umständen einen Stillstand in<lb/> der sozialpolitischen Arbeit bedeuten darf — kündigte Herr v. Bethmann-Holliveg<lb/> an, daß er die Sozialpolitik im Sinne seines Vorgängers weiterzuführen entschlossen<lb/> sei. Er Werde den Wünschen und Interessen der Arbeiter jederzeit gerecht zu<lb/> werden versuchen, nur sollten sie bedenken, daß sie sich in den Rahmen des Staats<lb/> und der Gesellschaft einfügen müßten, und daß auch die andern sozialen Gruppen<lb/> Anspruch auf die Berücksichtigung ihrer Interessen hätten. Auch der Reichskanzler<lb/> selbst hat die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, sich zu einem Programm dieser<lb/> Art zu bekennen. Er empfing am Schluß der Kvngreßarbetten eine Abordnung<lb/> der Arbeiter, die ihn in Klein-Flottbeck bei Altona aufsuchte, und äußerte sich hierbei<lb/> über die nächsten Aufgaben der Sozialpolitik. Er verwies auf das demnächst zu<lb/> beratende Reichsvereinsgesetz und auf das Arbeitskammergesetz sowie auf weitere<lb/> Bemühungen zur Sicherung der Sontagsruhe und andre Verbesserungen in der Lage<lb/> der Arbeiter gewisser Kategorien. Auch Fürst Bülow sagte den Arbeitern: „Wenn<lb/> sich der Fortschritt ans manchen Gebieten nicht so rasch vollzieht, wie Sie ihn wünschen,<lb/> so wollen Sie dabei im Auge behalten, daß die Reichsverwaltung die Interessen<lb/> aller Stände wahrzunehmen hat, und daß eine gesunde und kräftige Sozialpolitik<lb/> von der gesamten Volksauffassung getragen sein muß. Nichts aber wird das soziale<lb/> Verständnis der gesamten Nation mehr fördern, als wenn die deutsche Arbeiter¬<lb/> schaft sich in immer weiterem Umfange ans den nationalen Boden stellt. Dadurch<lb/> bekennt sie sich zu einer Solidarität mit den andern Ständen, die auf der andern<lb/> Seite nicht unerwidert bleiben kann und die Freudigkeit stärkt zu weiterem Fort¬<lb/> schreiten auf sozialen Bahnen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Der deutsche Arbeiterkongreß gehört ebenso wie die Anbahnung der Blockpolitik<lb/> zu den erfreulichen Anzeichen einer gesunden Entwicklung unsrer Politik. Wir<lb/> brauchen dergleichen, da uns in den letzten Jahren von so vielen Seiten immer<lb/> nur Pessimismus gepredigt worden ist. Nun scheint es freilich, als ob die Sensations¬<lb/> prozesse der letzten Zeit, besonders der tiefbedauerliche Prozeß Moltke-Harden, diesem<lb/> Pessimismus Recht geben wollten. Das uns unfreundlich gesinnte Ausland wird<lb/> nicht verfehlen, diese häßlichen Vorkommnisse in solchem Sinne auszubeuten. In das¬<lb/> selbe Horn stößt schon jetzt die sozialdemokratische Presse, die uns glauben machen<lb/> will, die Zustände in den höhern Schichten der bürgerlichen Gesellschaft seien ein<lb/> einziger großer Sumpf. Die Sache selbst ist in dem Augenblick, wo diese Betrachtung<lb/> geschrieben wird, noch nicht abgeschlossen, da das Urteil noch nicht bekannt ist. Aber<lb/> es handelt sich hier um einen jener Prozesse, bei denen das Urteil wenig zur Sache<lb/> tut. Es ist in diesem Fall Nebensache, ob der Angeklagte schuldig befunden oder<lb/> freigesprochen wird; die Bedeutung liegt in den Dingen, die in der Prozeßverhand¬<lb/> lung zutage gefördert sind. Aber diese Dinge fordern die größte Vorsicht in den<lb/> Ruckschlüssen, die daraus gezogen werden. Es ist nichts Neues, daß das höfische<lb/> Leben böse Klippen birgt, auch wenn Charakter und Lebensführung des Herrschers,um den sich dieser Hof schart, rein und fleckenlos dastehn. Der lediglich auf Rangund äußern Glanz gerichtete Ehrgeiz wird hier aufs stärkste angeregt, und während<lb/> überall sonst das Berufsleben mit seinen sachlichen Aufgaben und seiner Verantwortungden Ehrgeiz vornehmer Naturen von dem Gewöhnlichen und den Äußerlichkeiten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Freunden einer stetigen Fortführung vernünftiger sozialer Reformpolitik der Rück¬
tritt des Grafen Poscidowsky doch manche Beunruhigung erregt hatte. Der neue
Staatssekretär des Innern, Herr v. Bethmann-Hollweg, ließ es sich nicht nehmen,
den Kongreß persönlich zu begrüßen und eine Ansprache programmatischen Charak¬
ters zu halten, die hoffentlich eine gute Nachwirkung haben wird. Ganz im Sinne
des vom Reichskanzler gesprochenen Worts: „Nun erst recht!" — wonach die
Wahlniederlage der Sozialdemokratie unter keinen Umständen einen Stillstand in
der sozialpolitischen Arbeit bedeuten darf — kündigte Herr v. Bethmann-Holliveg
an, daß er die Sozialpolitik im Sinne seines Vorgängers weiterzuführen entschlossen
sei. Er Werde den Wünschen und Interessen der Arbeiter jederzeit gerecht zu
werden versuchen, nur sollten sie bedenken, daß sie sich in den Rahmen des Staats
und der Gesellschaft einfügen müßten, und daß auch die andern sozialen Gruppen
Anspruch auf die Berücksichtigung ihrer Interessen hätten. Auch der Reichskanzler
selbst hat die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, sich zu einem Programm dieser
Art zu bekennen. Er empfing am Schluß der Kvngreßarbetten eine Abordnung
der Arbeiter, die ihn in Klein-Flottbeck bei Altona aufsuchte, und äußerte sich hierbei
über die nächsten Aufgaben der Sozialpolitik. Er verwies auf das demnächst zu
beratende Reichsvereinsgesetz und auf das Arbeitskammergesetz sowie auf weitere
Bemühungen zur Sicherung der Sontagsruhe und andre Verbesserungen in der Lage
der Arbeiter gewisser Kategorien. Auch Fürst Bülow sagte den Arbeitern: „Wenn
sich der Fortschritt ans manchen Gebieten nicht so rasch vollzieht, wie Sie ihn wünschen,
so wollen Sie dabei im Auge behalten, daß die Reichsverwaltung die Interessen
aller Stände wahrzunehmen hat, und daß eine gesunde und kräftige Sozialpolitik
von der gesamten Volksauffassung getragen sein muß. Nichts aber wird das soziale
Verständnis der gesamten Nation mehr fördern, als wenn die deutsche Arbeiter¬
schaft sich in immer weiterem Umfange ans den nationalen Boden stellt. Dadurch
bekennt sie sich zu einer Solidarität mit den andern Ständen, die auf der andern
Seite nicht unerwidert bleiben kann und die Freudigkeit stärkt zu weiterem Fort¬
schreiten auf sozialen Bahnen."
Der deutsche Arbeiterkongreß gehört ebenso wie die Anbahnung der Blockpolitik
zu den erfreulichen Anzeichen einer gesunden Entwicklung unsrer Politik. Wir
brauchen dergleichen, da uns in den letzten Jahren von so vielen Seiten immer
nur Pessimismus gepredigt worden ist. Nun scheint es freilich, als ob die Sensations¬
prozesse der letzten Zeit, besonders der tiefbedauerliche Prozeß Moltke-Harden, diesem
Pessimismus Recht geben wollten. Das uns unfreundlich gesinnte Ausland wird
nicht verfehlen, diese häßlichen Vorkommnisse in solchem Sinne auszubeuten. In das¬
selbe Horn stößt schon jetzt die sozialdemokratische Presse, die uns glauben machen
will, die Zustände in den höhern Schichten der bürgerlichen Gesellschaft seien ein
einziger großer Sumpf. Die Sache selbst ist in dem Augenblick, wo diese Betrachtung
geschrieben wird, noch nicht abgeschlossen, da das Urteil noch nicht bekannt ist. Aber
es handelt sich hier um einen jener Prozesse, bei denen das Urteil wenig zur Sache
tut. Es ist in diesem Fall Nebensache, ob der Angeklagte schuldig befunden oder
freigesprochen wird; die Bedeutung liegt in den Dingen, die in der Prozeßverhand¬
lung zutage gefördert sind. Aber diese Dinge fordern die größte Vorsicht in den
Ruckschlüssen, die daraus gezogen werden. Es ist nichts Neues, daß das höfische
Leben böse Klippen birgt, auch wenn Charakter und Lebensführung des Herrschers,um den sich dieser Hof schart, rein und fleckenlos dastehn. Der lediglich auf Rangund äußern Glanz gerichtete Ehrgeiz wird hier aufs stärkste angeregt, und während
überall sonst das Berufsleben mit seinen sachlichen Aufgaben und seiner Verantwortungden Ehrgeiz vornehmer Naturen von dem Gewöhnlichen und den Äußerlichkeiten
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