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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Nationale politische Erziehung

nicht in Ordnung ist, daß unsern Einrichtungen etwas fehlt, was nachgeholt
werden muß, damit wir zu gesunden politischen Zuständen kommen, und das,
was uns fehlt, ist eben politisches Interesse und politisches Verständnis, mit
einem Worte politische Bildung- Wir haben viel getan, unser Volk zu fördern,
und wir haben viel erreicht; den Deutschen politisch zu bilden, haben wir uns
von Staats wegen nicht bemüht, und da Mangel an politischer Einsicht täglich
in Deutschland von neuem zutage tritt und immer wieder der Leitung des
Staates Schwierigkeiten bereitet, so ist der Schluß berechtigt, daß sich hier die
Fehler rächen, die durch Vernachlässigung der politischen Erziehung begangen
worden sind.

Es ist ganz sicher, daß man die Forderung, in den Unterrichtsanstalten
des Staates den jungen Deutschen wenigstens die Elemente politischer Bildung
fürs Leben mitzugeben, zunächst grundsätzlich ablehnen wird. Sie muß und
wird durchdringen, aber bis dahin wird wohl noch viel kostbare Zeit vergehn.
Kennzeichnend dafür ist ein Vorgang in der Sitzung des preußischen Abgeordneten¬
hauses vom 16. April 1907. Da sagte der Abgeordnete Pallaste, man
fordere jetzt vielfach die Einführung der Bürgerkunde in den obern Klassen.
Man wolle, daß die Schüler mit der bestehenden Rechtsordnung in ihren ver-
schiednen Zweigen vertraut gemacht werden, wenn auch nicht in den Einzelheiten,
so doch in den Grundzügen. Davor wolle er warnen. "Ich gebe zu, daß die
jungen Leute in Sekunda und Prima nicht nur von den staatlichen Einrichtungen
von Rom, Sparta und Athen recht viel, sondern auch von den staatlichen Ein¬
richtungen ihrer Heimat wenigstens etwas wissen sollen. Dazu ist aber nicht
ein neues Unterrichtsfach nötig. Was dem Schüler in dieser Beziehung nötig
ist, kann ihm auch im Geschichtsunterricht geboten werden. Ich möchte aber
vor einem Zuviel warnen. Wenn der Lehrer zu tief in diesen Gegenstand
hineinsteigt, dann besteht die Gefahr -- und sie ist um so größer, eine je
kraftvollere Persönlichkeit der Lehrer ist --, daß der Parteistandpunkt des Lehrers
hervortritt, und das soll nicht sein."

Von Rom und Athen soll also der Gymnasiast möglichst viel, vom Vater¬
lande und seinen Einrichtungen ja nicht zu viel wissen. Es ist eigentlich un¬
begreiflich, daß solche Anschauungen bestehn können. Aus Furcht, es könnte
einmal ein Lehrer auf seine Schüler einwirken, soll jede politische Unter¬
weisung unterbleiben und nur Geschichtsunterricht erteilt werden. Wie wenig
dieser aber geeignet ist, die Lücke auszufüllen, ergab sich aus der folgenden,
unmittelbar darauf abgegebnen Erklärung eines Vertreters des preußischen
Uuterrichtsministers: "Diese Anschauungen werden von der Unterrichtsver¬
waltung durchaus geteilt. Wir begnügen uns mit der deutschen Geschichte
bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges unter eingehender Berücksichtigung
der Verfassung und des Kulturlebens." Der Abgeordnete Cassel erwiderte
darauf: "Der Kommissar hat mitgeteilt, daß in Prima die Schüler mit den
Verfassungs- und Kulturverhältnissen bis zum Abschluß des Dreißigjährigen
Krieges vertraut gemacht werden. Es wäre traurig, wenn sich die Schüler


Nationale politische Erziehung

nicht in Ordnung ist, daß unsern Einrichtungen etwas fehlt, was nachgeholt
werden muß, damit wir zu gesunden politischen Zuständen kommen, und das,
was uns fehlt, ist eben politisches Interesse und politisches Verständnis, mit
einem Worte politische Bildung- Wir haben viel getan, unser Volk zu fördern,
und wir haben viel erreicht; den Deutschen politisch zu bilden, haben wir uns
von Staats wegen nicht bemüht, und da Mangel an politischer Einsicht täglich
in Deutschland von neuem zutage tritt und immer wieder der Leitung des
Staates Schwierigkeiten bereitet, so ist der Schluß berechtigt, daß sich hier die
Fehler rächen, die durch Vernachlässigung der politischen Erziehung begangen
worden sind.

Es ist ganz sicher, daß man die Forderung, in den Unterrichtsanstalten
des Staates den jungen Deutschen wenigstens die Elemente politischer Bildung
fürs Leben mitzugeben, zunächst grundsätzlich ablehnen wird. Sie muß und
wird durchdringen, aber bis dahin wird wohl noch viel kostbare Zeit vergehn.
Kennzeichnend dafür ist ein Vorgang in der Sitzung des preußischen Abgeordneten¬
hauses vom 16. April 1907. Da sagte der Abgeordnete Pallaste, man
fordere jetzt vielfach die Einführung der Bürgerkunde in den obern Klassen.
Man wolle, daß die Schüler mit der bestehenden Rechtsordnung in ihren ver-
schiednen Zweigen vertraut gemacht werden, wenn auch nicht in den Einzelheiten,
so doch in den Grundzügen. Davor wolle er warnen. „Ich gebe zu, daß die
jungen Leute in Sekunda und Prima nicht nur von den staatlichen Einrichtungen
von Rom, Sparta und Athen recht viel, sondern auch von den staatlichen Ein¬
richtungen ihrer Heimat wenigstens etwas wissen sollen. Dazu ist aber nicht
ein neues Unterrichtsfach nötig. Was dem Schüler in dieser Beziehung nötig
ist, kann ihm auch im Geschichtsunterricht geboten werden. Ich möchte aber
vor einem Zuviel warnen. Wenn der Lehrer zu tief in diesen Gegenstand
hineinsteigt, dann besteht die Gefahr — und sie ist um so größer, eine je
kraftvollere Persönlichkeit der Lehrer ist —, daß der Parteistandpunkt des Lehrers
hervortritt, und das soll nicht sein."

Von Rom und Athen soll also der Gymnasiast möglichst viel, vom Vater¬
lande und seinen Einrichtungen ja nicht zu viel wissen. Es ist eigentlich un¬
begreiflich, daß solche Anschauungen bestehn können. Aus Furcht, es könnte
einmal ein Lehrer auf seine Schüler einwirken, soll jede politische Unter¬
weisung unterbleiben und nur Geschichtsunterricht erteilt werden. Wie wenig
dieser aber geeignet ist, die Lücke auszufüllen, ergab sich aus der folgenden,
unmittelbar darauf abgegebnen Erklärung eines Vertreters des preußischen
Uuterrichtsministers: „Diese Anschauungen werden von der Unterrichtsver¬
waltung durchaus geteilt. Wir begnügen uns mit der deutschen Geschichte
bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges unter eingehender Berücksichtigung
der Verfassung und des Kulturlebens." Der Abgeordnete Cassel erwiderte
darauf: „Der Kommissar hat mitgeteilt, daß in Prima die Schüler mit den
Verfassungs- und Kulturverhältnissen bis zum Abschluß des Dreißigjährigen
Krieges vertraut gemacht werden. Es wäre traurig, wenn sich die Schüler


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[0027] Nationale politische Erziehung nicht in Ordnung ist, daß unsern Einrichtungen etwas fehlt, was nachgeholt werden muß, damit wir zu gesunden politischen Zuständen kommen, und das, was uns fehlt, ist eben politisches Interesse und politisches Verständnis, mit einem Worte politische Bildung- Wir haben viel getan, unser Volk zu fördern, und wir haben viel erreicht; den Deutschen politisch zu bilden, haben wir uns von Staats wegen nicht bemüht, und da Mangel an politischer Einsicht täglich in Deutschland von neuem zutage tritt und immer wieder der Leitung des Staates Schwierigkeiten bereitet, so ist der Schluß berechtigt, daß sich hier die Fehler rächen, die durch Vernachlässigung der politischen Erziehung begangen worden sind. Es ist ganz sicher, daß man die Forderung, in den Unterrichtsanstalten des Staates den jungen Deutschen wenigstens die Elemente politischer Bildung fürs Leben mitzugeben, zunächst grundsätzlich ablehnen wird. Sie muß und wird durchdringen, aber bis dahin wird wohl noch viel kostbare Zeit vergehn. Kennzeichnend dafür ist ein Vorgang in der Sitzung des preußischen Abgeordneten¬ hauses vom 16. April 1907. Da sagte der Abgeordnete Pallaste, man fordere jetzt vielfach die Einführung der Bürgerkunde in den obern Klassen. Man wolle, daß die Schüler mit der bestehenden Rechtsordnung in ihren ver- schiednen Zweigen vertraut gemacht werden, wenn auch nicht in den Einzelheiten, so doch in den Grundzügen. Davor wolle er warnen. „Ich gebe zu, daß die jungen Leute in Sekunda und Prima nicht nur von den staatlichen Einrichtungen von Rom, Sparta und Athen recht viel, sondern auch von den staatlichen Ein¬ richtungen ihrer Heimat wenigstens etwas wissen sollen. Dazu ist aber nicht ein neues Unterrichtsfach nötig. Was dem Schüler in dieser Beziehung nötig ist, kann ihm auch im Geschichtsunterricht geboten werden. Ich möchte aber vor einem Zuviel warnen. Wenn der Lehrer zu tief in diesen Gegenstand hineinsteigt, dann besteht die Gefahr — und sie ist um so größer, eine je kraftvollere Persönlichkeit der Lehrer ist —, daß der Parteistandpunkt des Lehrers hervortritt, und das soll nicht sein." Von Rom und Athen soll also der Gymnasiast möglichst viel, vom Vater¬ lande und seinen Einrichtungen ja nicht zu viel wissen. Es ist eigentlich un¬ begreiflich, daß solche Anschauungen bestehn können. Aus Furcht, es könnte einmal ein Lehrer auf seine Schüler einwirken, soll jede politische Unter¬ weisung unterbleiben und nur Geschichtsunterricht erteilt werden. Wie wenig dieser aber geeignet ist, die Lücke auszufüllen, ergab sich aus der folgenden, unmittelbar darauf abgegebnen Erklärung eines Vertreters des preußischen Uuterrichtsministers: „Diese Anschauungen werden von der Unterrichtsver¬ waltung durchaus geteilt. Wir begnügen uns mit der deutschen Geschichte bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges unter eingehender Berücksichtigung der Verfassung und des Kulturlebens." Der Abgeordnete Cassel erwiderte darauf: „Der Kommissar hat mitgeteilt, daß in Prima die Schüler mit den Verfassungs- und Kulturverhältnissen bis zum Abschluß des Dreißigjährigen Krieges vertraut gemacht werden. Es wäre traurig, wenn sich die Schüler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/27>, abgerufen am 23.07.2024.