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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten

Zu dieser geistig-individuellen Kultur gesellte sich nun als ihre beste Förderin
die kapitalistisch-korporative des Buchhandels, die freilich viel zur Verschiebung
des Charakters der Stadt als Sitz des Geisteslebens beitrug und ihr nun mehr
und mehr den Stempel der Geschäftsstadt aufdrückte: die Dichter sind aus Leipzig
geflohen, aber die wachsamen und rührigen Bruthennen ihrer Werke, die Ver¬
leger, sind an ihre Stelle getreten und fördern neben dem Dichterruhm auch
ihren und der Stadt Reichtum. Das Verhältnis zwischen geistiger und materieller
Kultur beginnt sich nun freilich etwas zugunsten der letztern zu verschieben.
Die Buchhändler sind die eigentlichen Herren Leipzigs, sie beherrschen das
Kapital und geben geschäftlich und sozial den Ton an. Sie verfügen über
großartige Betriebe und Organisationen, auch beginnt das rein persönliche
Element, das den ältern Buchhandel auszeichnete, stark zurückgedrängt zu werden
durch den persönlichkeitsfeindlichen Großbetrieb. Dazu kommt, daß die jüngere
Verlegergeneration sich durch Aneignung einer wissenschaftlichen Bildung gleich¬
sam auch die Wissenschaft untertänig und sie vielfach dem Kapitalismus dienst¬
bar macht. Das alte freundliche Verhältnis zwischen Verlag und Wissenschaft ist
manchen Krisen und Spannungen ausgesetzt, und ein heutiger Verleger würde
schwerlich einem Professor eine Wohnung in seinem Hause einräumen, wie es
noch dem alten Gottsched widerfuhr. Der fabrikmäßige Betrieb vieler Verlage
hat es weiter mit sich gebracht, daß selbst der in einem solchen Verlage tätige
Redakteur meist zu einem bloßen Organ des Betriebes wird, daß er der ein¬
fache Angestellte der Firma, nicht ihr geistiger Mitleiter ist, wie der Verleger
der geschäftliche. Trat früher der Verleger einer Zeitschrift bescheiden vor dem
Herausgeber zurück, so ist es jetzt in vielen Fällen umgekehrt.

Und noch einen andern Nachteil hat der fabrikmäßige Verlagsbetrieb für
das geistig-individuelle Leben seiner Glieder: die ungünstige Verteilung der
Arbeitszeit. Soviel ich weiß, ist in keinem Leipziger Verlag die englische
Arbeitszeit durchgeführt, sondern es wird überall mit Mittagspause gearbeitet,
wie in einer Fabrik. Das ist ein schwerer sozialer Übelstand, weil dadurch auch
der geistige Arbeiter*) zu einem Maschinenarbeiter herabgedrückt wird, indem ihm
keine Zeit bleibt für geistige Erholung. Wie soll jemand, der bis sieben oder
"ehr Uhr abends im Kondor sitzt, noch fähig sein, ein Theater oder ein Konzert
zu besuchen, geschweige denn noch selbst geistig zu arbeiten? Daß sich diese
Arbeitsordnung aufrecht erhält, ist um so mehr zu verwundern, als nicht
nur die Angestellten, sondern auch die Chefs darunter leiden. Sagten mir doch
Verleger selbst, daß sie kaum einmal im Jahre dazu kämen, das Theater zu
besuchen. Und auch von der Verwaltung der Stadttheater wurde die Klage
laut, daß die Zahl der Abonnenten so gering sei, weil die Hast des Geschäfts¬
lebens auch die Wohlhabenden am häufigern Theaterbesuch verhindre. Hier ist



*) Um Mißverständnisse zu vermeiden, bemerke ich. daß ich hier nur die geistig, nicht die
technisch Arbeitenden im Auge habe.
sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten

Zu dieser geistig-individuellen Kultur gesellte sich nun als ihre beste Förderin
die kapitalistisch-korporative des Buchhandels, die freilich viel zur Verschiebung
des Charakters der Stadt als Sitz des Geisteslebens beitrug und ihr nun mehr
und mehr den Stempel der Geschäftsstadt aufdrückte: die Dichter sind aus Leipzig
geflohen, aber die wachsamen und rührigen Bruthennen ihrer Werke, die Ver¬
leger, sind an ihre Stelle getreten und fördern neben dem Dichterruhm auch
ihren und der Stadt Reichtum. Das Verhältnis zwischen geistiger und materieller
Kultur beginnt sich nun freilich etwas zugunsten der letztern zu verschieben.
Die Buchhändler sind die eigentlichen Herren Leipzigs, sie beherrschen das
Kapital und geben geschäftlich und sozial den Ton an. Sie verfügen über
großartige Betriebe und Organisationen, auch beginnt das rein persönliche
Element, das den ältern Buchhandel auszeichnete, stark zurückgedrängt zu werden
durch den persönlichkeitsfeindlichen Großbetrieb. Dazu kommt, daß die jüngere
Verlegergeneration sich durch Aneignung einer wissenschaftlichen Bildung gleich¬
sam auch die Wissenschaft untertänig und sie vielfach dem Kapitalismus dienst¬
bar macht. Das alte freundliche Verhältnis zwischen Verlag und Wissenschaft ist
manchen Krisen und Spannungen ausgesetzt, und ein heutiger Verleger würde
schwerlich einem Professor eine Wohnung in seinem Hause einräumen, wie es
noch dem alten Gottsched widerfuhr. Der fabrikmäßige Betrieb vieler Verlage
hat es weiter mit sich gebracht, daß selbst der in einem solchen Verlage tätige
Redakteur meist zu einem bloßen Organ des Betriebes wird, daß er der ein¬
fache Angestellte der Firma, nicht ihr geistiger Mitleiter ist, wie der Verleger
der geschäftliche. Trat früher der Verleger einer Zeitschrift bescheiden vor dem
Herausgeber zurück, so ist es jetzt in vielen Fällen umgekehrt.

Und noch einen andern Nachteil hat der fabrikmäßige Verlagsbetrieb für
das geistig-individuelle Leben seiner Glieder: die ungünstige Verteilung der
Arbeitszeit. Soviel ich weiß, ist in keinem Leipziger Verlag die englische
Arbeitszeit durchgeführt, sondern es wird überall mit Mittagspause gearbeitet,
wie in einer Fabrik. Das ist ein schwerer sozialer Übelstand, weil dadurch auch
der geistige Arbeiter*) zu einem Maschinenarbeiter herabgedrückt wird, indem ihm
keine Zeit bleibt für geistige Erholung. Wie soll jemand, der bis sieben oder
"ehr Uhr abends im Kondor sitzt, noch fähig sein, ein Theater oder ein Konzert
zu besuchen, geschweige denn noch selbst geistig zu arbeiten? Daß sich diese
Arbeitsordnung aufrecht erhält, ist um so mehr zu verwundern, als nicht
nur die Angestellten, sondern auch die Chefs darunter leiden. Sagten mir doch
Verleger selbst, daß sie kaum einmal im Jahre dazu kämen, das Theater zu
besuchen. Und auch von der Verwaltung der Stadttheater wurde die Klage
laut, daß die Zahl der Abonnenten so gering sei, weil die Hast des Geschäfts¬
lebens auch die Wohlhabenden am häufigern Theaterbesuch verhindre. Hier ist



*) Um Mißverständnisse zu vermeiden, bemerke ich. daß ich hier nur die geistig, nicht die
technisch Arbeitenden im Auge habe.
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[0263] sozialpsychologische Lindrücke aus deutschen Großstädten Zu dieser geistig-individuellen Kultur gesellte sich nun als ihre beste Förderin die kapitalistisch-korporative des Buchhandels, die freilich viel zur Verschiebung des Charakters der Stadt als Sitz des Geisteslebens beitrug und ihr nun mehr und mehr den Stempel der Geschäftsstadt aufdrückte: die Dichter sind aus Leipzig geflohen, aber die wachsamen und rührigen Bruthennen ihrer Werke, die Ver¬ leger, sind an ihre Stelle getreten und fördern neben dem Dichterruhm auch ihren und der Stadt Reichtum. Das Verhältnis zwischen geistiger und materieller Kultur beginnt sich nun freilich etwas zugunsten der letztern zu verschieben. Die Buchhändler sind die eigentlichen Herren Leipzigs, sie beherrschen das Kapital und geben geschäftlich und sozial den Ton an. Sie verfügen über großartige Betriebe und Organisationen, auch beginnt das rein persönliche Element, das den ältern Buchhandel auszeichnete, stark zurückgedrängt zu werden durch den persönlichkeitsfeindlichen Großbetrieb. Dazu kommt, daß die jüngere Verlegergeneration sich durch Aneignung einer wissenschaftlichen Bildung gleich¬ sam auch die Wissenschaft untertänig und sie vielfach dem Kapitalismus dienst¬ bar macht. Das alte freundliche Verhältnis zwischen Verlag und Wissenschaft ist manchen Krisen und Spannungen ausgesetzt, und ein heutiger Verleger würde schwerlich einem Professor eine Wohnung in seinem Hause einräumen, wie es noch dem alten Gottsched widerfuhr. Der fabrikmäßige Betrieb vieler Verlage hat es weiter mit sich gebracht, daß selbst der in einem solchen Verlage tätige Redakteur meist zu einem bloßen Organ des Betriebes wird, daß er der ein¬ fache Angestellte der Firma, nicht ihr geistiger Mitleiter ist, wie der Verleger der geschäftliche. Trat früher der Verleger einer Zeitschrift bescheiden vor dem Herausgeber zurück, so ist es jetzt in vielen Fällen umgekehrt. Und noch einen andern Nachteil hat der fabrikmäßige Verlagsbetrieb für das geistig-individuelle Leben seiner Glieder: die ungünstige Verteilung der Arbeitszeit. Soviel ich weiß, ist in keinem Leipziger Verlag die englische Arbeitszeit durchgeführt, sondern es wird überall mit Mittagspause gearbeitet, wie in einer Fabrik. Das ist ein schwerer sozialer Übelstand, weil dadurch auch der geistige Arbeiter*) zu einem Maschinenarbeiter herabgedrückt wird, indem ihm keine Zeit bleibt für geistige Erholung. Wie soll jemand, der bis sieben oder "ehr Uhr abends im Kondor sitzt, noch fähig sein, ein Theater oder ein Konzert zu besuchen, geschweige denn noch selbst geistig zu arbeiten? Daß sich diese Arbeitsordnung aufrecht erhält, ist um so mehr zu verwundern, als nicht nur die Angestellten, sondern auch die Chefs darunter leiden. Sagten mir doch Verleger selbst, daß sie kaum einmal im Jahre dazu kämen, das Theater zu besuchen. Und auch von der Verwaltung der Stadttheater wurde die Klage laut, daß die Zahl der Abonnenten so gering sei, weil die Hast des Geschäfts¬ lebens auch die Wohlhabenden am häufigern Theaterbesuch verhindre. Hier ist *) Um Mißverständnisse zu vermeiden, bemerke ich. daß ich hier nur die geistig, nicht die technisch Arbeitenden im Auge habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/263>, abgerufen am 26.06.2024.