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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Wasmann und seine Berliner Gpponenten

längst ins Museum der wissenschaftlichen Altertümer verwiesen haben. Aber
das Herz entscheidet eben; daher die leidenschaftliche Aufregung, die ängstliche
Frage: wie wenden wir das drohende Unheil ab? Die Antwort war in diesem
Falle leicht gefunden. Der Ketzer ist ein katholischer Priester, ist sogar Jesuit,
also dürfen wir ihn ultramontan nennen. Der Ultramontanismus ist bei der
Protestantischen Bevölkerung (mit Recht! füge ich bei) verhaßt, also reden wir
den Leuten vor, es handle sich um die Verteidigung der Wissenschaft, zunächst
der Naturwissenschaft, gegen den Ultramontanismus! "Wir Naturforscher"
spricht Plate, wenn er die Haeckelianer meint, als ob die zahlreichen Nicht-
haeckelicmer gar nicht vorhanden wären. Diese mit Namen zu nennen und ihnen
den Charakter des Naturforschers abstreiten, das würde er wohl nicht wagen,
aber es ist glücklicherweise nicht notwendig, weil das Berliner Publikum von
der Existenz dieser Männer keine Ahnung hat. Bei Wasmann darf er es
wagen, denn dieser ist ein Jesuit, darum steht es s xriori fest, daß er kein
Mann der Wissenschaft, kein Naturforscher sein kann. "Bei aller Anerkennung
der Tatsache, daß Pater Wasmann als katholischer Priester die Nichtigkeit der
Entwicklungslehre im Prinzip zugibt, muß ich doch bekennen, ?. Wasmann ist
kein echter Naturforscher, er ist kein wahrer Gelehrter." Warum nicht? Weil
er "eine metaphysische Erklärung in die Naturwissenschaft hineinträgt". Ja,
warum hat er das getan? Nur zur Abwehr. Die Haeckelianer behaupten, sie
hätten das Werden der Organismen erklärt und brauchten darum keine außer¬
halb der Materie liegende Ursache zur Erklärung. Ein großer Chor von Natur¬
forschern bekennt: nichts ist erklärt; nur Kausalreihen sind aufgedeckt. Nicht
einmal die physikalischen und chemischen Kräfte verstehn wir; wir erkennen nichts
als ihren Zusammenhang, ihre Wirkungen, vermögen nichts, als diese zu be¬
schreiben, wie schon Kirchhofs gesagt hat, und sie praktisch zu nutzen. Diese Tat¬
sache festzustellen, muß doch wohl erlaubt sein. Die Naturwissenschaft, die gar
nichts erklärt (im philosophischen Sinne erklärt), sondern nur beschreibt, über¬
schreitet die ihr gesetzten Grenzen, wenn sie über die ersten Ursachen der Er¬
scheinungen aussagt und jenseitige Ursachen leugnet. Über die ersten und letzten
Ursachen Hypothesen aufzustellen, das ist nicht mehr Sache des Naturforschers,
sondern des Philosophen.

"Wer nur die Elemente der Naturforschung, die Einheitlichkeit und strenge
Gesetzmäßigkeit der Naturkräfte, erfaßt hat und ein klardenkender Kopf ist,
wird von selbst Monist", behauptet Plate Seite 11, und an mehreren Stellen
wird das Unterfangen, Entwicklungslehre und Schöpfungsglauben "zu einem
Bastard zu verquicken", als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Wer die Ent¬
wicklung bloß innerhalb einer Gattung oder Klasse zugebe, nicht zugebe, daß
sich alle Organismen aus einer Urform entwickeln, daß diese Urform ohne
andre Ursache als das Walten physikalischer und chemischer Kräfte auf rein
mechanischem Wege aus unorganischen Stoff entstanden sei, der sei kein Ent¬
wicklungstheoretiker, kein Naturforscher, kein Gelehrter. Das heißt mit andern


Wasmann und seine Berliner Gpponenten

längst ins Museum der wissenschaftlichen Altertümer verwiesen haben. Aber
das Herz entscheidet eben; daher die leidenschaftliche Aufregung, die ängstliche
Frage: wie wenden wir das drohende Unheil ab? Die Antwort war in diesem
Falle leicht gefunden. Der Ketzer ist ein katholischer Priester, ist sogar Jesuit,
also dürfen wir ihn ultramontan nennen. Der Ultramontanismus ist bei der
Protestantischen Bevölkerung (mit Recht! füge ich bei) verhaßt, also reden wir
den Leuten vor, es handle sich um die Verteidigung der Wissenschaft, zunächst
der Naturwissenschaft, gegen den Ultramontanismus! „Wir Naturforscher"
spricht Plate, wenn er die Haeckelianer meint, als ob die zahlreichen Nicht-
haeckelicmer gar nicht vorhanden wären. Diese mit Namen zu nennen und ihnen
den Charakter des Naturforschers abstreiten, das würde er wohl nicht wagen,
aber es ist glücklicherweise nicht notwendig, weil das Berliner Publikum von
der Existenz dieser Männer keine Ahnung hat. Bei Wasmann darf er es
wagen, denn dieser ist ein Jesuit, darum steht es s xriori fest, daß er kein
Mann der Wissenschaft, kein Naturforscher sein kann. „Bei aller Anerkennung
der Tatsache, daß Pater Wasmann als katholischer Priester die Nichtigkeit der
Entwicklungslehre im Prinzip zugibt, muß ich doch bekennen, ?. Wasmann ist
kein echter Naturforscher, er ist kein wahrer Gelehrter." Warum nicht? Weil
er „eine metaphysische Erklärung in die Naturwissenschaft hineinträgt". Ja,
warum hat er das getan? Nur zur Abwehr. Die Haeckelianer behaupten, sie
hätten das Werden der Organismen erklärt und brauchten darum keine außer¬
halb der Materie liegende Ursache zur Erklärung. Ein großer Chor von Natur¬
forschern bekennt: nichts ist erklärt; nur Kausalreihen sind aufgedeckt. Nicht
einmal die physikalischen und chemischen Kräfte verstehn wir; wir erkennen nichts
als ihren Zusammenhang, ihre Wirkungen, vermögen nichts, als diese zu be¬
schreiben, wie schon Kirchhofs gesagt hat, und sie praktisch zu nutzen. Diese Tat¬
sache festzustellen, muß doch wohl erlaubt sein. Die Naturwissenschaft, die gar
nichts erklärt (im philosophischen Sinne erklärt), sondern nur beschreibt, über¬
schreitet die ihr gesetzten Grenzen, wenn sie über die ersten Ursachen der Er¬
scheinungen aussagt und jenseitige Ursachen leugnet. Über die ersten und letzten
Ursachen Hypothesen aufzustellen, das ist nicht mehr Sache des Naturforschers,
sondern des Philosophen.

„Wer nur die Elemente der Naturforschung, die Einheitlichkeit und strenge
Gesetzmäßigkeit der Naturkräfte, erfaßt hat und ein klardenkender Kopf ist,
wird von selbst Monist", behauptet Plate Seite 11, und an mehreren Stellen
wird das Unterfangen, Entwicklungslehre und Schöpfungsglauben „zu einem
Bastard zu verquicken", als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Wer die Ent¬
wicklung bloß innerhalb einer Gattung oder Klasse zugebe, nicht zugebe, daß
sich alle Organismen aus einer Urform entwickeln, daß diese Urform ohne
andre Ursache als das Walten physikalischer und chemischer Kräfte auf rein
mechanischem Wege aus unorganischen Stoff entstanden sei, der sei kein Ent¬
wicklungstheoretiker, kein Naturforscher, kein Gelehrter. Das heißt mit andern


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[0249] Wasmann und seine Berliner Gpponenten längst ins Museum der wissenschaftlichen Altertümer verwiesen haben. Aber das Herz entscheidet eben; daher die leidenschaftliche Aufregung, die ängstliche Frage: wie wenden wir das drohende Unheil ab? Die Antwort war in diesem Falle leicht gefunden. Der Ketzer ist ein katholischer Priester, ist sogar Jesuit, also dürfen wir ihn ultramontan nennen. Der Ultramontanismus ist bei der Protestantischen Bevölkerung (mit Recht! füge ich bei) verhaßt, also reden wir den Leuten vor, es handle sich um die Verteidigung der Wissenschaft, zunächst der Naturwissenschaft, gegen den Ultramontanismus! „Wir Naturforscher" spricht Plate, wenn er die Haeckelianer meint, als ob die zahlreichen Nicht- haeckelicmer gar nicht vorhanden wären. Diese mit Namen zu nennen und ihnen den Charakter des Naturforschers abstreiten, das würde er wohl nicht wagen, aber es ist glücklicherweise nicht notwendig, weil das Berliner Publikum von der Existenz dieser Männer keine Ahnung hat. Bei Wasmann darf er es wagen, denn dieser ist ein Jesuit, darum steht es s xriori fest, daß er kein Mann der Wissenschaft, kein Naturforscher sein kann. „Bei aller Anerkennung der Tatsache, daß Pater Wasmann als katholischer Priester die Nichtigkeit der Entwicklungslehre im Prinzip zugibt, muß ich doch bekennen, ?. Wasmann ist kein echter Naturforscher, er ist kein wahrer Gelehrter." Warum nicht? Weil er „eine metaphysische Erklärung in die Naturwissenschaft hineinträgt". Ja, warum hat er das getan? Nur zur Abwehr. Die Haeckelianer behaupten, sie hätten das Werden der Organismen erklärt und brauchten darum keine außer¬ halb der Materie liegende Ursache zur Erklärung. Ein großer Chor von Natur¬ forschern bekennt: nichts ist erklärt; nur Kausalreihen sind aufgedeckt. Nicht einmal die physikalischen und chemischen Kräfte verstehn wir; wir erkennen nichts als ihren Zusammenhang, ihre Wirkungen, vermögen nichts, als diese zu be¬ schreiben, wie schon Kirchhofs gesagt hat, und sie praktisch zu nutzen. Diese Tat¬ sache festzustellen, muß doch wohl erlaubt sein. Die Naturwissenschaft, die gar nichts erklärt (im philosophischen Sinne erklärt), sondern nur beschreibt, über¬ schreitet die ihr gesetzten Grenzen, wenn sie über die ersten Ursachen der Er¬ scheinungen aussagt und jenseitige Ursachen leugnet. Über die ersten und letzten Ursachen Hypothesen aufzustellen, das ist nicht mehr Sache des Naturforschers, sondern des Philosophen. „Wer nur die Elemente der Naturforschung, die Einheitlichkeit und strenge Gesetzmäßigkeit der Naturkräfte, erfaßt hat und ein klardenkender Kopf ist, wird von selbst Monist", behauptet Plate Seite 11, und an mehreren Stellen wird das Unterfangen, Entwicklungslehre und Schöpfungsglauben „zu einem Bastard zu verquicken", als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Wer die Ent¬ wicklung bloß innerhalb einer Gattung oder Klasse zugebe, nicht zugebe, daß sich alle Organismen aus einer Urform entwickeln, daß diese Urform ohne andre Ursache als das Walten physikalischer und chemischer Kräfte auf rein mechanischem Wege aus unorganischen Stoff entstanden sei, der sei kein Ent¬ wicklungstheoretiker, kein Naturforscher, kein Gelehrter. Das heißt mit andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/249>, abgerufen am 23.07.2024.