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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Wie hieß doch der Wald, der uns diesen Streich gespielt hatte? Die
Antwort fiel nicht schwer. Unter uns lag schon wenige Augenblicke später
ein wohlbekanntes Stadtbild: ein Kranz von Kastanienalleen an der Stelle
ehemaliger Befestigungen umgibt den alten Kern, aus dem eine hohe Kirche
emporragt, viele Schornsteine in der äußern, regelmäßig angelegten Stadt
geben Zeugnis von dem Gewerbfleiß ihrer Bewohner, ein Fluß mit Insel,
weite Bahnhofsanlagen, es ist -- Kottbus! Der Stadtforst westlich davon
wars gewesen, der uns nicht weiterlassen wollte.

So rasch sind wir selten vorwärts gekommen wie heute. Nach viertel¬
stündigen Fluge über Wälder und Seen, die infolge von Überschwemmungen
noch größer und zahlreicher erscheinen, haben wir den ersten Nebenfluß der
Oder, die Reiße, bei einer zweiten Niederlausitzer Stadt, bei Forst, erreicht.
Vor uns liegen zwei Städte, durch die Bahn Guben-Sagan miteinander ver¬
bunden, bei beiden zweigen sich andre Linien ab, Sommerfeld und Gassen.
Immer weiter ostwärts gehts über Wald und Bruch, über einen stattlichen
See, den Billendorfer Lug. Da zeigt sich auch schon der zweite Oderzufluß,
der Bober, an ihm links und rechts Christianstadt und Naumburg an der
Provinzengrenze, das letztere schon in Schlesien. Wie bekannt erscheint mir
doch die nun folgende wiesenreiche Niederung, von den beiden Parallelbächen,
Oesel und Schwarze bewässert! Nur fünf Tage fehlen noch, dann ist es
gerade ein Jahr, daß ich sie zum erstenmal sah, und genau an derselben
Stelle wie damals stoßen wir früh ^7 Uhr bei Umsatz auf die Oder;
wieder ist sie von Schleppdampfern und schwerbeladnen Kühnen belebt. Wir
schauen sie aus 1800 Metern Höhe, leichte Haufenwolken über uns, noch leichtere,
die dem Bilde an Klarheit nichts rauben, unter uns.

Am Ende der Carolather Heide, die wir in ihrer längsten Ausdehnung
überfliegen, schimmern zunächst drei kleinere Seen uns entgegen, die sich um
Polnisch-Taman gruppieren, dahinter von Wolken umrahmt der zehn Kilo¬
meter lange Schlawaer See. Je näher wir kommen, um so reizvoller erscheint
er mit seiner waldigen Umgebung, seinen baumbestandnen Inseln und Halb¬
inseln und den schmucken Ortschaften an seinen Ufern, das alles von herr¬
lichem Sonnenschein verklärt. Wir lassen ihn zur Linken. Eine Reihe von
zusammenhängenden Längsdörfern, wie wir sie besonders aus der sächsischen
Lausitz kennen, liegt unter uns, Alt-Strunz bildet ihr östliches Ende. Eine
zweite Reihe führt jenseit einer niedrigen Hügelkette, die zugleich die Grenze
zwischen den Provinzen Schlesien und Posen bezeichnet, aus das an Kirchen
und Fabrikschloten reiche Fraustadt. Seine Garnison muß wohl in den letzten
Jahren vermehrt worden sein, wir unterscheiden Kasernenbauten ältern und
neusten Stils. Das umgebende Gelände, in dem wir übrigens auffallend viele
Windmühlen in flotter Tätigkeit beobachten, ist zur Entwicklung größerer
Truppenmassen wie geschaffen, und es ist ja auch schon der Schauplatz eines
blutigen Kampfes gewesen, für uns Sachsen eine schmerzliche Erinnerung. In


Luftreisen

Wie hieß doch der Wald, der uns diesen Streich gespielt hatte? Die
Antwort fiel nicht schwer. Unter uns lag schon wenige Augenblicke später
ein wohlbekanntes Stadtbild: ein Kranz von Kastanienalleen an der Stelle
ehemaliger Befestigungen umgibt den alten Kern, aus dem eine hohe Kirche
emporragt, viele Schornsteine in der äußern, regelmäßig angelegten Stadt
geben Zeugnis von dem Gewerbfleiß ihrer Bewohner, ein Fluß mit Insel,
weite Bahnhofsanlagen, es ist — Kottbus! Der Stadtforst westlich davon
wars gewesen, der uns nicht weiterlassen wollte.

So rasch sind wir selten vorwärts gekommen wie heute. Nach viertel¬
stündigen Fluge über Wälder und Seen, die infolge von Überschwemmungen
noch größer und zahlreicher erscheinen, haben wir den ersten Nebenfluß der
Oder, die Reiße, bei einer zweiten Niederlausitzer Stadt, bei Forst, erreicht.
Vor uns liegen zwei Städte, durch die Bahn Guben-Sagan miteinander ver¬
bunden, bei beiden zweigen sich andre Linien ab, Sommerfeld und Gassen.
Immer weiter ostwärts gehts über Wald und Bruch, über einen stattlichen
See, den Billendorfer Lug. Da zeigt sich auch schon der zweite Oderzufluß,
der Bober, an ihm links und rechts Christianstadt und Naumburg an der
Provinzengrenze, das letztere schon in Schlesien. Wie bekannt erscheint mir
doch die nun folgende wiesenreiche Niederung, von den beiden Parallelbächen,
Oesel und Schwarze bewässert! Nur fünf Tage fehlen noch, dann ist es
gerade ein Jahr, daß ich sie zum erstenmal sah, und genau an derselben
Stelle wie damals stoßen wir früh ^7 Uhr bei Umsatz auf die Oder;
wieder ist sie von Schleppdampfern und schwerbeladnen Kühnen belebt. Wir
schauen sie aus 1800 Metern Höhe, leichte Haufenwolken über uns, noch leichtere,
die dem Bilde an Klarheit nichts rauben, unter uns.

Am Ende der Carolather Heide, die wir in ihrer längsten Ausdehnung
überfliegen, schimmern zunächst drei kleinere Seen uns entgegen, die sich um
Polnisch-Taman gruppieren, dahinter von Wolken umrahmt der zehn Kilo¬
meter lange Schlawaer See. Je näher wir kommen, um so reizvoller erscheint
er mit seiner waldigen Umgebung, seinen baumbestandnen Inseln und Halb¬
inseln und den schmucken Ortschaften an seinen Ufern, das alles von herr¬
lichem Sonnenschein verklärt. Wir lassen ihn zur Linken. Eine Reihe von
zusammenhängenden Längsdörfern, wie wir sie besonders aus der sächsischen
Lausitz kennen, liegt unter uns, Alt-Strunz bildet ihr östliches Ende. Eine
zweite Reihe führt jenseit einer niedrigen Hügelkette, die zugleich die Grenze
zwischen den Provinzen Schlesien und Posen bezeichnet, aus das an Kirchen
und Fabrikschloten reiche Fraustadt. Seine Garnison muß wohl in den letzten
Jahren vermehrt worden sein, wir unterscheiden Kasernenbauten ältern und
neusten Stils. Das umgebende Gelände, in dem wir übrigens auffallend viele
Windmühlen in flotter Tätigkeit beobachten, ist zur Entwicklung größerer
Truppenmassen wie geschaffen, und es ist ja auch schon der Schauplatz eines
blutigen Kampfes gewesen, für uns Sachsen eine schmerzliche Erinnerung. In


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[0200] Luftreisen Wie hieß doch der Wald, der uns diesen Streich gespielt hatte? Die Antwort fiel nicht schwer. Unter uns lag schon wenige Augenblicke später ein wohlbekanntes Stadtbild: ein Kranz von Kastanienalleen an der Stelle ehemaliger Befestigungen umgibt den alten Kern, aus dem eine hohe Kirche emporragt, viele Schornsteine in der äußern, regelmäßig angelegten Stadt geben Zeugnis von dem Gewerbfleiß ihrer Bewohner, ein Fluß mit Insel, weite Bahnhofsanlagen, es ist — Kottbus! Der Stadtforst westlich davon wars gewesen, der uns nicht weiterlassen wollte. So rasch sind wir selten vorwärts gekommen wie heute. Nach viertel¬ stündigen Fluge über Wälder und Seen, die infolge von Überschwemmungen noch größer und zahlreicher erscheinen, haben wir den ersten Nebenfluß der Oder, die Reiße, bei einer zweiten Niederlausitzer Stadt, bei Forst, erreicht. Vor uns liegen zwei Städte, durch die Bahn Guben-Sagan miteinander ver¬ bunden, bei beiden zweigen sich andre Linien ab, Sommerfeld und Gassen. Immer weiter ostwärts gehts über Wald und Bruch, über einen stattlichen See, den Billendorfer Lug. Da zeigt sich auch schon der zweite Oderzufluß, der Bober, an ihm links und rechts Christianstadt und Naumburg an der Provinzengrenze, das letztere schon in Schlesien. Wie bekannt erscheint mir doch die nun folgende wiesenreiche Niederung, von den beiden Parallelbächen, Oesel und Schwarze bewässert! Nur fünf Tage fehlen noch, dann ist es gerade ein Jahr, daß ich sie zum erstenmal sah, und genau an derselben Stelle wie damals stoßen wir früh ^7 Uhr bei Umsatz auf die Oder; wieder ist sie von Schleppdampfern und schwerbeladnen Kühnen belebt. Wir schauen sie aus 1800 Metern Höhe, leichte Haufenwolken über uns, noch leichtere, die dem Bilde an Klarheit nichts rauben, unter uns. Am Ende der Carolather Heide, die wir in ihrer längsten Ausdehnung überfliegen, schimmern zunächst drei kleinere Seen uns entgegen, die sich um Polnisch-Taman gruppieren, dahinter von Wolken umrahmt der zehn Kilo¬ meter lange Schlawaer See. Je näher wir kommen, um so reizvoller erscheint er mit seiner waldigen Umgebung, seinen baumbestandnen Inseln und Halb¬ inseln und den schmucken Ortschaften an seinen Ufern, das alles von herr¬ lichem Sonnenschein verklärt. Wir lassen ihn zur Linken. Eine Reihe von zusammenhängenden Längsdörfern, wie wir sie besonders aus der sächsischen Lausitz kennen, liegt unter uns, Alt-Strunz bildet ihr östliches Ende. Eine zweite Reihe führt jenseit einer niedrigen Hügelkette, die zugleich die Grenze zwischen den Provinzen Schlesien und Posen bezeichnet, aus das an Kirchen und Fabrikschloten reiche Fraustadt. Seine Garnison muß wohl in den letzten Jahren vermehrt worden sein, wir unterscheiden Kasernenbauten ältern und neusten Stils. Das umgebende Gelände, in dem wir übrigens auffallend viele Windmühlen in flotter Tätigkeit beobachten, ist zur Entwicklung größerer Truppenmassen wie geschaffen, und es ist ja auch schon der Schauplatz eines blutigen Kampfes gewesen, für uns Sachsen eine schmerzliche Erinnerung. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/200>, abgerufen am 26.06.2024.