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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Da wir durch Ballastgeben dem Ballon immer wieder Auftrieb verschafften,
gestaltete sich die Fahrtkurve zu einem vortrefflichen Beispiel für das schon
1783 vom nachmaligen General Meusnier gefundne Gesetz, daß ein sinkender
Ballon, der wieder hochgebracht wird, jedesmal das vorherige Höhenmaximum
übersteigt: 50 -- 0 -- 120 -- 0 -- 200 -- 15 -- 330 -- 20 -- 420 -- 0 --
510 -- 20 -- 650 -- 30 -- 730 -- 25 -- 800 Meter.

Die Ortsbestimmung war bei der herrschenden Dunkelheit im einzelnen
schwer möglich, aber große Überraschungen hatten wir auch nicht zu erwarten,
es war ja wieder einmal Westwind, mit dem wir fuhren: über die Elbe bei
Pretzsch, über die Schwarze Elster bei Arnsnesta, über die Bahn Berlin-Elster-,
werda-Dresden unweit Kalan.

Schon bei der Abfahrt hatte uns "Ernst" eine Enttäuschung bereitet.
Während er sonst bei einer Fahrt zu dreien bis zu zehn Sack Ballast zu
tragen vermochte, hatte es heute bei zwei Personen nur zu nenneinhalb Sack
gelangt, und Dr. Weißwange bestritt aufs entschiedenste, daß er seit seiner letzten
Fahrt um das Gewicht mehrerer Sandsäcke zu fünfzehn Kilo zugenommen habe.
Von diesem Ballastvorrat waren in der Morgendämmerung nur vier Sack
noch übrig, so mußte wohl oder übel das Schlepptau ausgelegt werden, und
es dauerte auch gar nicht lange, so näherten wir uns abermals der Erde,
und der Ballon suchte sich nun am Tau eine Gleichgewichtslage. Aber auch
der Nachteil einer Schleppfahrt blieb nicht aus. Trotz der sehr gesteigerten
Windstürke von sechzig Stundenkilometern blieb das mit einem Lederschul) be¬
kleidete Tauende, vermutlich in einer Gabel von Zweigen festgeklemmt, hängen,
"Ernst" war zum Fesselballon geworden. Bald bäumte er sich in der ganzen
Länge des Taues, also hundert Meter hoch auf, bald drückte er den Korb in
die Baumkronen des Waldes hinab. So schwankte er auf und ab, nach
links und nach rechts, vorwärts und rückwärts. Zwei Minuten genügten, den
Führer völlig seekrank zu machen, während der Doktor seine schon als Schiffs¬
arzt in den Taifunen des Chinesischen Meeres bewiesne Seefestigkeit aufs neue
bewährte. Gerade diese schnelle Erkrankung des Führers lieferte einen neuen
Beweis für die von Unerfahrnen immer wieder angezweifelte Tatsache, daß
die gewöhnliche Ballonfahrt auch in dieser Hinsicht ungefährlich ist, war ihm
doch auf keiner seiner frühern Fahrten auch nur die geringste Anwandlung
von Übelkeit gekommen.

In der Hoffnung, daß sich der Ballon bei der Stärke des Windes von
selbst losreißen werde, täuschten wir uns, im Gegenteil er wurde durch Gasverlust
immer mehr geschwächt und schlapp, die Gefahr einer vorzeitigen Landung stand
in bedenklicher Nähe. Darum, als er sich wieder einmal hoch aufrichtete, rasch
zwei Sack ausgeschüttet, mehr durften wir vor der Landung nicht opfern. Das
wirkte: "Ernst" hatte seine Freiheit wiedererlangt und schoß nun kühn in die
Höhe bis 1350 Meter. Kaum zehn Minuten hatte er Fesselballon gespielt, diese
aber erschienen bei der Heftigkeit des Windes wie eine halbe Stunde.


Luftreisen

Da wir durch Ballastgeben dem Ballon immer wieder Auftrieb verschafften,
gestaltete sich die Fahrtkurve zu einem vortrefflichen Beispiel für das schon
1783 vom nachmaligen General Meusnier gefundne Gesetz, daß ein sinkender
Ballon, der wieder hochgebracht wird, jedesmal das vorherige Höhenmaximum
übersteigt: 50 — 0 — 120 — 0 — 200 — 15 — 330 — 20 — 420 — 0 —
510 — 20 — 650 — 30 — 730 — 25 — 800 Meter.

Die Ortsbestimmung war bei der herrschenden Dunkelheit im einzelnen
schwer möglich, aber große Überraschungen hatten wir auch nicht zu erwarten,
es war ja wieder einmal Westwind, mit dem wir fuhren: über die Elbe bei
Pretzsch, über die Schwarze Elster bei Arnsnesta, über die Bahn Berlin-Elster-,
werda-Dresden unweit Kalan.

Schon bei der Abfahrt hatte uns „Ernst" eine Enttäuschung bereitet.
Während er sonst bei einer Fahrt zu dreien bis zu zehn Sack Ballast zu
tragen vermochte, hatte es heute bei zwei Personen nur zu nenneinhalb Sack
gelangt, und Dr. Weißwange bestritt aufs entschiedenste, daß er seit seiner letzten
Fahrt um das Gewicht mehrerer Sandsäcke zu fünfzehn Kilo zugenommen habe.
Von diesem Ballastvorrat waren in der Morgendämmerung nur vier Sack
noch übrig, so mußte wohl oder übel das Schlepptau ausgelegt werden, und
es dauerte auch gar nicht lange, so näherten wir uns abermals der Erde,
und der Ballon suchte sich nun am Tau eine Gleichgewichtslage. Aber auch
der Nachteil einer Schleppfahrt blieb nicht aus. Trotz der sehr gesteigerten
Windstürke von sechzig Stundenkilometern blieb das mit einem Lederschul) be¬
kleidete Tauende, vermutlich in einer Gabel von Zweigen festgeklemmt, hängen,
„Ernst" war zum Fesselballon geworden. Bald bäumte er sich in der ganzen
Länge des Taues, also hundert Meter hoch auf, bald drückte er den Korb in
die Baumkronen des Waldes hinab. So schwankte er auf und ab, nach
links und nach rechts, vorwärts und rückwärts. Zwei Minuten genügten, den
Führer völlig seekrank zu machen, während der Doktor seine schon als Schiffs¬
arzt in den Taifunen des Chinesischen Meeres bewiesne Seefestigkeit aufs neue
bewährte. Gerade diese schnelle Erkrankung des Führers lieferte einen neuen
Beweis für die von Unerfahrnen immer wieder angezweifelte Tatsache, daß
die gewöhnliche Ballonfahrt auch in dieser Hinsicht ungefährlich ist, war ihm
doch auf keiner seiner frühern Fahrten auch nur die geringste Anwandlung
von Übelkeit gekommen.

In der Hoffnung, daß sich der Ballon bei der Stärke des Windes von
selbst losreißen werde, täuschten wir uns, im Gegenteil er wurde durch Gasverlust
immer mehr geschwächt und schlapp, die Gefahr einer vorzeitigen Landung stand
in bedenklicher Nähe. Darum, als er sich wieder einmal hoch aufrichtete, rasch
zwei Sack ausgeschüttet, mehr durften wir vor der Landung nicht opfern. Das
wirkte: „Ernst" hatte seine Freiheit wiedererlangt und schoß nun kühn in die
Höhe bis 1350 Meter. Kaum zehn Minuten hatte er Fesselballon gespielt, diese
aber erschienen bei der Heftigkeit des Windes wie eine halbe Stunde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/199>, abgerufen am 29.06.2024.