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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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West- und Ostdeutsch

preußische Deutschland entweder in seine Grenzen einbezog oder in hündischen
Formen sich angliederte. Es vollendete damit das Werk von 1815, indem
es aufs neue große Teile des alten deutschen Mutterlandes mit den Kolonial¬
landen vereinigte, aus denen es hervorgegangen war, und es stellte die neue
Schöpfung unter die alte Kaiserkrone, an die sich die stolzesten Erinnerungen
Süd- und Westdeutschlands, keineswegs des Nordostens knüpften.

Schon darin lag ein Ausgleich, eine Annäherung zwischen dem Westen
und dem Osten. Aber sie wird weitergehn müssen. Die moderne Entwicklung
drängt überall nach freier Betätigung der Persönlichkeit, der Körperschaft, nach
volkstümlicher Gestaltung der Verwaltung, nach Ausgleich der Stände. Dieses
Streben hat auch in Preußen zu einer durchgreifenden Ausgestaltung der
Selbstverwaltung in den Kreisen und Provinzen, nicht nur in den Städten
geführt, und es wird sicherlich noch zu andern Bildungen dieser Art und zu
größerer Freiheit der persönlichen Bewegung führen; es fühlt sich noch
zu sehr eingeengt durch das, was man Bureaukratie nennt, was aber nichts
andres ist als die noch in die Gegenwart hineinragende starke monarchische,
zentralistische Staatsordnung. Naturgemäß ist diese am stärksten in Preußen,
weil sie hier älter und in der ganzen Geschichte des Staats tiefer begründet
ist; anderwärts ist sie schwächer, weil jünger, sie stößt deshalb mit dem Selbst¬
gefühl des modernen Staatsbürgers, der nicht mehr gern Untertan heißen will,
nicht so hart zusammen, wie zuweilen wohl in Preußen. Zugleich sind hier
die aristokratischen Elemente der Gesellschaft und auch im Staatsleben stärker
als anderwärts; der Großgrundbesitz, der den Nordosten weithin beherrscht, ist
eine Eigentümlichkeit des Koloniallandes und in Österreich noch viel mehr
ausgeprägt, und einen militärisch-politischen Adel, wie er sich in Preußen
herausgebildet hat und mit der Monarchie aufs engste verwachsen ist, besitzt
das ganze übrige Deutschland überhaupt nicht, versteht ihn deshalb auch nicht,
spricht von Junkertum und dergleichen mehr und weiß gar nicht, wie wertvoll
gerade heute, wo jede Autorität und jede Tradition von einem zügellosen Sub¬
jektivismus angefochten wird, und eine öde Gleichmacherei als das Höchste gilt,
ein Stand ist, in dem Staatsgesinnung und Königstreue seit Generationen
gepflegt und vererbt werden, weiß auch wenig davon, wie diese Magnaten, denen
zum Beispiel in Schlesien fast die Hälfte alles Grund und Bodens gehört, an der
Spitze des wirtschaftlichen Lebens stehn, und wie ihre oft herrlichen Schlösser
einen Abglanz von Kunst und Gesittung auf die ganze Umgebung werfen.
Nun verlangt niemand von den West- und Süddeutschen, daß sie ihre demo¬
kratischen Gesellschaftsformen und ihre volkstümlichere Verwaltung aufgeben,
die ja auch der norddeutsche, wenn er dort reist oder gar lebt, angenehm
empfindet, wohl aber, daß sie die Eigenart des kolonialen Ostens verstehn und
würdigen. Der harte Zwang, unter dem der moderne preußische Staat ent¬
standen ist, hat längst nachgelassen, und vom Absolutismus ist keine Rede
mehr; aber das starke, selbständige Königtum, seine zentralisierte Verwaltung,


Grenzboien IV 1907 25
West- und Ostdeutsch

preußische Deutschland entweder in seine Grenzen einbezog oder in hündischen
Formen sich angliederte. Es vollendete damit das Werk von 1815, indem
es aufs neue große Teile des alten deutschen Mutterlandes mit den Kolonial¬
landen vereinigte, aus denen es hervorgegangen war, und es stellte die neue
Schöpfung unter die alte Kaiserkrone, an die sich die stolzesten Erinnerungen
Süd- und Westdeutschlands, keineswegs des Nordostens knüpften.

Schon darin lag ein Ausgleich, eine Annäherung zwischen dem Westen
und dem Osten. Aber sie wird weitergehn müssen. Die moderne Entwicklung
drängt überall nach freier Betätigung der Persönlichkeit, der Körperschaft, nach
volkstümlicher Gestaltung der Verwaltung, nach Ausgleich der Stände. Dieses
Streben hat auch in Preußen zu einer durchgreifenden Ausgestaltung der
Selbstverwaltung in den Kreisen und Provinzen, nicht nur in den Städten
geführt, und es wird sicherlich noch zu andern Bildungen dieser Art und zu
größerer Freiheit der persönlichen Bewegung führen; es fühlt sich noch
zu sehr eingeengt durch das, was man Bureaukratie nennt, was aber nichts
andres ist als die noch in die Gegenwart hineinragende starke monarchische,
zentralistische Staatsordnung. Naturgemäß ist diese am stärksten in Preußen,
weil sie hier älter und in der ganzen Geschichte des Staats tiefer begründet
ist; anderwärts ist sie schwächer, weil jünger, sie stößt deshalb mit dem Selbst¬
gefühl des modernen Staatsbürgers, der nicht mehr gern Untertan heißen will,
nicht so hart zusammen, wie zuweilen wohl in Preußen. Zugleich sind hier
die aristokratischen Elemente der Gesellschaft und auch im Staatsleben stärker
als anderwärts; der Großgrundbesitz, der den Nordosten weithin beherrscht, ist
eine Eigentümlichkeit des Koloniallandes und in Österreich noch viel mehr
ausgeprägt, und einen militärisch-politischen Adel, wie er sich in Preußen
herausgebildet hat und mit der Monarchie aufs engste verwachsen ist, besitzt
das ganze übrige Deutschland überhaupt nicht, versteht ihn deshalb auch nicht,
spricht von Junkertum und dergleichen mehr und weiß gar nicht, wie wertvoll
gerade heute, wo jede Autorität und jede Tradition von einem zügellosen Sub¬
jektivismus angefochten wird, und eine öde Gleichmacherei als das Höchste gilt,
ein Stand ist, in dem Staatsgesinnung und Königstreue seit Generationen
gepflegt und vererbt werden, weiß auch wenig davon, wie diese Magnaten, denen
zum Beispiel in Schlesien fast die Hälfte alles Grund und Bodens gehört, an der
Spitze des wirtschaftlichen Lebens stehn, und wie ihre oft herrlichen Schlösser
einen Abglanz von Kunst und Gesittung auf die ganze Umgebung werfen.
Nun verlangt niemand von den West- und Süddeutschen, daß sie ihre demo¬
kratischen Gesellschaftsformen und ihre volkstümlichere Verwaltung aufgeben,
die ja auch der norddeutsche, wenn er dort reist oder gar lebt, angenehm
empfindet, wohl aber, daß sie die Eigenart des kolonialen Ostens verstehn und
würdigen. Der harte Zwang, unter dem der moderne preußische Staat ent¬
standen ist, hat längst nachgelassen, und vom Absolutismus ist keine Rede
mehr; aber das starke, selbständige Königtum, seine zentralisierte Verwaltung,


Grenzboien IV 1907 25
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[0197] West- und Ostdeutsch preußische Deutschland entweder in seine Grenzen einbezog oder in hündischen Formen sich angliederte. Es vollendete damit das Werk von 1815, indem es aufs neue große Teile des alten deutschen Mutterlandes mit den Kolonial¬ landen vereinigte, aus denen es hervorgegangen war, und es stellte die neue Schöpfung unter die alte Kaiserkrone, an die sich die stolzesten Erinnerungen Süd- und Westdeutschlands, keineswegs des Nordostens knüpften. Schon darin lag ein Ausgleich, eine Annäherung zwischen dem Westen und dem Osten. Aber sie wird weitergehn müssen. Die moderne Entwicklung drängt überall nach freier Betätigung der Persönlichkeit, der Körperschaft, nach volkstümlicher Gestaltung der Verwaltung, nach Ausgleich der Stände. Dieses Streben hat auch in Preußen zu einer durchgreifenden Ausgestaltung der Selbstverwaltung in den Kreisen und Provinzen, nicht nur in den Städten geführt, und es wird sicherlich noch zu andern Bildungen dieser Art und zu größerer Freiheit der persönlichen Bewegung führen; es fühlt sich noch zu sehr eingeengt durch das, was man Bureaukratie nennt, was aber nichts andres ist als die noch in die Gegenwart hineinragende starke monarchische, zentralistische Staatsordnung. Naturgemäß ist diese am stärksten in Preußen, weil sie hier älter und in der ganzen Geschichte des Staats tiefer begründet ist; anderwärts ist sie schwächer, weil jünger, sie stößt deshalb mit dem Selbst¬ gefühl des modernen Staatsbürgers, der nicht mehr gern Untertan heißen will, nicht so hart zusammen, wie zuweilen wohl in Preußen. Zugleich sind hier die aristokratischen Elemente der Gesellschaft und auch im Staatsleben stärker als anderwärts; der Großgrundbesitz, der den Nordosten weithin beherrscht, ist eine Eigentümlichkeit des Koloniallandes und in Österreich noch viel mehr ausgeprägt, und einen militärisch-politischen Adel, wie er sich in Preußen herausgebildet hat und mit der Monarchie aufs engste verwachsen ist, besitzt das ganze übrige Deutschland überhaupt nicht, versteht ihn deshalb auch nicht, spricht von Junkertum und dergleichen mehr und weiß gar nicht, wie wertvoll gerade heute, wo jede Autorität und jede Tradition von einem zügellosen Sub¬ jektivismus angefochten wird, und eine öde Gleichmacherei als das Höchste gilt, ein Stand ist, in dem Staatsgesinnung und Königstreue seit Generationen gepflegt und vererbt werden, weiß auch wenig davon, wie diese Magnaten, denen zum Beispiel in Schlesien fast die Hälfte alles Grund und Bodens gehört, an der Spitze des wirtschaftlichen Lebens stehn, und wie ihre oft herrlichen Schlösser einen Abglanz von Kunst und Gesittung auf die ganze Umgebung werfen. Nun verlangt niemand von den West- und Süddeutschen, daß sie ihre demo¬ kratischen Gesellschaftsformen und ihre volkstümlichere Verwaltung aufgeben, die ja auch der norddeutsche, wenn er dort reist oder gar lebt, angenehm empfindet, wohl aber, daß sie die Eigenart des kolonialen Ostens verstehn und würdigen. Der harte Zwang, unter dem der moderne preußische Staat ent¬ standen ist, hat längst nachgelassen, und vom Absolutismus ist keine Rede mehr; aber das starke, selbständige Königtum, seine zentralisierte Verwaltung, Grenzboien IV 1907 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/197>, abgerufen am 01.07.2024.