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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und die Boisseree

Diese Worte lassen den Freunden alle Gerechtigkeit widerfahren und waren
dazu bestimmt, jede Empfindlichkeit im Keime zu ersticken, aber sie schließen
doch auch Goethe durch das "Wir" aufs engste in die Verfasserschaft mit ein.
Sulpiz schreibt deshalb nicht ohne einige Gereiztheit: "Wie sehr weicht aber
hon der Darstellung des Rochusfestes (die er sehr bewundert) die Ansicht des
Verfassers des polemischen Aufsatzes ab, indem er gegen die Nachahmung
italienischer und deutscher die hellenische als einzigen Kanon aufstellt. Wir
sehen nicht ein, wie er dadurch seine Gegner belehren oder besiegen könne. Aus
der Nachahmung von Kunstwerken wird nie etwas echtes hervorgehn, die Vor¬
bilder mögen sein, welche sie wollen. Das allein seligmachende Heil bleibt ja
immer nur in der freien Nachahmung der Natur zu suchen. Und so muß sich
eben jedes Volk und jede Zeit an dem halten, was ihm, um mit den lieben
Heiden zu reden, die Götter und das Schicksal zugeteilt haben." Wie man
sieht, sind das sehr vernünftige ästhetische Grundsätze, die sich aber mit dem¬
selben Rechte gegen die romantische Überspannung der ausschließlichen Normalität
der altdeutschen Kunst wenden. Denn die große Kluft, die sich zwischen ihr
und dem modernen Empfinden herausgestellt hat, läßt sich mit dem bloßen
Regieren nicht überbrücken. Und was praktisch dabei herauskam, haben die
Bilder der damals freilich hochbewunderten, aber wie bald abstündig gewordnen
Nazarener auf das klarste gezeigt.

Sulpiz führt dann fort: "Wir beklagen allein, daß nicht, wie wir es er¬
wartet, Sie selbst den Aufsatz übernommen haben. Denn nur Sie mit Ihrem
großen Sinne, empfänglich für alles echte, welcher Gestalt es auch erscheine, nur
Sie waren imstande, die Aufgabe zu lösen und zwischen zwei Ultrapunkten die
wahrhaft beseligende Mitte zu zeigen. Wir müssen jetzt doppelt und dreifach
wünschen, daß Sie desto eher die Beschreibung unsrer Sammlung fortsetzen.
Dies wird auf die einfachste und natürlichste Weise Gelegenheit geben, Mi߬
verständnisse zu entfernen."

Goethe schreibt darauf mit der vollen Ruhe des echten Olympiers:
"Wegen ^VX? sind schon manche Reklamationen und Approbationen ausge¬
gangen, alles wird sorgfältig zu Akten geheftet und wird daraus ein ent-
schiedner Blick in die deutsche Kunstwelt, ihr Wollen und Vollbringen hervor¬
gehn, welches ohne diesen kühnen Schritt nicht gewesen wäre. Eine Vermittlung
wird sich um desto eher bilden lassen, als die Schrift, genau besehen, sie schon
enthält, worüber ich das Weitere bis zur Vollendung der Zeit nicht cius-
sprechen mag."

Eine Vermittlung über die tiefsten Fragen der Kunst erfolgte nun freilich
nicht, war auch nicht möglich, da die innersten Grundlagen der Weltanschauung
dabei mit ins Spiel kamen. Das schadete aber der persönlichen Freundschaft
nicht im geringsten. Und wie weit die edle Natur der Boisseree über Nach¬
tragen und Übelnehmen hinaus war, zeigt sehr deutlich ihr Verhalten gegen
Meyer, als er sich kühn genug in die Höhle des Löwen hineinwagte. Er fand


Grenzboten IV 1907 19
Goethe und die Boisseree

Diese Worte lassen den Freunden alle Gerechtigkeit widerfahren und waren
dazu bestimmt, jede Empfindlichkeit im Keime zu ersticken, aber sie schließen
doch auch Goethe durch das „Wir" aufs engste in die Verfasserschaft mit ein.
Sulpiz schreibt deshalb nicht ohne einige Gereiztheit: „Wie sehr weicht aber
hon der Darstellung des Rochusfestes (die er sehr bewundert) die Ansicht des
Verfassers des polemischen Aufsatzes ab, indem er gegen die Nachahmung
italienischer und deutscher die hellenische als einzigen Kanon aufstellt. Wir
sehen nicht ein, wie er dadurch seine Gegner belehren oder besiegen könne. Aus
der Nachahmung von Kunstwerken wird nie etwas echtes hervorgehn, die Vor¬
bilder mögen sein, welche sie wollen. Das allein seligmachende Heil bleibt ja
immer nur in der freien Nachahmung der Natur zu suchen. Und so muß sich
eben jedes Volk und jede Zeit an dem halten, was ihm, um mit den lieben
Heiden zu reden, die Götter und das Schicksal zugeteilt haben." Wie man
sieht, sind das sehr vernünftige ästhetische Grundsätze, die sich aber mit dem¬
selben Rechte gegen die romantische Überspannung der ausschließlichen Normalität
der altdeutschen Kunst wenden. Denn die große Kluft, die sich zwischen ihr
und dem modernen Empfinden herausgestellt hat, läßt sich mit dem bloßen
Regieren nicht überbrücken. Und was praktisch dabei herauskam, haben die
Bilder der damals freilich hochbewunderten, aber wie bald abstündig gewordnen
Nazarener auf das klarste gezeigt.

Sulpiz führt dann fort: „Wir beklagen allein, daß nicht, wie wir es er¬
wartet, Sie selbst den Aufsatz übernommen haben. Denn nur Sie mit Ihrem
großen Sinne, empfänglich für alles echte, welcher Gestalt es auch erscheine, nur
Sie waren imstande, die Aufgabe zu lösen und zwischen zwei Ultrapunkten die
wahrhaft beseligende Mitte zu zeigen. Wir müssen jetzt doppelt und dreifach
wünschen, daß Sie desto eher die Beschreibung unsrer Sammlung fortsetzen.
Dies wird auf die einfachste und natürlichste Weise Gelegenheit geben, Mi߬
verständnisse zu entfernen."

Goethe schreibt darauf mit der vollen Ruhe des echten Olympiers:
„Wegen ^VX? sind schon manche Reklamationen und Approbationen ausge¬
gangen, alles wird sorgfältig zu Akten geheftet und wird daraus ein ent-
schiedner Blick in die deutsche Kunstwelt, ihr Wollen und Vollbringen hervor¬
gehn, welches ohne diesen kühnen Schritt nicht gewesen wäre. Eine Vermittlung
wird sich um desto eher bilden lassen, als die Schrift, genau besehen, sie schon
enthält, worüber ich das Weitere bis zur Vollendung der Zeit nicht cius-
sprechen mag."

Eine Vermittlung über die tiefsten Fragen der Kunst erfolgte nun freilich
nicht, war auch nicht möglich, da die innersten Grundlagen der Weltanschauung
dabei mit ins Spiel kamen. Das schadete aber der persönlichen Freundschaft
nicht im geringsten. Und wie weit die edle Natur der Boisseree über Nach¬
tragen und Übelnehmen hinaus war, zeigt sehr deutlich ihr Verhalten gegen
Meyer, als er sich kühn genug in die Höhle des Löwen hineinwagte. Er fand


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[0153] Goethe und die Boisseree Diese Worte lassen den Freunden alle Gerechtigkeit widerfahren und waren dazu bestimmt, jede Empfindlichkeit im Keime zu ersticken, aber sie schließen doch auch Goethe durch das „Wir" aufs engste in die Verfasserschaft mit ein. Sulpiz schreibt deshalb nicht ohne einige Gereiztheit: „Wie sehr weicht aber hon der Darstellung des Rochusfestes (die er sehr bewundert) die Ansicht des Verfassers des polemischen Aufsatzes ab, indem er gegen die Nachahmung italienischer und deutscher die hellenische als einzigen Kanon aufstellt. Wir sehen nicht ein, wie er dadurch seine Gegner belehren oder besiegen könne. Aus der Nachahmung von Kunstwerken wird nie etwas echtes hervorgehn, die Vor¬ bilder mögen sein, welche sie wollen. Das allein seligmachende Heil bleibt ja immer nur in der freien Nachahmung der Natur zu suchen. Und so muß sich eben jedes Volk und jede Zeit an dem halten, was ihm, um mit den lieben Heiden zu reden, die Götter und das Schicksal zugeteilt haben." Wie man sieht, sind das sehr vernünftige ästhetische Grundsätze, die sich aber mit dem¬ selben Rechte gegen die romantische Überspannung der ausschließlichen Normalität der altdeutschen Kunst wenden. Denn die große Kluft, die sich zwischen ihr und dem modernen Empfinden herausgestellt hat, läßt sich mit dem bloßen Regieren nicht überbrücken. Und was praktisch dabei herauskam, haben die Bilder der damals freilich hochbewunderten, aber wie bald abstündig gewordnen Nazarener auf das klarste gezeigt. Sulpiz führt dann fort: „Wir beklagen allein, daß nicht, wie wir es er¬ wartet, Sie selbst den Aufsatz übernommen haben. Denn nur Sie mit Ihrem großen Sinne, empfänglich für alles echte, welcher Gestalt es auch erscheine, nur Sie waren imstande, die Aufgabe zu lösen und zwischen zwei Ultrapunkten die wahrhaft beseligende Mitte zu zeigen. Wir müssen jetzt doppelt und dreifach wünschen, daß Sie desto eher die Beschreibung unsrer Sammlung fortsetzen. Dies wird auf die einfachste und natürlichste Weise Gelegenheit geben, Mi߬ verständnisse zu entfernen." Goethe schreibt darauf mit der vollen Ruhe des echten Olympiers: „Wegen ^VX? sind schon manche Reklamationen und Approbationen ausge¬ gangen, alles wird sorgfältig zu Akten geheftet und wird daraus ein ent- schiedner Blick in die deutsche Kunstwelt, ihr Wollen und Vollbringen hervor¬ gehn, welches ohne diesen kühnen Schritt nicht gewesen wäre. Eine Vermittlung wird sich um desto eher bilden lassen, als die Schrift, genau besehen, sie schon enthält, worüber ich das Weitere bis zur Vollendung der Zeit nicht cius- sprechen mag." Eine Vermittlung über die tiefsten Fragen der Kunst erfolgte nun freilich nicht, war auch nicht möglich, da die innersten Grundlagen der Weltanschauung dabei mit ins Spiel kamen. Das schadete aber der persönlichen Freundschaft nicht im geringsten. Und wie weit die edle Natur der Boisseree über Nach¬ tragen und Übelnehmen hinaus war, zeigt sehr deutlich ihr Verhalten gegen Meyer, als er sich kühn genug in die Höhle des Löwen hineinwagte. Er fand Grenzboten IV 1907 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/153>, abgerufen am 23.07.2024.