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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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England und Indien

ihm eingeleitete Reform des indischen Heeres sowie die Neugestaltung der ge¬
samten militärischen Territorialorganisation Indiens, die beide ihre Spitze gegen
Rußland kehren, keinen Augenblick unterbrochen werden sollen. Ja man hat
ihm zuliebe sogar im Inclia, Olllvö nicht gezögert, den vorigen Viceroy und
Governorgeneml Lord Curzon fallen zu lassen, als es sich aus Anlaß eines
Kompetenzkonflikts während des vorigen Jahres schließlich darum handelte, ent¬
weder den Höchstkommandierenden oder das bürgerliche Haupt der britischen
Staatsgewalt in Indien zu verlieren, und man ist sogar soweit gegangen, trotz
der bekannten englischen Eifersucht auf jede militärische Suprematie gegenüber
der Zivilverwaltung, die Machtbefugnisse des Lommanclsr-in-OIüek auf Kosten
der nicht militärischen Landesregierung zu erweitern, als Lord Kitchener hiervon
sein ferneres Verbleiben in seiner Stellung abhängig machte -- alles dies
augenscheinlich nur, um aus offenbarer Besorgnis vor Rußlands Zukunftsplünen
die eigne Position nicht zu schwächen.

Über Lord Kitcheners Reorganisation des britisch-indischen Heeres und der
militärischen Landeseinteilung Indiens ist wiederholt bei uns in der militärischen
wie in der nicht militärischen Presse ausführlich berichtet worden, sodaß an
dieser Stelle wohl nur mit wenigen Worten darauf hingewiesen zu werden
braucht. Man erinnere sich nur, daß England das gewaltige indische Kaiser¬
reich von 4809100 Quadratkilometern und fast 300 Millionen Einwohnern mit
nur rund 76000 Mann englischer Söldnertruppen beherrschen und gegen innere
wie äußere Gefahren sichern will -- das heißt also ein etwa acht- bis neunmal
so großes Gebiet wie Deutschland und eine Bevölkerung, die die unsrige um
mehr als das fünffache übertrifft, mit einer Truppenmacht etwa von der Größe
zweier deutschen Armeekorps auf Kriegsfuß. Allerdings besteht neben diesen
englischen Truppen noch die Melos ^.rin^ in der Stärke von rund 154000 Mann,
das heißt ein von englischen Offizieren befestigtes, mit englischem Gelde ge-
worbnes und ausgerüstetes, ganz im Dienste der englischen Krone stehendes
Heer, das sich aus eingebornen Soldaten aller indischen Nationalitäten und
Kasten zusammensetzt, die eingebornen Unteroffizieren und -- für die Ausbildung
und den innern Dienst -- auch eingebornen Offizieren unterstellt sind; diese
können aber nur bis zur Stellung eines Hauptmanns oder eines Rittmeisters
(Subadarmajor und Rissaldarmajor) gelangen, wobei noch zu beachten ist, daß
auch der älteste eingeborne Offizier dem jüngsten englischen Leutnant im
Range nachsteht und dessen Befehlen Folge zu leisten hat. Als dritter Teil
der militärischen Schutzkräfte Indiens sind die von den eingebornen Fürsten für
den Fall eines Krieges der kaiserlichen Regierung zur Verfügung gestellten
17000 bis 18000 Impsiial Servier 'Iroovs zu nennen. Hierdurch ergibt sich
eine Heeresmacht im ganzen von 248000 Mann, die sich im Mobilmachungs¬
falle durch Heranziehung von "Reservisten", das heißt ehemaligen Soldaten der
Meloe ^,rin^, die sich gegen ein bestimmtes Jahrgehalt verpflichtet haben,
einer Wiedereinberufung im Kriegsfalle Folge zu leisten (24000 Mann), sowie


England und Indien

ihm eingeleitete Reform des indischen Heeres sowie die Neugestaltung der ge¬
samten militärischen Territorialorganisation Indiens, die beide ihre Spitze gegen
Rußland kehren, keinen Augenblick unterbrochen werden sollen. Ja man hat
ihm zuliebe sogar im Inclia, Olllvö nicht gezögert, den vorigen Viceroy und
Governorgeneml Lord Curzon fallen zu lassen, als es sich aus Anlaß eines
Kompetenzkonflikts während des vorigen Jahres schließlich darum handelte, ent¬
weder den Höchstkommandierenden oder das bürgerliche Haupt der britischen
Staatsgewalt in Indien zu verlieren, und man ist sogar soweit gegangen, trotz
der bekannten englischen Eifersucht auf jede militärische Suprematie gegenüber
der Zivilverwaltung, die Machtbefugnisse des Lommanclsr-in-OIüek auf Kosten
der nicht militärischen Landesregierung zu erweitern, als Lord Kitchener hiervon
sein ferneres Verbleiben in seiner Stellung abhängig machte — alles dies
augenscheinlich nur, um aus offenbarer Besorgnis vor Rußlands Zukunftsplünen
die eigne Position nicht zu schwächen.

Über Lord Kitcheners Reorganisation des britisch-indischen Heeres und der
militärischen Landeseinteilung Indiens ist wiederholt bei uns in der militärischen
wie in der nicht militärischen Presse ausführlich berichtet worden, sodaß an
dieser Stelle wohl nur mit wenigen Worten darauf hingewiesen zu werden
braucht. Man erinnere sich nur, daß England das gewaltige indische Kaiser¬
reich von 4809100 Quadratkilometern und fast 300 Millionen Einwohnern mit
nur rund 76000 Mann englischer Söldnertruppen beherrschen und gegen innere
wie äußere Gefahren sichern will — das heißt also ein etwa acht- bis neunmal
so großes Gebiet wie Deutschland und eine Bevölkerung, die die unsrige um
mehr als das fünffache übertrifft, mit einer Truppenmacht etwa von der Größe
zweier deutschen Armeekorps auf Kriegsfuß. Allerdings besteht neben diesen
englischen Truppen noch die Melos ^.rin^ in der Stärke von rund 154000 Mann,
das heißt ein von englischen Offizieren befestigtes, mit englischem Gelde ge-
worbnes und ausgerüstetes, ganz im Dienste der englischen Krone stehendes
Heer, das sich aus eingebornen Soldaten aller indischen Nationalitäten und
Kasten zusammensetzt, die eingebornen Unteroffizieren und — für die Ausbildung
und den innern Dienst — auch eingebornen Offizieren unterstellt sind; diese
können aber nur bis zur Stellung eines Hauptmanns oder eines Rittmeisters
(Subadarmajor und Rissaldarmajor) gelangen, wobei noch zu beachten ist, daß
auch der älteste eingeborne Offizier dem jüngsten englischen Leutnant im
Range nachsteht und dessen Befehlen Folge zu leisten hat. Als dritter Teil
der militärischen Schutzkräfte Indiens sind die von den eingebornen Fürsten für
den Fall eines Krieges der kaiserlichen Regierung zur Verfügung gestellten
17000 bis 18000 Impsiial Servier 'Iroovs zu nennen. Hierdurch ergibt sich
eine Heeresmacht im ganzen von 248000 Mann, die sich im Mobilmachungs¬
falle durch Heranziehung von „Reservisten", das heißt ehemaligen Soldaten der
Meloe ^,rin^, die sich gegen ein bestimmtes Jahrgehalt verpflichtet haben,
einer Wiedereinberufung im Kriegsfalle Folge zu leisten (24000 Mann), sowie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/10>, abgerufen am 26.06.2024.