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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst su Preußen

Nur fünf von sämtlichen Juristen (9 vom Hundert der Juristen) hatten als ehe¬
malige Landräte Fühlung mit dem praktischen Leben gehabt, während von den
Verwaltungsbeamten 19 (46,3 vom Hundert der Verwaltungsbeamten) Landräte
gewesen waren. Von den Juristen waren zwei als Assessoren in die Zentral¬
behörde eingetreten, einer davon ist jetzt Unterstaatssekretär!*) Außer diesen
beiden Assessoren waren noch weitere fünf Juristen unmittelbar aus der Justiz,
also nicht durch eine Stellung in der Verwaltung in die Zentralbehörde gekommen;
einer von ihnen ist jetzt Dirigent einer gerade praktisch sehr schwierigen Ver¬
waltungsabteilung. Um diese Zahlen richtig zu verstehn, muß man überall fest¬
halten, daß wohl keiner dieser Herren ausschließlich als Justitiar tätig war, daß
aber die meisten nur in Verwaltungssachen arbeiteten. Nur ein paar Beispiele aus
dem Gebiet, das uns hier beschäftigt. Bis vor wenigen Jahren war fast ein halbes
Menschenalter ein Jurist Personalienrat im Ministerium des Innern. Ein
andrer Jurist war Kommissar des Finanzministeriums für die Verhandlungen
über den Entwurf von 1903. Da er unmittelbar aus dem Kammergericht in
das Ministerium gekommen war, so kann er nicht einmal die bescheidensten
Vorstellungen von der praktischen Verwaltung gehabt haben. Das wird ihn
aber nicht gehindert haben, maßgebend über die Ausbildung der zukünftigen
Verwaltungsbeamten zu urteilen. Auch bei den Verhandlungen über den Ent¬
wurf von 1905 war der eine der beiden Vertreter des Finanzministeriums ein
Jurist, der vor seinem Übertritt in das Ministerium ganze zwei und ein halbes
Jahr an einer Regierung und an einem Oberpräsidium gearbeitet hatte, das
heißt, von der Verwaltung höchstens einen kleinen Ausschnitt der Verwaltung
am grünen Tisch kennen gelernt hatte. Mit andern Worten, nicht einmal
über die Ausbildung unsers Nachwuchses durften wir unter uns beraten und
beschließen! Ist das nicht hahnebüchen?

Das Verletzendste aber für die Verwaltungsbeamten war, daß alle diese
Bevorzugungen einer Beamtenklasse zufielen, denen die berufensten Vertreter
der Regierung selbst bei zahlreichen Gelegenheiten feierlichst bescheinigt hatten,
daß sie für die Verwaltung gänzlich ungeeignet und unbrauchbar sei.

Ich meine, wer alles dies ehrlich und vorurteilsfrei betrachtet, wird sich
nicht wundern, daß in der Tat gerade unter den tüchtigem Verwaltungsbeamten
in den letzten Jahren eine Niedergeschlagenheit und eine Hoffnungslosigkeit
herrschten, die ihre Dienstfreudigkeit und damit Leistungsfähigkeit unmöglich
günstig beeinflussen konnten. Treitschke verlangt vom Staatsmann neben der
Kraft des Willens einen massiven Ehrgeiz, eine leidenschaftliche Freude am
Erfolg. An einer andern Stelle weist er darauf hin, daß nach einer alten
Erfahrung mit dem Stande, dem man den höchsten Ehrgeiz nehme, immer



") Überhaupt waren als Assessoren in die Zentralbehörden gekommen 16 (17 vom Hundert
der Gesamtzahl), nämlich 12 Räte, 2 Ministerialdirektoren und 2 Unterstaatssekretäre. Also
vier -- fast ein Viertel -- der leitenden Beamten der Zentralbehörden hatten ihre Laufbahn
am grünen Tisch, fern vom praktischen Leben, zurückgelegt.
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst su Preußen

Nur fünf von sämtlichen Juristen (9 vom Hundert der Juristen) hatten als ehe¬
malige Landräte Fühlung mit dem praktischen Leben gehabt, während von den
Verwaltungsbeamten 19 (46,3 vom Hundert der Verwaltungsbeamten) Landräte
gewesen waren. Von den Juristen waren zwei als Assessoren in die Zentral¬
behörde eingetreten, einer davon ist jetzt Unterstaatssekretär!*) Außer diesen
beiden Assessoren waren noch weitere fünf Juristen unmittelbar aus der Justiz,
also nicht durch eine Stellung in der Verwaltung in die Zentralbehörde gekommen;
einer von ihnen ist jetzt Dirigent einer gerade praktisch sehr schwierigen Ver¬
waltungsabteilung. Um diese Zahlen richtig zu verstehn, muß man überall fest¬
halten, daß wohl keiner dieser Herren ausschließlich als Justitiar tätig war, daß
aber die meisten nur in Verwaltungssachen arbeiteten. Nur ein paar Beispiele aus
dem Gebiet, das uns hier beschäftigt. Bis vor wenigen Jahren war fast ein halbes
Menschenalter ein Jurist Personalienrat im Ministerium des Innern. Ein
andrer Jurist war Kommissar des Finanzministeriums für die Verhandlungen
über den Entwurf von 1903. Da er unmittelbar aus dem Kammergericht in
das Ministerium gekommen war, so kann er nicht einmal die bescheidensten
Vorstellungen von der praktischen Verwaltung gehabt haben. Das wird ihn
aber nicht gehindert haben, maßgebend über die Ausbildung der zukünftigen
Verwaltungsbeamten zu urteilen. Auch bei den Verhandlungen über den Ent¬
wurf von 1905 war der eine der beiden Vertreter des Finanzministeriums ein
Jurist, der vor seinem Übertritt in das Ministerium ganze zwei und ein halbes
Jahr an einer Regierung und an einem Oberpräsidium gearbeitet hatte, das
heißt, von der Verwaltung höchstens einen kleinen Ausschnitt der Verwaltung
am grünen Tisch kennen gelernt hatte. Mit andern Worten, nicht einmal
über die Ausbildung unsers Nachwuchses durften wir unter uns beraten und
beschließen! Ist das nicht hahnebüchen?

Das Verletzendste aber für die Verwaltungsbeamten war, daß alle diese
Bevorzugungen einer Beamtenklasse zufielen, denen die berufensten Vertreter
der Regierung selbst bei zahlreichen Gelegenheiten feierlichst bescheinigt hatten,
daß sie für die Verwaltung gänzlich ungeeignet und unbrauchbar sei.

Ich meine, wer alles dies ehrlich und vorurteilsfrei betrachtet, wird sich
nicht wundern, daß in der Tat gerade unter den tüchtigem Verwaltungsbeamten
in den letzten Jahren eine Niedergeschlagenheit und eine Hoffnungslosigkeit
herrschten, die ihre Dienstfreudigkeit und damit Leistungsfähigkeit unmöglich
günstig beeinflussen konnten. Treitschke verlangt vom Staatsmann neben der
Kraft des Willens einen massiven Ehrgeiz, eine leidenschaftliche Freude am
Erfolg. An einer andern Stelle weist er darauf hin, daß nach einer alten
Erfahrung mit dem Stande, dem man den höchsten Ehrgeiz nehme, immer



") Überhaupt waren als Assessoren in die Zentralbehörden gekommen 16 (17 vom Hundert
der Gesamtzahl), nämlich 12 Räte, 2 Ministerialdirektoren und 2 Unterstaatssekretäre. Also
vier — fast ein Viertel — der leitenden Beamten der Zentralbehörden hatten ihre Laufbahn
am grünen Tisch, fern vom praktischen Leben, zurückgelegt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/76>, abgerufen am 12.12.2024.