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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Franziskus von Assisi

und in ihrem Schatten blühen zahllose Alpenveilchen. Das war das letzte,
eigentliche Heiligtum des Franziskus. Dorthin flüchtete er sich immer wieder,
um allein zu sein mit sich selber und um dem Geheimnis, das auf dem Grunde
seiner Seele wohnte, zu lauschen. Dn schaute er im Glanz der Abendsonne die
Dörfer und Städte in der Tiefe, in denen er die Herzen der Menschen um¬
worben hatte. Und dort oben hat er den keuschen, zarten Liebesbund mit der
hehren, heiligen Natur wenn nicht geschlossen, so doch befestigt. Dort oben, so
erzählt die Sage, kamen die Vögel herbei, um ihren vertrauten Freund mit
ihren schönsten Liedern zu begrüßen. Und dort oben war Franziskus niemals
allein. Mit der Sonne und mit den Blumen, mit den Vögeln und mit den
Lüften redete er, und sie mit ihm. Brüder und Schwestern waren sie ihm alle¬
zeit, Kinder wie. er der einen großen Allmutter Erde. Was er dort oben und
auch sonst erlebte, wenn er mit seinen Brüdern und Schwestern in Gottes
großer Einsamkeit die Gedanken tauschte, das hat er zusammengefaßt in seinem
Sonnengescmge:

Höchster, Allmächtiger, gütiger Herr!
Dein ist der Preis, der Nuhm, die Ehre und jegliche Segnung!
Dir, o Höchster, gebühren sie,
Und kein Mensch ist würdig, daß er dich nenne!

Das ist aus diesem Sonnen- und Sterbeliede die erste Strophe, und es
schließt:

Sind diese letzten Worte nicht wie ein Spiegel seines Lebens? Ein Loben
und Preisen war es ohne Ende und ein Dienst seines Gottes in großer
Demut!

Stellen wir nun zum Schlüsse die Frage nach der weltgeschichtlichen Be¬
deutung dieses wundersamen Mannes, so haben wir, abgesehen von der Stütze,
die er der wankenden Kirche geschaffen hat, zwei Punkte ins Auge zu fassen,
die freilich auch eng miteinander zusammenhängen.

Erstens: "In Franz von Assisi gipfelt eine große Bewegung der abend¬
ländischen christlichen Welt, eine Bewegung, die nicht auf das religiöse Gebiet
beschränkt, sondern universell im eigentlichsten Sinne die vorbereitende und treibende
Kraft der modernen Kultur geworden ist: die Bewegung der Humanität. Ihr
Inhalt ist die Befreiung des Individuums von den Fesseln geistiger Knecht¬
schaft." Gewiß, Franz war und blieb ein gehorsamer Sohn der römischen
Kirche! Gewiß, Franz ist der vornehmsten einer unter ihren Heiligen! Dennoch
aber: es fehlt so vieles an ihm, was spezifisch katholisch ist! Vor allem weist
die gebieterische Art, mit der sich in ihm die Persönlichkeit in der Herrschaft
des individuellen Gefühls auf sich selber stellte, im letzten Grunde über die
Schranken des katholischen Glaubens, der katholischen Geistes- und Gewissens¬
knechtung hinaus. Sie weist vielmehr in evangelische Bahnen hinein, auf denen


Grenzboten III 1907 89
Franziskus von Assisi

und in ihrem Schatten blühen zahllose Alpenveilchen. Das war das letzte,
eigentliche Heiligtum des Franziskus. Dorthin flüchtete er sich immer wieder,
um allein zu sein mit sich selber und um dem Geheimnis, das auf dem Grunde
seiner Seele wohnte, zu lauschen. Dn schaute er im Glanz der Abendsonne die
Dörfer und Städte in der Tiefe, in denen er die Herzen der Menschen um¬
worben hatte. Und dort oben hat er den keuschen, zarten Liebesbund mit der
hehren, heiligen Natur wenn nicht geschlossen, so doch befestigt. Dort oben, so
erzählt die Sage, kamen die Vögel herbei, um ihren vertrauten Freund mit
ihren schönsten Liedern zu begrüßen. Und dort oben war Franziskus niemals
allein. Mit der Sonne und mit den Blumen, mit den Vögeln und mit den
Lüften redete er, und sie mit ihm. Brüder und Schwestern waren sie ihm alle¬
zeit, Kinder wie. er der einen großen Allmutter Erde. Was er dort oben und
auch sonst erlebte, wenn er mit seinen Brüdern und Schwestern in Gottes
großer Einsamkeit die Gedanken tauschte, das hat er zusammengefaßt in seinem
Sonnengescmge:

Höchster, Allmächtiger, gütiger Herr!
Dein ist der Preis, der Nuhm, die Ehre und jegliche Segnung!
Dir, o Höchster, gebühren sie,
Und kein Mensch ist würdig, daß er dich nenne!

Das ist aus diesem Sonnen- und Sterbeliede die erste Strophe, und es
schließt:

Sind diese letzten Worte nicht wie ein Spiegel seines Lebens? Ein Loben
und Preisen war es ohne Ende und ein Dienst seines Gottes in großer
Demut!

Stellen wir nun zum Schlüsse die Frage nach der weltgeschichtlichen Be¬
deutung dieses wundersamen Mannes, so haben wir, abgesehen von der Stütze,
die er der wankenden Kirche geschaffen hat, zwei Punkte ins Auge zu fassen,
die freilich auch eng miteinander zusammenhängen.

Erstens: „In Franz von Assisi gipfelt eine große Bewegung der abend¬
ländischen christlichen Welt, eine Bewegung, die nicht auf das religiöse Gebiet
beschränkt, sondern universell im eigentlichsten Sinne die vorbereitende und treibende
Kraft der modernen Kultur geworden ist: die Bewegung der Humanität. Ihr
Inhalt ist die Befreiung des Individuums von den Fesseln geistiger Knecht¬
schaft." Gewiß, Franz war und blieb ein gehorsamer Sohn der römischen
Kirche! Gewiß, Franz ist der vornehmsten einer unter ihren Heiligen! Dennoch
aber: es fehlt so vieles an ihm, was spezifisch katholisch ist! Vor allem weist
die gebieterische Art, mit der sich in ihm die Persönlichkeit in der Herrschaft
des individuellen Gefühls auf sich selber stellte, im letzten Grunde über die
Schranken des katholischen Glaubens, der katholischen Geistes- und Gewissens¬
knechtung hinaus. Sie weist vielmehr in evangelische Bahnen hinein, auf denen


Grenzboten III 1907 89
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[0685] Franziskus von Assisi und in ihrem Schatten blühen zahllose Alpenveilchen. Das war das letzte, eigentliche Heiligtum des Franziskus. Dorthin flüchtete er sich immer wieder, um allein zu sein mit sich selber und um dem Geheimnis, das auf dem Grunde seiner Seele wohnte, zu lauschen. Dn schaute er im Glanz der Abendsonne die Dörfer und Städte in der Tiefe, in denen er die Herzen der Menschen um¬ worben hatte. Und dort oben hat er den keuschen, zarten Liebesbund mit der hehren, heiligen Natur wenn nicht geschlossen, so doch befestigt. Dort oben, so erzählt die Sage, kamen die Vögel herbei, um ihren vertrauten Freund mit ihren schönsten Liedern zu begrüßen. Und dort oben war Franziskus niemals allein. Mit der Sonne und mit den Blumen, mit den Vögeln und mit den Lüften redete er, und sie mit ihm. Brüder und Schwestern waren sie ihm alle¬ zeit, Kinder wie. er der einen großen Allmutter Erde. Was er dort oben und auch sonst erlebte, wenn er mit seinen Brüdern und Schwestern in Gottes großer Einsamkeit die Gedanken tauschte, das hat er zusammengefaßt in seinem Sonnengescmge: Höchster, Allmächtiger, gütiger Herr! Dein ist der Preis, der Nuhm, die Ehre und jegliche Segnung! Dir, o Höchster, gebühren sie, Und kein Mensch ist würdig, daß er dich nenne! Das ist aus diesem Sonnen- und Sterbeliede die erste Strophe, und es schließt: Sind diese letzten Worte nicht wie ein Spiegel seines Lebens? Ein Loben und Preisen war es ohne Ende und ein Dienst seines Gottes in großer Demut! Stellen wir nun zum Schlüsse die Frage nach der weltgeschichtlichen Be¬ deutung dieses wundersamen Mannes, so haben wir, abgesehen von der Stütze, die er der wankenden Kirche geschaffen hat, zwei Punkte ins Auge zu fassen, die freilich auch eng miteinander zusammenhängen. Erstens: „In Franz von Assisi gipfelt eine große Bewegung der abend¬ ländischen christlichen Welt, eine Bewegung, die nicht auf das religiöse Gebiet beschränkt, sondern universell im eigentlichsten Sinne die vorbereitende und treibende Kraft der modernen Kultur geworden ist: die Bewegung der Humanität. Ihr Inhalt ist die Befreiung des Individuums von den Fesseln geistiger Knecht¬ schaft." Gewiß, Franz war und blieb ein gehorsamer Sohn der römischen Kirche! Gewiß, Franz ist der vornehmsten einer unter ihren Heiligen! Dennoch aber: es fehlt so vieles an ihm, was spezifisch katholisch ist! Vor allem weist die gebieterische Art, mit der sich in ihm die Persönlichkeit in der Herrschaft des individuellen Gefühls auf sich selber stellte, im letzten Grunde über die Schranken des katholischen Glaubens, der katholischen Geistes- und Gewissens¬ knechtung hinaus. Sie weist vielmehr in evangelische Bahnen hinein, auf denen Grenzboten III 1907 89

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/685>, abgerufen am 01.09.2024.