Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Franziskus von Assise Aber einen Namen für dieses Gefühl für das Unnennbare hat er doch gehabt: "Da löst sich alles Denken, alles Fühlen, alles Dichten in einen einzigen Wir haben den Heiligen im Geiste auf den Berg Alverno begleitet. Etliche Franziskus von Assise Aber einen Namen für dieses Gefühl für das Unnennbare hat er doch gehabt: „Da löst sich alles Denken, alles Fühlen, alles Dichten in einen einzigen Wir haben den Heiligen im Geiste auf den Berg Alverno begleitet. Etliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0684" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303386"/> <fw type="header" place="top"> Franziskus von Assise</fw><lb/> <p xml:id="ID_3326" prev="#ID_3325"> Aber einen Namen für dieses Gefühl für das Unnennbare hat er doch gehabt:<lb/> Liebe zu Christus hat er es genannt. Und dieses stürmische, glutvolle Vorwärts¬<lb/> dringen — ist es ein Wunder, daß ihm das Unsichtbare sichtbar, das Geistige<lb/> körperlich zu werden scheint? Da denke ich an seine Weihnachtsfeier zu Greccio.<lb/> In einem Kirchlein mitten im Walde wollte er sie begehen. Ochse, Esel und Krippe<lb/> hat er dafür gerüstet, und will sich nun hingeben dem süßen Namen, den er kaum<lb/> auf seine Lippen zu nehmen wagt. Aber siehe, so berichtet über ihn die Legende, da<lb/> er vor der Krippe kniet, trägt er auf seinen Armen das Jesuskindlein, das für ihn<lb/> aufs neue Fleisch und Blut angenommen hat. Und dann denke ich vor allen Dingen<lb/> an jene Tage auf dem Berg Alverno, da er in glühender Liebe der Passion<lb/> seines Herrn gedachte, im Gebete verharrend Tag und Nacht, die Seele erfüllt<lb/> von unaussprechlicher Sehnsucht nach der ewigen Heimat. Wie dann dort oben<lb/> die Strahlen der aufgehenden Sonne dem halb erstarrten Körper neues Leben<lb/> bringen, unterscheidet er plötzlich im Lichtgefnnkel eine seltsame Gestalt, einen<lb/> Seraph, der am Kreuze hängt. Als die Vision entschwindet, fühlt er, wie sich<lb/> in das Entzücken des Augenblicks durchbohrende Schmerzen mischen. Er sucht<lb/> nach dem Grnnde — und siehe, da zeigen Hände und Füße die Nägelmale<lb/> des Gekreuzigten. Mag das Zeugnis von diesen Nügelmalen allein zurück¬<lb/> gehen auf Elias von Cortona, den listigen Ordensmeister, mag sich alles auf¬<lb/> lösen in eine Legende — find diese Legenden nicht Zeugnis von dem, was man<lb/> als das Charakteristische an ihm empfunden hatte, ein Zeugnis von der vor¬<lb/> wärtsstürmenden, gottinnigen, weltentrückten, mystischen Liebe, von der man<lb/> wußte, sie füllte das ganze Herz des Heiligen? Und diese unaussprechliche<lb/> Liebesglut erbt sich weiter. Da möchte ich nur erinnern an die Dichtergestalt,<lb/> die später ans den Reihen der Franziskaner erstanden ist, an Jacopo da Todi:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_21" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_3327"> „Da löst sich alles Denken, alles Fühlen, alles Dichten in einen einzigen<lb/> Schrei der Liebe auf. Man sagt und glaubt, so berichtet über diesen Dichter<lb/> ein Manuskript, daß er vor Liebe zu Christus gestorben, und daß aus allzu<lb/> großer Liebe sein Herz zersprungen sei." Er aber war ein echter Geisteserbe<lb/> des heiligen Franz!</p><lb/> <p xml:id="ID_3328" next="#ID_3329"> Wir haben den Heiligen im Geiste auf den Berg Alverno begleitet. Etliche<lb/> Meilen nordwestlich von Assisi erhebt dieser einsam aus den Höhenlinien der<lb/> Apenninen sein ehrwürdiges Haupt. Steil füllt er ab nach allen Seiten. Der<lb/> Mensch nur und das Saumtier vermögen auf felsigem Pfade zu seiner Höhe<lb/> emporzuklimmen. Von dort grüßen Fichten und Buchen in die Lande zu seinen<lb/> Füßen weit hinaus. In ihren Zweigen nisten die Vögel und singen ihre Lieder,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0684]
Franziskus von Assise
Aber einen Namen für dieses Gefühl für das Unnennbare hat er doch gehabt:
Liebe zu Christus hat er es genannt. Und dieses stürmische, glutvolle Vorwärts¬
dringen — ist es ein Wunder, daß ihm das Unsichtbare sichtbar, das Geistige
körperlich zu werden scheint? Da denke ich an seine Weihnachtsfeier zu Greccio.
In einem Kirchlein mitten im Walde wollte er sie begehen. Ochse, Esel und Krippe
hat er dafür gerüstet, und will sich nun hingeben dem süßen Namen, den er kaum
auf seine Lippen zu nehmen wagt. Aber siehe, so berichtet über ihn die Legende, da
er vor der Krippe kniet, trägt er auf seinen Armen das Jesuskindlein, das für ihn
aufs neue Fleisch und Blut angenommen hat. Und dann denke ich vor allen Dingen
an jene Tage auf dem Berg Alverno, da er in glühender Liebe der Passion
seines Herrn gedachte, im Gebete verharrend Tag und Nacht, die Seele erfüllt
von unaussprechlicher Sehnsucht nach der ewigen Heimat. Wie dann dort oben
die Strahlen der aufgehenden Sonne dem halb erstarrten Körper neues Leben
bringen, unterscheidet er plötzlich im Lichtgefnnkel eine seltsame Gestalt, einen
Seraph, der am Kreuze hängt. Als die Vision entschwindet, fühlt er, wie sich
in das Entzücken des Augenblicks durchbohrende Schmerzen mischen. Er sucht
nach dem Grnnde — und siehe, da zeigen Hände und Füße die Nägelmale
des Gekreuzigten. Mag das Zeugnis von diesen Nügelmalen allein zurück¬
gehen auf Elias von Cortona, den listigen Ordensmeister, mag sich alles auf¬
lösen in eine Legende — find diese Legenden nicht Zeugnis von dem, was man
als das Charakteristische an ihm empfunden hatte, ein Zeugnis von der vor¬
wärtsstürmenden, gottinnigen, weltentrückten, mystischen Liebe, von der man
wußte, sie füllte das ganze Herz des Heiligen? Und diese unaussprechliche
Liebesglut erbt sich weiter. Da möchte ich nur erinnern an die Dichtergestalt,
die später ans den Reihen der Franziskaner erstanden ist, an Jacopo da Todi:
„Da löst sich alles Denken, alles Fühlen, alles Dichten in einen einzigen
Schrei der Liebe auf. Man sagt und glaubt, so berichtet über diesen Dichter
ein Manuskript, daß er vor Liebe zu Christus gestorben, und daß aus allzu
großer Liebe sein Herz zersprungen sei." Er aber war ein echter Geisteserbe
des heiligen Franz!
Wir haben den Heiligen im Geiste auf den Berg Alverno begleitet. Etliche
Meilen nordwestlich von Assisi erhebt dieser einsam aus den Höhenlinien der
Apenninen sein ehrwürdiges Haupt. Steil füllt er ab nach allen Seiten. Der
Mensch nur und das Saumtier vermögen auf felsigem Pfade zu seiner Höhe
emporzuklimmen. Von dort grüßen Fichten und Buchen in die Lande zu seinen
Füßen weit hinaus. In ihren Zweigen nisten die Vögel und singen ihre Lieder,
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