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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aufgaben der innern Politik

gegen das Polentum in den von diesem besonders bedrohten Provinzen Posen
und Westpreußen den preußischen Staat gezwungen hat, die Ansiedlung von
deutschen Bauern nach Möglichkeit zu fördern, und wieviel in diesen Provinzen
schon geleistet worden ist.

Aber diese aus nationalen Gründen begonnene Arbeit ist eben auf einen
Teil des Ostens beschränkt, für die andern östlichen Provinzen, für Schlesien,
die Mark, für Pommern und für das unter der Entvölkerung in besondern:
Maße leidende Ostpreußen ist bisher wenig geschehen. Und doch muß hier ein¬
gegriffen werden. Wer die Verhältnisse in Ostpreußen kennt, der weiß, daß
es höchste Zeit ist. Die Pflicht des Staates gegenüber den östlichen Provinzen
ist um so größer, als die ungünstigen Agrarverhältnisse, der Rückgang des
Bauernstandes im Osten zum guten Teile auf die Hardenbergische Gesetzgebung
zurückzuführen sind. Es ist unmöglich, hier auf die Einzelheiten einzugehn,
erwähnt sei nur, daß infolge dieser Gesetzgebung, die in dem Streben nach
Befreiung des Verkehrs und des Besitzes durchaus nicht nur gutes geschaffen,
sondern auch viele schwere Fehler gemacht hat, in den östlichen Provinzen im
Wege der Abtretung an den Großgrundbesitz fast 800000 Morgen und im
freien Verkehr über 400000 Morgen Land dem bäuerlichen Besitz verloren
gegangen, daß über 5000 selbständige Bauernwirtschaften eingegangen sind.
Solche Verluste machen sich fühlbar und sind nur durch angestrengte systematische
Arbeit wieder auszugleichen. Es muß also kolonisiert werden im Sinne Friedrich
Wilhelms des Ersten und Friedrichs des Großen. Das hat kürzlich auch der
neue preußische Landwirtschaftsminister Herr von Arnim anerkannt, indem er am
6. März 1907 vor dem Landesökonomiekollegium sagte: "Wir müssen uns darüber
klar werden, daß, wenn wir nicht der Abnahme der landwirtschaftlichen Be¬
völkerung steuern, keine Besserung der Arbeiterverhältnisse möglich ist. Ein
Mittel hierfür ist die Schaffung einer dichtern Bevölkerung. Ich gebe zu, daß
auf diesem Wege keine schnelle Abhilfe der Notlage zu erwarten ist, andrerseits
aber steht fest, daß tatsächlich ohne ein konsequentes Vorgehen mit den Arbeiter¬
ansiedlungen kein Erfolg zu erreichen ist. Ich mache Sie auf die Gegenden
aufmerksam, in denen schon früher Ansiedlungen gegründet worden sind, abgesehen
von den Erfolgen in England, Dänemark und Schweden. So ist der Warthe¬
bruch, der damals eine Wüste war, unter Friedrich dem Großen mit einer
dichten Bevölkerung besetzt worden, und das hat sich noch bis auf den heutigen
Tag bewährt. Ähnliche Wirkungen haben wir mit den Ansiedlungen in West¬
preußen gemacht. Diese Beispiele zeigen, daß ans diesem Wege etwas zu machen
ist. Wenn wir jahrzehntelang konsequent vorgehn, kleine Stellen auf dem
Lande zu schaffen und mit Arbeitern zu besetzen, dann müssen wir einen Erfolg
haben. Ein andres Mittel, die ländliche Bevölkerung zu vermehren, gibt es
nicht, wenigstens kein Mittel von so grundlegender Bedeutung." Leider hat
man in den Kreisen der östlichen Großgrundbesitzer bisher nur wenig Ver¬
ständnis dafür, daß nur durch eine konsequente Ansiedlungspolitik zugleich dem


Aufgaben der innern Politik

gegen das Polentum in den von diesem besonders bedrohten Provinzen Posen
und Westpreußen den preußischen Staat gezwungen hat, die Ansiedlung von
deutschen Bauern nach Möglichkeit zu fördern, und wieviel in diesen Provinzen
schon geleistet worden ist.

Aber diese aus nationalen Gründen begonnene Arbeit ist eben auf einen
Teil des Ostens beschränkt, für die andern östlichen Provinzen, für Schlesien,
die Mark, für Pommern und für das unter der Entvölkerung in besondern:
Maße leidende Ostpreußen ist bisher wenig geschehen. Und doch muß hier ein¬
gegriffen werden. Wer die Verhältnisse in Ostpreußen kennt, der weiß, daß
es höchste Zeit ist. Die Pflicht des Staates gegenüber den östlichen Provinzen
ist um so größer, als die ungünstigen Agrarverhältnisse, der Rückgang des
Bauernstandes im Osten zum guten Teile auf die Hardenbergische Gesetzgebung
zurückzuführen sind. Es ist unmöglich, hier auf die Einzelheiten einzugehn,
erwähnt sei nur, daß infolge dieser Gesetzgebung, die in dem Streben nach
Befreiung des Verkehrs und des Besitzes durchaus nicht nur gutes geschaffen,
sondern auch viele schwere Fehler gemacht hat, in den östlichen Provinzen im
Wege der Abtretung an den Großgrundbesitz fast 800000 Morgen und im
freien Verkehr über 400000 Morgen Land dem bäuerlichen Besitz verloren
gegangen, daß über 5000 selbständige Bauernwirtschaften eingegangen sind.
Solche Verluste machen sich fühlbar und sind nur durch angestrengte systematische
Arbeit wieder auszugleichen. Es muß also kolonisiert werden im Sinne Friedrich
Wilhelms des Ersten und Friedrichs des Großen. Das hat kürzlich auch der
neue preußische Landwirtschaftsminister Herr von Arnim anerkannt, indem er am
6. März 1907 vor dem Landesökonomiekollegium sagte: „Wir müssen uns darüber
klar werden, daß, wenn wir nicht der Abnahme der landwirtschaftlichen Be¬
völkerung steuern, keine Besserung der Arbeiterverhältnisse möglich ist. Ein
Mittel hierfür ist die Schaffung einer dichtern Bevölkerung. Ich gebe zu, daß
auf diesem Wege keine schnelle Abhilfe der Notlage zu erwarten ist, andrerseits
aber steht fest, daß tatsächlich ohne ein konsequentes Vorgehen mit den Arbeiter¬
ansiedlungen kein Erfolg zu erreichen ist. Ich mache Sie auf die Gegenden
aufmerksam, in denen schon früher Ansiedlungen gegründet worden sind, abgesehen
von den Erfolgen in England, Dänemark und Schweden. So ist der Warthe¬
bruch, der damals eine Wüste war, unter Friedrich dem Großen mit einer
dichten Bevölkerung besetzt worden, und das hat sich noch bis auf den heutigen
Tag bewährt. Ähnliche Wirkungen haben wir mit den Ansiedlungen in West¬
preußen gemacht. Diese Beispiele zeigen, daß ans diesem Wege etwas zu machen
ist. Wenn wir jahrzehntelang konsequent vorgehn, kleine Stellen auf dem
Lande zu schaffen und mit Arbeitern zu besetzen, dann müssen wir einen Erfolg
haben. Ein andres Mittel, die ländliche Bevölkerung zu vermehren, gibt es
nicht, wenigstens kein Mittel von so grundlegender Bedeutung." Leider hat
man in den Kreisen der östlichen Großgrundbesitzer bisher nur wenig Ver¬
ständnis dafür, daß nur durch eine konsequente Ansiedlungspolitik zugleich dem


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[0670] Aufgaben der innern Politik gegen das Polentum in den von diesem besonders bedrohten Provinzen Posen und Westpreußen den preußischen Staat gezwungen hat, die Ansiedlung von deutschen Bauern nach Möglichkeit zu fördern, und wieviel in diesen Provinzen schon geleistet worden ist. Aber diese aus nationalen Gründen begonnene Arbeit ist eben auf einen Teil des Ostens beschränkt, für die andern östlichen Provinzen, für Schlesien, die Mark, für Pommern und für das unter der Entvölkerung in besondern: Maße leidende Ostpreußen ist bisher wenig geschehen. Und doch muß hier ein¬ gegriffen werden. Wer die Verhältnisse in Ostpreußen kennt, der weiß, daß es höchste Zeit ist. Die Pflicht des Staates gegenüber den östlichen Provinzen ist um so größer, als die ungünstigen Agrarverhältnisse, der Rückgang des Bauernstandes im Osten zum guten Teile auf die Hardenbergische Gesetzgebung zurückzuführen sind. Es ist unmöglich, hier auf die Einzelheiten einzugehn, erwähnt sei nur, daß infolge dieser Gesetzgebung, die in dem Streben nach Befreiung des Verkehrs und des Besitzes durchaus nicht nur gutes geschaffen, sondern auch viele schwere Fehler gemacht hat, in den östlichen Provinzen im Wege der Abtretung an den Großgrundbesitz fast 800000 Morgen und im freien Verkehr über 400000 Morgen Land dem bäuerlichen Besitz verloren gegangen, daß über 5000 selbständige Bauernwirtschaften eingegangen sind. Solche Verluste machen sich fühlbar und sind nur durch angestrengte systematische Arbeit wieder auszugleichen. Es muß also kolonisiert werden im Sinne Friedrich Wilhelms des Ersten und Friedrichs des Großen. Das hat kürzlich auch der neue preußische Landwirtschaftsminister Herr von Arnim anerkannt, indem er am 6. März 1907 vor dem Landesökonomiekollegium sagte: „Wir müssen uns darüber klar werden, daß, wenn wir nicht der Abnahme der landwirtschaftlichen Be¬ völkerung steuern, keine Besserung der Arbeiterverhältnisse möglich ist. Ein Mittel hierfür ist die Schaffung einer dichtern Bevölkerung. Ich gebe zu, daß auf diesem Wege keine schnelle Abhilfe der Notlage zu erwarten ist, andrerseits aber steht fest, daß tatsächlich ohne ein konsequentes Vorgehen mit den Arbeiter¬ ansiedlungen kein Erfolg zu erreichen ist. Ich mache Sie auf die Gegenden aufmerksam, in denen schon früher Ansiedlungen gegründet worden sind, abgesehen von den Erfolgen in England, Dänemark und Schweden. So ist der Warthe¬ bruch, der damals eine Wüste war, unter Friedrich dem Großen mit einer dichten Bevölkerung besetzt worden, und das hat sich noch bis auf den heutigen Tag bewährt. Ähnliche Wirkungen haben wir mit den Ansiedlungen in West¬ preußen gemacht. Diese Beispiele zeigen, daß ans diesem Wege etwas zu machen ist. Wenn wir jahrzehntelang konsequent vorgehn, kleine Stellen auf dem Lande zu schaffen und mit Arbeitern zu besetzen, dann müssen wir einen Erfolg haben. Ein andres Mittel, die ländliche Bevölkerung zu vermehren, gibt es nicht, wenigstens kein Mittel von so grundlegender Bedeutung." Leider hat man in den Kreisen der östlichen Großgrundbesitzer bisher nur wenig Ver¬ ständnis dafür, daß nur durch eine konsequente Ansiedlungspolitik zugleich dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/670>, abgerufen am 12.12.2024.