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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dom unter dem Panzer Englands

der aufgelösten Landliga die Agitation übernahm. Sie suchte alles zu ver¬
hindern, was zu einer friedlichen Gestaltung der Dinge führen konnte. Die
2^ Prozent Hypothekenzinsen waren doch immer noch eine Rente, sie aber
wollte keine Rente. Der Burenkrieg gab dem Jrentum Gelegenheit, seinen Haß
gegen die Engländer stürmisch zu entfalten, sogar im Parlament wurden
Demonstrationen zugunsten der Buren gemacht. Dagegen konnten den irischen
Regimentern in Südafrika keine Vorwürfe gemacht werden; das veranlaßte die
greise Königin, die fast niemals in ihrem Leben Irland besucht hatte, eine
Reise dorthin zu machen.

Doch was können solche Mittel gegen einen so tiefcingewurzclteu Volkshaß
verschlagen! Schon ein halbes Jahr nach dem Erlaß des Landankaufgesetzes
von 1903 trat John Nedmond wieder mit vollster UnVersöhnlichkeit hervor.
Die Homerulebewegung sollte wieder belebt werden. Kein Zugeständnis Eng¬
lands könne die Iren zufriedenstellen als allein die Einräumung vollständiger
Selbständigkeit. Das Ministerium Balfour gab neue Zeichen seiner Versöhnlich¬
keit. Ein irischer Oberst, Lynch, hatte im Bureukriege offen gegen die Engländer
gefochten und war dafür zum Tode verurteilt worden. Die Negierung veranlaßte
die Umwandlung in lebenslängliche Zuchthausstrafe und würde auch zu weiteren
bereit gewesen sein. Die wachsende Macht der Unitsä Irisli I^öüAus verhinderte
jegliche friedfertige Annäherung. In der Regierung fanden sich Wortführer
weiterer Zugeständnisse. Es hatte sich in Irland eine Irisn Retorin ^ssooiation
gebildet, die den radikalen Widerstand der Nationalisten verschmähte. Sie
betonte mit Recht, daß sich das Neichsparlmneut zu Westminster viel zu wenig
um die laufende Verwaltung der Insel bekümmere. Es müsse ein unter dem
Vizekönig stehender Rat eingesetzt werden, der mit einem ebenfalls zu schaffenden
irischen Parlament die rein irischen Angelegenheiten zu ordnen habe, jedoch auf
der Grundlage des englischen Rechts, nicht irischer Willkür. Das wäre also
ein gemäßigtes Loccil Government gewesen im Gegensatz zu Homerule. Der
Staatssekretär für Irland im Ministerium Balfour, Mr. Wyndham, wollte
derartige Bahnen beschreiten. In seinem eignen Lager war die Mehrheit da¬
gegen, sodaß er im März 1905 zurücktreten mußte. Sein Nachfolger wurde
Walter Long, ein Mann, der von vielen als der künftige leitende konservative
Staatsmann Englands eingesehn wird.

Im Januar des folgenden Jahres kam es zur Neuwahl des Parlaments.
Gegen Balfour und Chamberlain hatte sich viel Abneigung angesammelt. Die
eigentlichen Liberalen entschlossen sich, nicht nur mit der auf dem Boden der
bisherigen Gesellschaftsordnung stehenden Arbeiterpartei zusammenzuwirken,
sondern auch mit den Sozialdemokraten und mit den Iren. Die verbündeten
Parteien erlangten einen großartigen Sieg und eine Parlamentsmehrheit von
beispielloser Stärke. Die Liberalen und die Arbeiterpartei waren sogar für
sich allein stark genug, eine Mehrheit zu bilden, auch wenn die Iren zu den
Konservativen gingen. Sie waren also von den Iren unabhängig. Das alte


Irland als Dom unter dem Panzer Englands

der aufgelösten Landliga die Agitation übernahm. Sie suchte alles zu ver¬
hindern, was zu einer friedlichen Gestaltung der Dinge führen konnte. Die
2^ Prozent Hypothekenzinsen waren doch immer noch eine Rente, sie aber
wollte keine Rente. Der Burenkrieg gab dem Jrentum Gelegenheit, seinen Haß
gegen die Engländer stürmisch zu entfalten, sogar im Parlament wurden
Demonstrationen zugunsten der Buren gemacht. Dagegen konnten den irischen
Regimentern in Südafrika keine Vorwürfe gemacht werden; das veranlaßte die
greise Königin, die fast niemals in ihrem Leben Irland besucht hatte, eine
Reise dorthin zu machen.

Doch was können solche Mittel gegen einen so tiefcingewurzclteu Volkshaß
verschlagen! Schon ein halbes Jahr nach dem Erlaß des Landankaufgesetzes
von 1903 trat John Nedmond wieder mit vollster UnVersöhnlichkeit hervor.
Die Homerulebewegung sollte wieder belebt werden. Kein Zugeständnis Eng¬
lands könne die Iren zufriedenstellen als allein die Einräumung vollständiger
Selbständigkeit. Das Ministerium Balfour gab neue Zeichen seiner Versöhnlich¬
keit. Ein irischer Oberst, Lynch, hatte im Bureukriege offen gegen die Engländer
gefochten und war dafür zum Tode verurteilt worden. Die Negierung veranlaßte
die Umwandlung in lebenslängliche Zuchthausstrafe und würde auch zu weiteren
bereit gewesen sein. Die wachsende Macht der Unitsä Irisli I^öüAus verhinderte
jegliche friedfertige Annäherung. In der Regierung fanden sich Wortführer
weiterer Zugeständnisse. Es hatte sich in Irland eine Irisn Retorin ^ssooiation
gebildet, die den radikalen Widerstand der Nationalisten verschmähte. Sie
betonte mit Recht, daß sich das Neichsparlmneut zu Westminster viel zu wenig
um die laufende Verwaltung der Insel bekümmere. Es müsse ein unter dem
Vizekönig stehender Rat eingesetzt werden, der mit einem ebenfalls zu schaffenden
irischen Parlament die rein irischen Angelegenheiten zu ordnen habe, jedoch auf
der Grundlage des englischen Rechts, nicht irischer Willkür. Das wäre also
ein gemäßigtes Loccil Government gewesen im Gegensatz zu Homerule. Der
Staatssekretär für Irland im Ministerium Balfour, Mr. Wyndham, wollte
derartige Bahnen beschreiten. In seinem eignen Lager war die Mehrheit da¬
gegen, sodaß er im März 1905 zurücktreten mußte. Sein Nachfolger wurde
Walter Long, ein Mann, der von vielen als der künftige leitende konservative
Staatsmann Englands eingesehn wird.

Im Januar des folgenden Jahres kam es zur Neuwahl des Parlaments.
Gegen Balfour und Chamberlain hatte sich viel Abneigung angesammelt. Die
eigentlichen Liberalen entschlossen sich, nicht nur mit der auf dem Boden der
bisherigen Gesellschaftsordnung stehenden Arbeiterpartei zusammenzuwirken,
sondern auch mit den Sozialdemokraten und mit den Iren. Die verbündeten
Parteien erlangten einen großartigen Sieg und eine Parlamentsmehrheit von
beispielloser Stärke. Die Liberalen und die Arbeiterpartei waren sogar für
sich allein stark genug, eine Mehrheit zu bilden, auch wenn die Iren zu den
Konservativen gingen. Sie waren also von den Iren unabhängig. Das alte


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[0664] Irland als Dom unter dem Panzer Englands der aufgelösten Landliga die Agitation übernahm. Sie suchte alles zu ver¬ hindern, was zu einer friedlichen Gestaltung der Dinge führen konnte. Die 2^ Prozent Hypothekenzinsen waren doch immer noch eine Rente, sie aber wollte keine Rente. Der Burenkrieg gab dem Jrentum Gelegenheit, seinen Haß gegen die Engländer stürmisch zu entfalten, sogar im Parlament wurden Demonstrationen zugunsten der Buren gemacht. Dagegen konnten den irischen Regimentern in Südafrika keine Vorwürfe gemacht werden; das veranlaßte die greise Königin, die fast niemals in ihrem Leben Irland besucht hatte, eine Reise dorthin zu machen. Doch was können solche Mittel gegen einen so tiefcingewurzclteu Volkshaß verschlagen! Schon ein halbes Jahr nach dem Erlaß des Landankaufgesetzes von 1903 trat John Nedmond wieder mit vollster UnVersöhnlichkeit hervor. Die Homerulebewegung sollte wieder belebt werden. Kein Zugeständnis Eng¬ lands könne die Iren zufriedenstellen als allein die Einräumung vollständiger Selbständigkeit. Das Ministerium Balfour gab neue Zeichen seiner Versöhnlich¬ keit. Ein irischer Oberst, Lynch, hatte im Bureukriege offen gegen die Engländer gefochten und war dafür zum Tode verurteilt worden. Die Negierung veranlaßte die Umwandlung in lebenslängliche Zuchthausstrafe und würde auch zu weiteren bereit gewesen sein. Die wachsende Macht der Unitsä Irisli I^öüAus verhinderte jegliche friedfertige Annäherung. In der Regierung fanden sich Wortführer weiterer Zugeständnisse. Es hatte sich in Irland eine Irisn Retorin ^ssooiation gebildet, die den radikalen Widerstand der Nationalisten verschmähte. Sie betonte mit Recht, daß sich das Neichsparlmneut zu Westminster viel zu wenig um die laufende Verwaltung der Insel bekümmere. Es müsse ein unter dem Vizekönig stehender Rat eingesetzt werden, der mit einem ebenfalls zu schaffenden irischen Parlament die rein irischen Angelegenheiten zu ordnen habe, jedoch auf der Grundlage des englischen Rechts, nicht irischer Willkür. Das wäre also ein gemäßigtes Loccil Government gewesen im Gegensatz zu Homerule. Der Staatssekretär für Irland im Ministerium Balfour, Mr. Wyndham, wollte derartige Bahnen beschreiten. In seinem eignen Lager war die Mehrheit da¬ gegen, sodaß er im März 1905 zurücktreten mußte. Sein Nachfolger wurde Walter Long, ein Mann, der von vielen als der künftige leitende konservative Staatsmann Englands eingesehn wird. Im Januar des folgenden Jahres kam es zur Neuwahl des Parlaments. Gegen Balfour und Chamberlain hatte sich viel Abneigung angesammelt. Die eigentlichen Liberalen entschlossen sich, nicht nur mit der auf dem Boden der bisherigen Gesellschaftsordnung stehenden Arbeiterpartei zusammenzuwirken, sondern auch mit den Sozialdemokraten und mit den Iren. Die verbündeten Parteien erlangten einen großartigen Sieg und eine Parlamentsmehrheit von beispielloser Stärke. Die Liberalen und die Arbeiterpartei waren sogar für sich allein stark genug, eine Mehrheit zu bilden, auch wenn die Iren zu den Konservativen gingen. Sie waren also von den Iren unabhängig. Das alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/664>, abgerufen am 01.09.2024.