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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

Abscheu gegen Homerule zusammengehalten. Arthur Balfour, der spätere
Premierminister, wurde Vizckönig von Irland und hielt mit der nötigen Ent¬
schlossenheit die Bewegung in Irland nieder. Er scheute vor Ausnahmegesetzen
nicht zurück. Auch die konservative Regierung entschloß sich nun, wohl unter
dem Einfluß der liberalen Unionisten, zu Reformen. 1887 und 1891 schuf sie
Gesetze, die mit Staatshilfe die Umwandlung von Großgrundbesitzungen in freie
Bauern beförderte. Für Verkehr, für Entwässerung, für Schulwesen wurden
ansehnliche Summen zur Verfügung gestellt.

Eine Episode dieser Zeit bildet eine Anklage der Times gegen Parnell,
daß er Mondscheinbanden organisiert habe und an dem Morde im Phönixpark
mindestens indirekt mitschuldig sei. In einem Prozeß erwies sich das Material,
auf das die Anschuldigung in gutem Glauben gegründet war, als gefälscht.
Schlimme Einbuße erlitt Pcirnells Ansehn 1890 durch einen Ehescheidungs¬
prozeß, in dem er verurteilt wurde. Die irische Partei spaltete sich in Parnelliten
und Antiparnelliten, wodurch wenigstens ihre Aktionsfähigkeit gelähmt wurde.
Auch als Parnell 1891 starb, und der jetzige Hauptführer John Nedmond an
die Spitze der Parnelliten trat, blieb die Spaltung bestehn; erst 1900 ver¬
schwand sie.

Während der unionistischen Regierung erreichten die Ruhestörungen in
Irland keinen sehr hohen Grad. Ihr Sturz 1892 nach Parlamentsneuwahlen
hatte wenig mit irischen Angelegenheiten zu tun. Die Liberalen erlangten wieder
eine Mehrheit, in der jedoch die Iren nicht zu entbehren waren und folglich
eine entscheidende Gewalt ausübten. Gladstone bildete eine neue Regierung,
diesesmal unter Ausschluß der liberalen und radikalen Unionisten. Auch Lord
Rosebery, der kein sehr hitziger Gesinnungsgenosse war und nicht mehr lange
in dem Zirkel der leitenden Liberalen blieb, war Mitglied des Ministeriums.
Die Regierung führte sofort einige Milderungen in der strammen Verwaltung
Irlands ein und kam dann mit einer neuen Homerulebill, die die erste noch
erweiterte. Ähnlich wie in Österreich-Ungarn sollten die auswärtigen Angelegen¬
heiten, Heer, Marine und Zollwesen Reichsangelegenheit bleiben, also in letzter
Linie vom Parlament in Westminster abhängig bleiben, wo die Iren eine stark
verringerte Vertretung hatten. Im übrigen sollte Irland durch einen Vizekönig
und ein dem zu bildenden irischen Parlament verantwortliches Ministerium
selbständig regiert werden. Die Stimmung in England erhitzte sich sehr dagegen.
Im Unterhause wurde die Bill zwar angenommen, doch verließ sich das Ober¬
haus auf die UnPopularität der Maßregel und wagte -- wozu es sich wohl¬
weislich nur selten aufrafft -- die Ablehnung gegen eine verschwindende
Minderheit. Es wollte eine Neuwahl herbeiführen. Dazu hatte Gladstone nicht
den Mut. Er fürchtete mit Recht eine entscheidende Niederlage bei der Wähler¬
schaft und ließ sich daher den Affront des Oberhauses gefallen. Er selber trat
am 3. März 1894 zurück und ließ die Regierung in den Händen Noseberys
und seiner Freunde.


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

Abscheu gegen Homerule zusammengehalten. Arthur Balfour, der spätere
Premierminister, wurde Vizckönig von Irland und hielt mit der nötigen Ent¬
schlossenheit die Bewegung in Irland nieder. Er scheute vor Ausnahmegesetzen
nicht zurück. Auch die konservative Regierung entschloß sich nun, wohl unter
dem Einfluß der liberalen Unionisten, zu Reformen. 1887 und 1891 schuf sie
Gesetze, die mit Staatshilfe die Umwandlung von Großgrundbesitzungen in freie
Bauern beförderte. Für Verkehr, für Entwässerung, für Schulwesen wurden
ansehnliche Summen zur Verfügung gestellt.

Eine Episode dieser Zeit bildet eine Anklage der Times gegen Parnell,
daß er Mondscheinbanden organisiert habe und an dem Morde im Phönixpark
mindestens indirekt mitschuldig sei. In einem Prozeß erwies sich das Material,
auf das die Anschuldigung in gutem Glauben gegründet war, als gefälscht.
Schlimme Einbuße erlitt Pcirnells Ansehn 1890 durch einen Ehescheidungs¬
prozeß, in dem er verurteilt wurde. Die irische Partei spaltete sich in Parnelliten
und Antiparnelliten, wodurch wenigstens ihre Aktionsfähigkeit gelähmt wurde.
Auch als Parnell 1891 starb, und der jetzige Hauptführer John Nedmond an
die Spitze der Parnelliten trat, blieb die Spaltung bestehn; erst 1900 ver¬
schwand sie.

Während der unionistischen Regierung erreichten die Ruhestörungen in
Irland keinen sehr hohen Grad. Ihr Sturz 1892 nach Parlamentsneuwahlen
hatte wenig mit irischen Angelegenheiten zu tun. Die Liberalen erlangten wieder
eine Mehrheit, in der jedoch die Iren nicht zu entbehren waren und folglich
eine entscheidende Gewalt ausübten. Gladstone bildete eine neue Regierung,
diesesmal unter Ausschluß der liberalen und radikalen Unionisten. Auch Lord
Rosebery, der kein sehr hitziger Gesinnungsgenosse war und nicht mehr lange
in dem Zirkel der leitenden Liberalen blieb, war Mitglied des Ministeriums.
Die Regierung führte sofort einige Milderungen in der strammen Verwaltung
Irlands ein und kam dann mit einer neuen Homerulebill, die die erste noch
erweiterte. Ähnlich wie in Österreich-Ungarn sollten die auswärtigen Angelegen¬
heiten, Heer, Marine und Zollwesen Reichsangelegenheit bleiben, also in letzter
Linie vom Parlament in Westminster abhängig bleiben, wo die Iren eine stark
verringerte Vertretung hatten. Im übrigen sollte Irland durch einen Vizekönig
und ein dem zu bildenden irischen Parlament verantwortliches Ministerium
selbständig regiert werden. Die Stimmung in England erhitzte sich sehr dagegen.
Im Unterhause wurde die Bill zwar angenommen, doch verließ sich das Ober¬
haus auf die UnPopularität der Maßregel und wagte — wozu es sich wohl¬
weislich nur selten aufrafft — die Ablehnung gegen eine verschwindende
Minderheit. Es wollte eine Neuwahl herbeiführen. Dazu hatte Gladstone nicht
den Mut. Er fürchtete mit Recht eine entscheidende Niederlage bei der Wähler¬
schaft und ließ sich daher den Affront des Oberhauses gefallen. Er selber trat
am 3. März 1894 zurück und ließ die Regierung in den Händen Noseberys
und seiner Freunde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/662>, abgerufen am 01.09.2024.