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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

sechs Jahren verließen fast zwei Millionen Menschen die Heimat. Doch stellte
sich damit noch keine ausreichende Erleichterung für die Zurückbleibenden ein.
Vielmehr steckte die französische Februarrevolution auch die Iren von neuem
an. Es bildete sich die jungirische Bewegung, die mit französischer Hilfe
das verhaßte englische Joch abschütteln zu können hoffte. Aber ehe die Ver¬
schwörung reif war, griff die Regierung durch, sodaß die Häupter nach einem
vergeblichen Aufstandsversuch in ihren Händen waren. Sie wurden zum Tode
verurteilt; die Gnade ermäßigte diese Strafe in Deportation. Die Insel lag
wehrlos zu den Füßen Englands.

Von einem wirklichen Frieden war man weit entfernt. Die Cholera
sorgte für neue Verbitterung. Neue Hoffnungen erwuchsen den Iren, als
jenseits des Ozeans die Massen zu einer Macht geworden waren, um die
jede amerikanische Partei buhlte. England war damals bei den Amerikanern
noch erzverhaßt, sodaß diese den Wühlereien nichts in den Weg legten. Da
im amerikanischen Bürgerkriege Englands Sympathien den Südstaaten gehört
hatten, so sah man im Norden den Iren durch die Finger. Schon 1858
entstand in den Vereinigten Staaten der Bund der Fenier (aus dem irischen
Fionna Eirinn), der die Unabhängigkeit Irlands mit gewaltsamen Mitteln er¬
strebte. In Chicago hielt man 1863, in Philadelphia 1865 ganz offen große
fernsehe Kongresse ab. Im Jahre 1863 tauchte der Bund auch in Irland auf, wo
vergeblich die Regierung ihn zu unterdrücken bemüht war. Wieder hatte sich
eine förmliche Verschwörung gebildet, die 1865 zur Ausrufung der Republik
führen sollte. Sie wurde verraten, sodaß die Regierung das ganze Nest aus¬
heben konnte. Wieder wurde die Habeaskorpuscikte suspendiert und ein Teil
der westlichen Grafschaften in Belagerungszustand versetzt. Die Gereiztheit
zwischen den Regierungen zu Washington und London veranlaßte die ameri¬
kanischen Fenier zu einem förmlichen bewaffneten Einfall nach Kanada. Dort
war man ihnen allerdings nicht wohlgeneigt, und da die kanadische Regierung
auf ihrer Hut war. so blitzte der Versuch ab, worauf sich dann auch die
amerikanische Regierung genötigt sah, der Wiederkehr ähnlicher Vorfälle vor¬
zubeugen. Daheim bildete sich nun immer mehr der Terrorismus aus, der
sich von Irland aus über einen großen Teil Europas verbreitet hat und jetzt
in Nußland an der Tagesordnung ist. Im Dezember 1367 versuchten Fenier,
ein Gefängnis in die Luft zu sprengen; auf den Herzog von Edinburg wurde
ein Attentat gemacht; 1872 bedrohte man sogar die Königin mit dem Revolver,
um sie zur Freilassung gefangner Fenier zu zwingen. Allein starke Ma߬
regeln der englischen Regierung bewirkten doch das allmähliche Hinsiechen des
Fenianismus.

Eine so ernste Erscheinung konnte doch nicht verfehlen, auch in England
selbst den tiefsten Eindruck zu machen. Aus politischen wie aus philosophischen
Gründen kam man immer wieder darauf zurück, daß die Verhältnisse der
Insel von Grund aus geändert werden müßten, schon um England zur Ruhe


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

sechs Jahren verließen fast zwei Millionen Menschen die Heimat. Doch stellte
sich damit noch keine ausreichende Erleichterung für die Zurückbleibenden ein.
Vielmehr steckte die französische Februarrevolution auch die Iren von neuem
an. Es bildete sich die jungirische Bewegung, die mit französischer Hilfe
das verhaßte englische Joch abschütteln zu können hoffte. Aber ehe die Ver¬
schwörung reif war, griff die Regierung durch, sodaß die Häupter nach einem
vergeblichen Aufstandsversuch in ihren Händen waren. Sie wurden zum Tode
verurteilt; die Gnade ermäßigte diese Strafe in Deportation. Die Insel lag
wehrlos zu den Füßen Englands.

Von einem wirklichen Frieden war man weit entfernt. Die Cholera
sorgte für neue Verbitterung. Neue Hoffnungen erwuchsen den Iren, als
jenseits des Ozeans die Massen zu einer Macht geworden waren, um die
jede amerikanische Partei buhlte. England war damals bei den Amerikanern
noch erzverhaßt, sodaß diese den Wühlereien nichts in den Weg legten. Da
im amerikanischen Bürgerkriege Englands Sympathien den Südstaaten gehört
hatten, so sah man im Norden den Iren durch die Finger. Schon 1858
entstand in den Vereinigten Staaten der Bund der Fenier (aus dem irischen
Fionna Eirinn), der die Unabhängigkeit Irlands mit gewaltsamen Mitteln er¬
strebte. In Chicago hielt man 1863, in Philadelphia 1865 ganz offen große
fernsehe Kongresse ab. Im Jahre 1863 tauchte der Bund auch in Irland auf, wo
vergeblich die Regierung ihn zu unterdrücken bemüht war. Wieder hatte sich
eine förmliche Verschwörung gebildet, die 1865 zur Ausrufung der Republik
führen sollte. Sie wurde verraten, sodaß die Regierung das ganze Nest aus¬
heben konnte. Wieder wurde die Habeaskorpuscikte suspendiert und ein Teil
der westlichen Grafschaften in Belagerungszustand versetzt. Die Gereiztheit
zwischen den Regierungen zu Washington und London veranlaßte die ameri¬
kanischen Fenier zu einem förmlichen bewaffneten Einfall nach Kanada. Dort
war man ihnen allerdings nicht wohlgeneigt, und da die kanadische Regierung
auf ihrer Hut war. so blitzte der Versuch ab, worauf sich dann auch die
amerikanische Regierung genötigt sah, der Wiederkehr ähnlicher Vorfälle vor¬
zubeugen. Daheim bildete sich nun immer mehr der Terrorismus aus, der
sich von Irland aus über einen großen Teil Europas verbreitet hat und jetzt
in Nußland an der Tagesordnung ist. Im Dezember 1367 versuchten Fenier,
ein Gefängnis in die Luft zu sprengen; auf den Herzog von Edinburg wurde
ein Attentat gemacht; 1872 bedrohte man sogar die Königin mit dem Revolver,
um sie zur Freilassung gefangner Fenier zu zwingen. Allein starke Ma߬
regeln der englischen Regierung bewirkten doch das allmähliche Hinsiechen des
Fenianismus.

Eine so ernste Erscheinung konnte doch nicht verfehlen, auch in England
selbst den tiefsten Eindruck zu machen. Aus politischen wie aus philosophischen
Gründen kam man immer wieder darauf zurück, daß die Verhältnisse der
Insel von Grund aus geändert werden müßten, schon um England zur Ruhe


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[0606] Irland als Dorn unter dem Panzer Englands sechs Jahren verließen fast zwei Millionen Menschen die Heimat. Doch stellte sich damit noch keine ausreichende Erleichterung für die Zurückbleibenden ein. Vielmehr steckte die französische Februarrevolution auch die Iren von neuem an. Es bildete sich die jungirische Bewegung, die mit französischer Hilfe das verhaßte englische Joch abschütteln zu können hoffte. Aber ehe die Ver¬ schwörung reif war, griff die Regierung durch, sodaß die Häupter nach einem vergeblichen Aufstandsversuch in ihren Händen waren. Sie wurden zum Tode verurteilt; die Gnade ermäßigte diese Strafe in Deportation. Die Insel lag wehrlos zu den Füßen Englands. Von einem wirklichen Frieden war man weit entfernt. Die Cholera sorgte für neue Verbitterung. Neue Hoffnungen erwuchsen den Iren, als jenseits des Ozeans die Massen zu einer Macht geworden waren, um die jede amerikanische Partei buhlte. England war damals bei den Amerikanern noch erzverhaßt, sodaß diese den Wühlereien nichts in den Weg legten. Da im amerikanischen Bürgerkriege Englands Sympathien den Südstaaten gehört hatten, so sah man im Norden den Iren durch die Finger. Schon 1858 entstand in den Vereinigten Staaten der Bund der Fenier (aus dem irischen Fionna Eirinn), der die Unabhängigkeit Irlands mit gewaltsamen Mitteln er¬ strebte. In Chicago hielt man 1863, in Philadelphia 1865 ganz offen große fernsehe Kongresse ab. Im Jahre 1863 tauchte der Bund auch in Irland auf, wo vergeblich die Regierung ihn zu unterdrücken bemüht war. Wieder hatte sich eine förmliche Verschwörung gebildet, die 1865 zur Ausrufung der Republik führen sollte. Sie wurde verraten, sodaß die Regierung das ganze Nest aus¬ heben konnte. Wieder wurde die Habeaskorpuscikte suspendiert und ein Teil der westlichen Grafschaften in Belagerungszustand versetzt. Die Gereiztheit zwischen den Regierungen zu Washington und London veranlaßte die ameri¬ kanischen Fenier zu einem förmlichen bewaffneten Einfall nach Kanada. Dort war man ihnen allerdings nicht wohlgeneigt, und da die kanadische Regierung auf ihrer Hut war. so blitzte der Versuch ab, worauf sich dann auch die amerikanische Regierung genötigt sah, der Wiederkehr ähnlicher Vorfälle vor¬ zubeugen. Daheim bildete sich nun immer mehr der Terrorismus aus, der sich von Irland aus über einen großen Teil Europas verbreitet hat und jetzt in Nußland an der Tagesordnung ist. Im Dezember 1367 versuchten Fenier, ein Gefängnis in die Luft zu sprengen; auf den Herzog von Edinburg wurde ein Attentat gemacht; 1872 bedrohte man sogar die Königin mit dem Revolver, um sie zur Freilassung gefangner Fenier zu zwingen. Allein starke Ma߬ regeln der englischen Regierung bewirkten doch das allmähliche Hinsiechen des Fenianismus. Eine so ernste Erscheinung konnte doch nicht verfehlen, auch in England selbst den tiefsten Eindruck zu machen. Aus politischen wie aus philosophischen Gründen kam man immer wieder darauf zurück, daß die Verhältnisse der Insel von Grund aus geändert werden müßten, schon um England zur Ruhe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/606>, abgerufen am 01.09.2024.