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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

mit voller Wucht. Wilhelm der Dritte zog die Güter der Anhänger Jakobs
des Zweiten ein. Er gab, was schon Elisabeth getan hatte, alles Kirchengut
aufs neue der anglikanischen bischöflichen Kirche, obgleich diese fast gar keine
Gemeinden hatte. Die ohnehin zur Armut verurteilten Katholiken mußten
ihre Kirchen und Geistlichen aus dürftigen freiwilligen Beiträgen unterhalten.
Sitze im englischen Parlament konnten die Iren schon als Katholiken nicht
einnehmen, selbst wenn sie in England gewählt waren, die Universitäten wurden
ihnen versagt, nicht einmal Grundeigentum konnten sie erwerben. Wenn im
Mittelalter eine Verschmelzung der Nationalitäten eingetreten wäre, hätte alles
vergessen werden können; konfessionelle Gemeinschaft hätte vielleicht den Ab¬
grund überbrückt. In Irland blieb alles offen. Jedes Jahrhundert wälzte
den Zwiespalt ungelöst seinem Nachfolger zu.

Die Humanitätsperiode im achtzehnte" Jahrhundert versuchte sich ver¬
geblich an diesem Problem. Erfüllt von den Ideen Diderots und Rousseaus
gewährten die Engländer 1782 den Iren sogar ein eignes Parlament -- aller¬
dings konnte 'mau sich noch nicht dazu aufschwingen, die Wählbarkeit auf
Katholiken auszudehnen. Schon damals zeigte sich sogar unter den protestan¬
tischen Iren im Parlament zu Dublin ein auffallender Nationalismus gegen
die Engländer. Man stellte wachsende, ja unerfüllbare Forderungen auf, und
als in Frankreich die Revolution ausbrach, ließ man in Irland der Neigung
zur Verbrüderung mit den Frciheitsmänneru die Zügel schießen, sodaß sich
die englische Regierung genötigt sah, die Habeaskorpusakte außer Kraft zu
setzen. Das brachte die Iren vollends zum Bündnis mit dem unter Leitung
des Direktoriums stehenden revolutionären Frankreich. Ein offner Aufstand
brach aus; er wurde mit raschen Schlägen bewältigt, ehe das zur Unterstützung
ausgesandte französische Lcmduugskorps eingetroffen war; auch dieses wurde
im August 1789 geschlagen.

Irland war bisher ein unterworfnes Land. Es hatte keinen Anteil an
englischen Freiheiten, ins englische Parlament zu Westminster durfte es keine
Abgeordneten entsenden. Die parlamentarischen Einrichtungen bezogen sich
nur ans das gelegentlich eingesetzte eigne irische Parlament zu Dublin.
William Pitt der Jüngere machte endlich 1800 den Versuch, das schwächere
Land mit dem mächtigern zu verschmelzen, indem er ihm volle Gleichberechtigung
in bezug auf das Parlament gab. Irland erhielt in beiden Häusern eine
entsprechende Anzahl Sitze, jedoch immer noch mit der auch für England
geltenden Einschränkung, daß nur Protestanten eintreten konnten. Pitt selber
war für die Katholikenemanzipation, konnte sie aber gegen den König nicht
durchsetzen.

Sofort begannen neue Kämpfe. Das katholische Jreutum fand seinen
Führer ein halbes Jahrhundert in O'Connell. Dieser tätige Agitator begann
mit der Forderung einer Gleichberechtigung der Katholiken. Und als seine
Popularität dadurch überwältigend wurde, ging er weiter; er verlangte die


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands

mit voller Wucht. Wilhelm der Dritte zog die Güter der Anhänger Jakobs
des Zweiten ein. Er gab, was schon Elisabeth getan hatte, alles Kirchengut
aufs neue der anglikanischen bischöflichen Kirche, obgleich diese fast gar keine
Gemeinden hatte. Die ohnehin zur Armut verurteilten Katholiken mußten
ihre Kirchen und Geistlichen aus dürftigen freiwilligen Beiträgen unterhalten.
Sitze im englischen Parlament konnten die Iren schon als Katholiken nicht
einnehmen, selbst wenn sie in England gewählt waren, die Universitäten wurden
ihnen versagt, nicht einmal Grundeigentum konnten sie erwerben. Wenn im
Mittelalter eine Verschmelzung der Nationalitäten eingetreten wäre, hätte alles
vergessen werden können; konfessionelle Gemeinschaft hätte vielleicht den Ab¬
grund überbrückt. In Irland blieb alles offen. Jedes Jahrhundert wälzte
den Zwiespalt ungelöst seinem Nachfolger zu.

Die Humanitätsperiode im achtzehnte» Jahrhundert versuchte sich ver¬
geblich an diesem Problem. Erfüllt von den Ideen Diderots und Rousseaus
gewährten die Engländer 1782 den Iren sogar ein eignes Parlament — aller¬
dings konnte 'mau sich noch nicht dazu aufschwingen, die Wählbarkeit auf
Katholiken auszudehnen. Schon damals zeigte sich sogar unter den protestan¬
tischen Iren im Parlament zu Dublin ein auffallender Nationalismus gegen
die Engländer. Man stellte wachsende, ja unerfüllbare Forderungen auf, und
als in Frankreich die Revolution ausbrach, ließ man in Irland der Neigung
zur Verbrüderung mit den Frciheitsmänneru die Zügel schießen, sodaß sich
die englische Regierung genötigt sah, die Habeaskorpusakte außer Kraft zu
setzen. Das brachte die Iren vollends zum Bündnis mit dem unter Leitung
des Direktoriums stehenden revolutionären Frankreich. Ein offner Aufstand
brach aus; er wurde mit raschen Schlägen bewältigt, ehe das zur Unterstützung
ausgesandte französische Lcmduugskorps eingetroffen war; auch dieses wurde
im August 1789 geschlagen.

Irland war bisher ein unterworfnes Land. Es hatte keinen Anteil an
englischen Freiheiten, ins englische Parlament zu Westminster durfte es keine
Abgeordneten entsenden. Die parlamentarischen Einrichtungen bezogen sich
nur ans das gelegentlich eingesetzte eigne irische Parlament zu Dublin.
William Pitt der Jüngere machte endlich 1800 den Versuch, das schwächere
Land mit dem mächtigern zu verschmelzen, indem er ihm volle Gleichberechtigung
in bezug auf das Parlament gab. Irland erhielt in beiden Häusern eine
entsprechende Anzahl Sitze, jedoch immer noch mit der auch für England
geltenden Einschränkung, daß nur Protestanten eintreten konnten. Pitt selber
war für die Katholikenemanzipation, konnte sie aber gegen den König nicht
durchsetzen.

Sofort begannen neue Kämpfe. Das katholische Jreutum fand seinen
Führer ein halbes Jahrhundert in O'Connell. Dieser tätige Agitator begann
mit der Forderung einer Gleichberechtigung der Katholiken. Und als seine
Popularität dadurch überwältigend wurde, ging er weiter; er verlangte die


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[0604] Irland als Dorn unter dem Panzer Englands mit voller Wucht. Wilhelm der Dritte zog die Güter der Anhänger Jakobs des Zweiten ein. Er gab, was schon Elisabeth getan hatte, alles Kirchengut aufs neue der anglikanischen bischöflichen Kirche, obgleich diese fast gar keine Gemeinden hatte. Die ohnehin zur Armut verurteilten Katholiken mußten ihre Kirchen und Geistlichen aus dürftigen freiwilligen Beiträgen unterhalten. Sitze im englischen Parlament konnten die Iren schon als Katholiken nicht einnehmen, selbst wenn sie in England gewählt waren, die Universitäten wurden ihnen versagt, nicht einmal Grundeigentum konnten sie erwerben. Wenn im Mittelalter eine Verschmelzung der Nationalitäten eingetreten wäre, hätte alles vergessen werden können; konfessionelle Gemeinschaft hätte vielleicht den Ab¬ grund überbrückt. In Irland blieb alles offen. Jedes Jahrhundert wälzte den Zwiespalt ungelöst seinem Nachfolger zu. Die Humanitätsperiode im achtzehnte» Jahrhundert versuchte sich ver¬ geblich an diesem Problem. Erfüllt von den Ideen Diderots und Rousseaus gewährten die Engländer 1782 den Iren sogar ein eignes Parlament — aller¬ dings konnte 'mau sich noch nicht dazu aufschwingen, die Wählbarkeit auf Katholiken auszudehnen. Schon damals zeigte sich sogar unter den protestan¬ tischen Iren im Parlament zu Dublin ein auffallender Nationalismus gegen die Engländer. Man stellte wachsende, ja unerfüllbare Forderungen auf, und als in Frankreich die Revolution ausbrach, ließ man in Irland der Neigung zur Verbrüderung mit den Frciheitsmänneru die Zügel schießen, sodaß sich die englische Regierung genötigt sah, die Habeaskorpusakte außer Kraft zu setzen. Das brachte die Iren vollends zum Bündnis mit dem unter Leitung des Direktoriums stehenden revolutionären Frankreich. Ein offner Aufstand brach aus; er wurde mit raschen Schlägen bewältigt, ehe das zur Unterstützung ausgesandte französische Lcmduugskorps eingetroffen war; auch dieses wurde im August 1789 geschlagen. Irland war bisher ein unterworfnes Land. Es hatte keinen Anteil an englischen Freiheiten, ins englische Parlament zu Westminster durfte es keine Abgeordneten entsenden. Die parlamentarischen Einrichtungen bezogen sich nur ans das gelegentlich eingesetzte eigne irische Parlament zu Dublin. William Pitt der Jüngere machte endlich 1800 den Versuch, das schwächere Land mit dem mächtigern zu verschmelzen, indem er ihm volle Gleichberechtigung in bezug auf das Parlament gab. Irland erhielt in beiden Häusern eine entsprechende Anzahl Sitze, jedoch immer noch mit der auch für England geltenden Einschränkung, daß nur Protestanten eintreten konnten. Pitt selber war für die Katholikenemanzipation, konnte sie aber gegen den König nicht durchsetzen. Sofort begannen neue Kämpfe. Das katholische Jreutum fand seinen Führer ein halbes Jahrhundert in O'Connell. Dieser tätige Agitator begann mit der Forderung einer Gleichberechtigung der Katholiken. Und als seine Popularität dadurch überwältigend wurde, ging er weiter; er verlangte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/604>, abgerufen am 01.09.2024.