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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

ganz wundersamen Anblick, sie hängen rings um uns wie ein dunkelgrauer
Vorhang herab, ohne jedoch den Boden zu berühren, hinter ihnen scheint die
Sonne und sendet ihre Strahlen unter den Fransen dieses Vorhangs hervor,
wie wohl die Beleuchtung einer Bühne bei nicht ganz herabgelassenen Vorhang
unten sichtbar wird und uns die noch verhüllte Dekoration ahnen läßt. Dann
wieder bewirkt ein ganz dünner, aber von oben hell beleuchteter Wolkenschleier
über der Gegend, daß die Farben viel kräftiger hervortreten, die Ziegeldächer
erscheinen viel greller rot als sonst, die Schieferdächer in hatten Blau, wohl¬
gepflegte Gurten in prächtigem buntem Farbengemisch und Parkanlagen tiefgrün,
künstlich verschlungne Wege bilden scharfe Umrisse wie auf einem modernen
Reklamebilde.

Die Bahn von Wronke nach Posen, der wir uns nähern, durchschneidet
eine fruchtbare Landschaft mit regelmäßig angelegten langgestreckten Feldern und
Wiesen, musterhafte Ordnung und Sauberkeit kennzeichnet die Wohnhäuser, jedes
am schmalen Ende der Felder fast in gleichen Abständen voneinander gelegen,
bei jedem ein baumreicher, hübscher Garten, es sind deutsche Ansiedlungen in
vormals polnischen Landen. Soweit das Auge reicht, dehnen sich die grünen
Fruchtgefilde, von schwarzen Streifen guten Brachlandes durchsetzt.

Bald nach 12 Uhr mittags zeigt sich auch der nördliche Arm des ostwest¬
lichen Urstroms, die Warthe in ihrem Laufe zwischen Posen und Küstrin, an ihr
zwei Orte, Obersitzko diesseits, Grünberg jenseits des Flusses, durch eine Brücke
miteinander verbunden. Aber erst fünf Kilometer östlich davon überfliegen wir
sie 12 Uhr 50 Minuten. Die Geschwindigkeit hatte am spätern Vormittag nur
noch 10, dann 6 Kilometer in der Stunde betragen, jetzt stand der Wind völlig
ab. Dabei ist der Himmel dicht bewölkt, die Luft von Schneeflocken belebt, für
unsern Photographen, der gerade auf die Mittagszeit seine Hoffnung gesetzt
hatte, eine schmerzliche Enttäuschung.

Eine Stunde schon schweben wir fast genau auf demselben Flecke über dem
riesigen Obersitzkoer Forste, die Gegend darüber hinaus in unsrer bisherigen
Fahrtrichtung, das Land zwischen Warthe und Netze, erscheint reizlos: eintönige
Heide und spärliche Besiedlung. Wir nehmen die Übersichtskarte zur Hand und
beraten über die Möglichkeiten, die sich uns bieten. Obwohl wir bei dem Be¬
mühen, endlich einmal wieder eine Gleichgewichtslage zu erlangen, viel Ballast
haben opfern müssen, verfügen wir doch noch über achtzehn Sack, mit denen bei
halbwegs günstiger Witterung die Fahrt über eine zweite Nacht bis weit in den
folgenden Tag auszudehnen wäre, haben wir uns doch schon mit fünf Sack im
ganzen bei einer Tagfahrt über acht Stunden gehalten. Aber die Witterung ist
eben nicht günstig, aus dem Schneegestöber sind Regenschauer geworden, und
die schweren dunkeln Wolken über uns lassen noch Schlimmeres befürchten. Und
wohin würden wir kommen?

Für eine Fahrt über die Ostsee, an die überhaupt nur bei plötzlich ein¬
tretender flotter Luftbewegung zu denken wäre, ist unsre Windrichtung die alter-


Luftreisen

ganz wundersamen Anblick, sie hängen rings um uns wie ein dunkelgrauer
Vorhang herab, ohne jedoch den Boden zu berühren, hinter ihnen scheint die
Sonne und sendet ihre Strahlen unter den Fransen dieses Vorhangs hervor,
wie wohl die Beleuchtung einer Bühne bei nicht ganz herabgelassenen Vorhang
unten sichtbar wird und uns die noch verhüllte Dekoration ahnen läßt. Dann
wieder bewirkt ein ganz dünner, aber von oben hell beleuchteter Wolkenschleier
über der Gegend, daß die Farben viel kräftiger hervortreten, die Ziegeldächer
erscheinen viel greller rot als sonst, die Schieferdächer in hatten Blau, wohl¬
gepflegte Gurten in prächtigem buntem Farbengemisch und Parkanlagen tiefgrün,
künstlich verschlungne Wege bilden scharfe Umrisse wie auf einem modernen
Reklamebilde.

Die Bahn von Wronke nach Posen, der wir uns nähern, durchschneidet
eine fruchtbare Landschaft mit regelmäßig angelegten langgestreckten Feldern und
Wiesen, musterhafte Ordnung und Sauberkeit kennzeichnet die Wohnhäuser, jedes
am schmalen Ende der Felder fast in gleichen Abständen voneinander gelegen,
bei jedem ein baumreicher, hübscher Garten, es sind deutsche Ansiedlungen in
vormals polnischen Landen. Soweit das Auge reicht, dehnen sich die grünen
Fruchtgefilde, von schwarzen Streifen guten Brachlandes durchsetzt.

Bald nach 12 Uhr mittags zeigt sich auch der nördliche Arm des ostwest¬
lichen Urstroms, die Warthe in ihrem Laufe zwischen Posen und Küstrin, an ihr
zwei Orte, Obersitzko diesseits, Grünberg jenseits des Flusses, durch eine Brücke
miteinander verbunden. Aber erst fünf Kilometer östlich davon überfliegen wir
sie 12 Uhr 50 Minuten. Die Geschwindigkeit hatte am spätern Vormittag nur
noch 10, dann 6 Kilometer in der Stunde betragen, jetzt stand der Wind völlig
ab. Dabei ist der Himmel dicht bewölkt, die Luft von Schneeflocken belebt, für
unsern Photographen, der gerade auf die Mittagszeit seine Hoffnung gesetzt
hatte, eine schmerzliche Enttäuschung.

Eine Stunde schon schweben wir fast genau auf demselben Flecke über dem
riesigen Obersitzkoer Forste, die Gegend darüber hinaus in unsrer bisherigen
Fahrtrichtung, das Land zwischen Warthe und Netze, erscheint reizlos: eintönige
Heide und spärliche Besiedlung. Wir nehmen die Übersichtskarte zur Hand und
beraten über die Möglichkeiten, die sich uns bieten. Obwohl wir bei dem Be¬
mühen, endlich einmal wieder eine Gleichgewichtslage zu erlangen, viel Ballast
haben opfern müssen, verfügen wir doch noch über achtzehn Sack, mit denen bei
halbwegs günstiger Witterung die Fahrt über eine zweite Nacht bis weit in den
folgenden Tag auszudehnen wäre, haben wir uns doch schon mit fünf Sack im
ganzen bei einer Tagfahrt über acht Stunden gehalten. Aber die Witterung ist
eben nicht günstig, aus dem Schneegestöber sind Regenschauer geworden, und
die schweren dunkeln Wolken über uns lassen noch Schlimmeres befürchten. Und
wohin würden wir kommen?

Für eine Fahrt über die Ostsee, an die überhaupt nur bei plötzlich ein¬
tretender flotter Luftbewegung zu denken wäre, ist unsre Windrichtung die alter-


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[0578] Luftreisen ganz wundersamen Anblick, sie hängen rings um uns wie ein dunkelgrauer Vorhang herab, ohne jedoch den Boden zu berühren, hinter ihnen scheint die Sonne und sendet ihre Strahlen unter den Fransen dieses Vorhangs hervor, wie wohl die Beleuchtung einer Bühne bei nicht ganz herabgelassenen Vorhang unten sichtbar wird und uns die noch verhüllte Dekoration ahnen läßt. Dann wieder bewirkt ein ganz dünner, aber von oben hell beleuchteter Wolkenschleier über der Gegend, daß die Farben viel kräftiger hervortreten, die Ziegeldächer erscheinen viel greller rot als sonst, die Schieferdächer in hatten Blau, wohl¬ gepflegte Gurten in prächtigem buntem Farbengemisch und Parkanlagen tiefgrün, künstlich verschlungne Wege bilden scharfe Umrisse wie auf einem modernen Reklamebilde. Die Bahn von Wronke nach Posen, der wir uns nähern, durchschneidet eine fruchtbare Landschaft mit regelmäßig angelegten langgestreckten Feldern und Wiesen, musterhafte Ordnung und Sauberkeit kennzeichnet die Wohnhäuser, jedes am schmalen Ende der Felder fast in gleichen Abständen voneinander gelegen, bei jedem ein baumreicher, hübscher Garten, es sind deutsche Ansiedlungen in vormals polnischen Landen. Soweit das Auge reicht, dehnen sich die grünen Fruchtgefilde, von schwarzen Streifen guten Brachlandes durchsetzt. Bald nach 12 Uhr mittags zeigt sich auch der nördliche Arm des ostwest¬ lichen Urstroms, die Warthe in ihrem Laufe zwischen Posen und Küstrin, an ihr zwei Orte, Obersitzko diesseits, Grünberg jenseits des Flusses, durch eine Brücke miteinander verbunden. Aber erst fünf Kilometer östlich davon überfliegen wir sie 12 Uhr 50 Minuten. Die Geschwindigkeit hatte am spätern Vormittag nur noch 10, dann 6 Kilometer in der Stunde betragen, jetzt stand der Wind völlig ab. Dabei ist der Himmel dicht bewölkt, die Luft von Schneeflocken belebt, für unsern Photographen, der gerade auf die Mittagszeit seine Hoffnung gesetzt hatte, eine schmerzliche Enttäuschung. Eine Stunde schon schweben wir fast genau auf demselben Flecke über dem riesigen Obersitzkoer Forste, die Gegend darüber hinaus in unsrer bisherigen Fahrtrichtung, das Land zwischen Warthe und Netze, erscheint reizlos: eintönige Heide und spärliche Besiedlung. Wir nehmen die Übersichtskarte zur Hand und beraten über die Möglichkeiten, die sich uns bieten. Obwohl wir bei dem Be¬ mühen, endlich einmal wieder eine Gleichgewichtslage zu erlangen, viel Ballast haben opfern müssen, verfügen wir doch noch über achtzehn Sack, mit denen bei halbwegs günstiger Witterung die Fahrt über eine zweite Nacht bis weit in den folgenden Tag auszudehnen wäre, haben wir uns doch schon mit fünf Sack im ganzen bei einer Tagfahrt über acht Stunden gehalten. Aber die Witterung ist eben nicht günstig, aus dem Schneegestöber sind Regenschauer geworden, und die schweren dunkeln Wolken über uns lassen noch Schlimmeres befürchten. Und wohin würden wir kommen? Für eine Fahrt über die Ostsee, an die überhaupt nur bei plötzlich ein¬ tretender flotter Luftbewegung zu denken wäre, ist unsre Windrichtung die alter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/578>, abgerufen am 12.12.2024.