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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lranziskus von Assise

Gregors des Siebenten der Verwirklichung nahe. In Spanien hatte Peter der
Zweite von Aragonien aus der Hand des Apostelfürsten seine Krone wieder
empfangen, nachdem er sie zuvor auf dem Grabe der Apostel hatte niederlegen
müssen. Philipp der Zweite August von Frankreich hatte sich von seiner ersten
Gemahlin scheiden lassen. Jnnozenz zwang ihn, seine zweite Ehe zu trennen
und die erste Gattin wieder an seine Seite zu nehmen. Johann ohne Land
von England empfing sein Königtum aus der Hand des päpstlichen Legaten,
nachdem er dem Heiligen Stuhle Unterwerfung, Lehnstreue und jährlichen Tribut
gelobt hatte. Und nur an dem nationalen Sinne der englischen Großen
scheiterten die Ansprüche Jnnozenz des Dritten. In die Thronstreitigkeiten der
deutschen Nation hat wiederum er bestimmend eingegriffen. So war er gewohnt,
Königreiche zu vergeben und den Mächtigsten der Erde den Fuß auf den Nacken
zu setzen. Dabei war er persönlich ein schlichter, frommer Mann, ein gläubiges
Gemüt, wenn er auch mehr ein Moses sein wollte, ein Gesetzgeber der Völker,
als ein echter Nachfolger Christi, ein Hirte der Seelen.

Aber diesem stolzen Bilde der Kirche nach außen entsprach das Innere
nicht. Im Leben der Geistlichen lag vieles im argen. schamlos waren die
Bestechungen, mit denen sie nach Pfründen jagten. Von den Beamten der
Kurie hatte man gesagt, sie seien wie Stein so hart, wenn es zu begreifen, wie
Holz so biegsam, wenn es zu urteilen, wie Feuer so grausam, wenn es zu
wüten, wie Eisen so unbeugsam, wenn es zu verzeihen gälte, falsch wie die
Füchse und aufgeblasen wie die Stiere. Klagen über Völlerei, Ehebruch und
Mord füllen die Berichte. Wo wäre jemals neues Leben dem Schoße der
Kirche entstiegen, ohne daß die Schandtaten der Priester die Folie gewesen
wären! Gegen diese innere Verkommenheit der Kirche hatte sich nun mächtig
das religiöse Bewußtsein, die religiöse Sehnsucht der Laienwelt gewandt. Man
achtete, ja man liebte vielfach die Kirche, aber ihre Diener verfluchte man. Aus
der Sehnsucht nach einer neuen Frömmigkeit, aus dem Wunsche, daß die Geist¬
lichen aus dem üppigen Leben der Gegenwart dem Volke zum Vorbilde zu
apostolischer Einfachheit zurückkehren sollten, aus dem heißen Verlangen nach
einer Verkündigung des göttlichen Wortes an die Laienwelt waren gewaltige
Mächte geboren worden, die die Kirche -- es ist nicht zuviel gesagt -- in
ihrem Lebensbestande gefährdeten. Immer neue Sekten erhoben ihre Häupter,
unter denen die Waldenser, die Armen von Lyon am ernstesten einen Reform¬
versuch unternommen haben. Daneben aber war namentlich im südlichen
Frankreich in den Katharern eine Gefahr entstanden, deren sich die Kirche nur
durch Feuer und Schwert und durch einen Greuel der Verwüstung, wie ihn
noch keine Zeit gesehen hatte, erwehren konnte.

So etwa sah es in der Kirche aus, als im Jahre 1209 Franz von Assisi mit
seinen ersten Jüngern in Rom anklopfte, um von Jnnozenz die Bestätigung seiner
Ordensregel zu erlangen. Verdammen konnte der Papst sie nicht, bestand sie doch
eben in jenem Worte Christi, das ich vorhin erwähnte, das in der Kapelle Maria


Lranziskus von Assise

Gregors des Siebenten der Verwirklichung nahe. In Spanien hatte Peter der
Zweite von Aragonien aus der Hand des Apostelfürsten seine Krone wieder
empfangen, nachdem er sie zuvor auf dem Grabe der Apostel hatte niederlegen
müssen. Philipp der Zweite August von Frankreich hatte sich von seiner ersten
Gemahlin scheiden lassen. Jnnozenz zwang ihn, seine zweite Ehe zu trennen
und die erste Gattin wieder an seine Seite zu nehmen. Johann ohne Land
von England empfing sein Königtum aus der Hand des päpstlichen Legaten,
nachdem er dem Heiligen Stuhle Unterwerfung, Lehnstreue und jährlichen Tribut
gelobt hatte. Und nur an dem nationalen Sinne der englischen Großen
scheiterten die Ansprüche Jnnozenz des Dritten. In die Thronstreitigkeiten der
deutschen Nation hat wiederum er bestimmend eingegriffen. So war er gewohnt,
Königreiche zu vergeben und den Mächtigsten der Erde den Fuß auf den Nacken
zu setzen. Dabei war er persönlich ein schlichter, frommer Mann, ein gläubiges
Gemüt, wenn er auch mehr ein Moses sein wollte, ein Gesetzgeber der Völker,
als ein echter Nachfolger Christi, ein Hirte der Seelen.

Aber diesem stolzen Bilde der Kirche nach außen entsprach das Innere
nicht. Im Leben der Geistlichen lag vieles im argen. schamlos waren die
Bestechungen, mit denen sie nach Pfründen jagten. Von den Beamten der
Kurie hatte man gesagt, sie seien wie Stein so hart, wenn es zu begreifen, wie
Holz so biegsam, wenn es zu urteilen, wie Feuer so grausam, wenn es zu
wüten, wie Eisen so unbeugsam, wenn es zu verzeihen gälte, falsch wie die
Füchse und aufgeblasen wie die Stiere. Klagen über Völlerei, Ehebruch und
Mord füllen die Berichte. Wo wäre jemals neues Leben dem Schoße der
Kirche entstiegen, ohne daß die Schandtaten der Priester die Folie gewesen
wären! Gegen diese innere Verkommenheit der Kirche hatte sich nun mächtig
das religiöse Bewußtsein, die religiöse Sehnsucht der Laienwelt gewandt. Man
achtete, ja man liebte vielfach die Kirche, aber ihre Diener verfluchte man. Aus
der Sehnsucht nach einer neuen Frömmigkeit, aus dem Wunsche, daß die Geist¬
lichen aus dem üppigen Leben der Gegenwart dem Volke zum Vorbilde zu
apostolischer Einfachheit zurückkehren sollten, aus dem heißen Verlangen nach
einer Verkündigung des göttlichen Wortes an die Laienwelt waren gewaltige
Mächte geboren worden, die die Kirche — es ist nicht zuviel gesagt — in
ihrem Lebensbestande gefährdeten. Immer neue Sekten erhoben ihre Häupter,
unter denen die Waldenser, die Armen von Lyon am ernstesten einen Reform¬
versuch unternommen haben. Daneben aber war namentlich im südlichen
Frankreich in den Katharern eine Gefahr entstanden, deren sich die Kirche nur
durch Feuer und Schwert und durch einen Greuel der Verwüstung, wie ihn
noch keine Zeit gesehen hatte, erwehren konnte.

So etwa sah es in der Kirche aus, als im Jahre 1209 Franz von Assisi mit
seinen ersten Jüngern in Rom anklopfte, um von Jnnozenz die Bestätigung seiner
Ordensregel zu erlangen. Verdammen konnte der Papst sie nicht, bestand sie doch
eben in jenem Worte Christi, das ich vorhin erwähnte, das in der Kapelle Maria


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/569>, abgerufen am 01.09.2024.